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Deutsche Solidarität – mit einem demokratischen Israel

„Die Regierung, die am 29. Dezember 2022 in Israel vereidigt wurde, ist wieder eine Regierung Netanjahus und wird volkstümlich ‚voll und ganz rechtsorientiert‘ genannt, im Klartext: eine rechtsradikale Regierung, die eine rechtsextreme, rassistische Partei beherbergt, aber keine einzige Partei aus der sogenannten Mitte.“ Dieser Satz stammt aus dem neuen Buch von Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann, ein wortgewaltiger Briefwechsel zwischen den beiden Intellektuellen, die darin in erster Linie auf Deutschland, aber aufgrund der aktuellen Entwicklungen in ihrem Heimatland auch auf Israel blicken. Mal zornig, mal verzweifelt, mal zärtlich fächern sie die heiklen Themen auf, legen den Finger in die Wunden, üben lautstarke Kritik an der Politik und tauschen Ideen für eine Verbesserung des Umgangs miteinander und mit der Geschichte auf – denn nur durch eine wirkliche Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart kann eine neue Zukunft ermöglicht werden.

Der Spruch »Never a dull moment« beschreibt tatsächlich und tagtäglich die israelische Befindlichkeit. Nachdem wir im Januar 2022 unseren Dialog abgeschlossen hatten, der im Schatten der Pandemie geführt wurde, kam der Angriff Russlands auf die Ukraine, der uns veranlasste, unser Buch um ein weiteres Kapitel zu ergänzen. Seitdem hat auch Israel ein zusätzliches Kapitel geschrieben, das von uns nicht unberücksichtigt bleiben darf: Am 1. November 2022 fanden in Israel zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren Parlamentswahlen statt, die die Pattsituation durchbrochen haben. Die israelische Rechte erhielt eine klare Mehrheit, die Linke war wie weggefegt. Die Regierung, die am 29. Dezember 2022 vereidigt wurde, ist wieder eine Regierung Netanjahus und wird volkstümlich »voll und ganz rechtsorientiert« (Jamin male male) genannt, im Klartext: eine rechtsradikale Regierung, die eine rechtsextreme, rassistische Partei beherbergt, aber keine einzige Partei aus der sogenannten Mitte.

Rückblickend kann ich sagen, dass wir es kommen sahen, und trotzdem stehe ich, wie viele andere, unter Schock. Denn die neue Regierung ging sofort zur Sache – die israelische Justiz, vor allem den Obersten Gerichtshof, zu überrumpeln (euphemistisch: reformieren) ist das erste Ziel. Denn es ist die Justiz, die den Weg der »voll und ganz rechten« Regierung Richtung »Großisrael« und Zerstörung der demokratischen Strukturen noch zu versperren vermag. Die Liste der Gesetze und Maßnahmen, die diese rechtsradikale Koalition dann plant, macht uns, Kenner der deutschen Geschichte, besonders hellhörig, und die Hunderttausenden, die gegen diese Regierung demonstrieren, können nicht anders, als sich fragen: Befinden wir uns noch im Jahr 1932 oder bereits im Januar 1933? Auf einem Plakat, das Demonstranten vor dem Amtssitz des israelischen Präsidenten in Jerusalem hochhielten, hieß es (auf Deutsch!): »1933. Beginnt zu vergleichen, bevor es zu spät ist«.

In meinem Hinterkopf schwebt schon seit Langem der Titel des Werkes unseren Kollegen Heinrich August Winkler Der Weg in die Katastrophe 1930–1933. Mutatis mutandis, wie sich von selbst versteht, aber wie kann man dem Vergleich ausweichen, zumindest dem mit der thüringischen Regierung 1930, in der zum ersten Mal ein Nationalsozialist Minister wurde. Wenn an der Regierung eine Partei teilnimmt, die rechtsextreme Minister aufstellt – liegt dann ein Vergleich nicht auf der Hand? Einer von ihnen (Minister Bezalel Smotrich) hat bereits seinen Plan verkündet: die Palästinenser vor die Wahl zu stellen, entweder Untertanen Israels zu werden, ohne Gleichberechtigung, oder auszuwandern. Sollten sie beide Möglichkeiten ausschlagen, bliebe ein dritter Weg übrig: Das würde dann als Kriegserklärung gegen Israel gewertet und, »a la guerre comme a la guerre«, Israel dürfe gegen sie Krieg führen und sie auch mit Gewalt vertreiben. Der Politiker war bereits Minister, als er sich offen dafür aussprach, ein palästinensisches Dorf auszuradieren, weil dort (wohlgemerkt im besetzten Westjordanland) Palästinenser Siedler angegriffen und getötet haben. Da sollte einen meines Erachtens über einige Jahre nach 1933 nachdenken lassen. Aber nein, wird man mir sofort entgegenhalten, es besteht keinesfalls die Gefahr eines weiteren Auschwitz, was jeden Vergleich im Keim erstickt – aber das haben wir weiter oben schon erörtert. […]

Aber nicht nur das historische Deutschland wird angesichts des Versuchs, die liberale Demokratie zu unterwandern, relevant, sondern auch das Deutschland der Gegenwart. (Vergleichen muss man übrigens nicht nur mit Deutschland – Ungarn oder etwa Nordkorea sind auch in mancher Hinsicht relevant.) Es geht um Deutschlands offizielle Positionierung gegenüber unserer neuen Regierung. Kurz nach der Vereidigung der neuen Regierung plädierte der Autor eines hebräischen Buches über die AfD in der bereits erwähnten Netanjahu-nahen Zeitung Israel HaYom (Israel heute) für die Rückkehr zu den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen – ganz so, als wäre das Sitzen an einem Tisch mit Ben-Gvir und Smotrich mit der demokratischen Gesinnung der Bundesrepublik nicht unvereinbar. Oder ist dies etwa doch vereinbar? Sowohl Bundeskanzler Scholz (bei einem Besuch Netanjahus in Berlin) als auch Außenministerin Baerbock (bei einem Besuch des israelischen Außenministers Cohen) haben zaghaft die »Justizreform« als Grund zur »Sorge« angedeutet; zu mehr reichte es nicht. Der Grund für diese offenkundige Zögerlichkeit ist nicht nur die Fülle an internationalen Herausforderungen, denen man sich vor allem diplomatisch ausgesetzt sieht – Ungarn und Polen in der EU, der Ukrainekrieg, Chinas Affront, Inflationsbekämpfung etc. –, sondern vor allem die Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf. Gemäß der Logik, die wir bereits oben kritisierten, darf man sogar Rechtsextremismus aus Israel dulden, weil es eben um Juden geht. So plädierte auch der israelische Botschafter in Berlin in einem ARD-Interview am 7. Mai für die Wiederaufnahme der Regierungskonsultationen, an denen auch die rechtsradikalen Minister teilnehmen können. Wer weiß, ob der deutsche Botschafter in Israel nicht die Einladung befolgt hätte, am Europatag mit Minister Ben-Gvir als Gastgeber teilzunehmen, wenn die EU nicht die Bremse gezogen hätte. Man muss die Frage an die deutsche Politik richten: Mit wem in Israel wollt Ihr zusammenarbeiten – mit den Demokraten oder mit den Zerstörern der freiheitlichen Demokratie?

Diese Logik der deutschen Politik hat aber noch weitere Auswirkungen: In Deutschland kommt eine Zusammenarbeit mit der AfD (wie lange noch?) nicht infrage, aber die Deutsche Botschaft in Tel Aviv bemühte sich um Gesprächspartner für AfD-Abgeordnete, die Israel letzte Woche bereisten, als wäre das nicht ein haarsträubender Widerspruch – rechtsradikale deutsche Politiker im Land der Holocaust-Überlebenden? Im letzten Moment haben wachsame Israelis dazu beigetragen, dass der Besuch der beiden AfD-Leute in Yad Vashem nicht mit einer Zeremonie in der großen Halle seinen Höhepunkt erreichte. Wie die bestürzte offizielle Reaktion in Deutschland auf die documenta fifteen mit dieser Bereitschaft, die AfD und Israel miteinander ins Gespräch zu bringen, in Einklang gebracht werden kann, ist mir ein Rätsel. Wo bleibt die Reaktion der vielen Antisemitismusbeauftragten in Deutschland, die auf jedes BDS-gebundene Ereignis automatisch gereizt und lauthals reagieren? Die jetzigen deutsch-israelischen Beziehungen zeigen jedenfalls, dass etwas mit den Lehren aus der Geschichte schiefläuft; viel Ignoranz und Dummheit sind beim Thema Juden bzw. Antisemitismus im Spiel. Das muss auch das Fazit sein, nachdem sich in der Sondersitzung des Bundestags zum 75. Geburtstag Israels besonders die AfD-Abgeordneten als Israelfreunde aufgespielt haben. Unsere Kritik, die wir im Laufe des Dialogs zum Ausdruck gebracht haben, erweist sich als berechtigt, aber im Grunde noch als zu sanft, denn die absurde deutsche Haltung gestaltet sich immer deutlicher. Ich kann meine Befürchtung nur wiederholen – der Bumerang wird uns direkt ins Gesicht fliegen. Auf Englisch gehört hierher der Satz: »I rest my case.«

Israel feiert jetzt, wie die Bundesrepublik im kommenden Jahr, seinen 75. Geburtstag. Man kann sich gut vorstellen, wie die Feier des 100. Geburtstages aussehen wird!

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