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Das Volk ist nicht völkisch

Derzeit wird viel darüber diskutiert, ob Begriffe wie „Volk“, „Heimat“  oder „Vaterland“ noch genutzt werden dürfen. Denn sie werden – ideologisch aufgeladen und verkitscht – zu Kampfbegriffen gegen die Idee einer freiheitlichen, humanen, liberalen Gesellschaft. Dagegen tritt Peter Zudeick in seinem Buch „Heimat, Volk, Vaterland“ an und sagt: Wir dürfen den Rechten nicht das Begriffsarsenal überlassen, mit denen wir alle für dumm verkauft werden sollen. Ein Kommentar.

 Wie geht es denn nun den ach so mitgenommenen, missbrauchten, vergifteten Begriffen? Gar nicht so schlecht, wie viele Zweifler meinen, lautet der vorläufige Befund. Dass die Rede vom ›Volk‹ hierzulande als unanständig gelte und dass unter schwersten Verdacht geriete, wer Begriffe wie ›deutsch‹, ›Volk‹ oder ›Heimat‹ verwendet, kann ich nicht sehen. Mir hat auch noch niemand zeigen können, wo, auf welcher Bühne, in welcher Szene dieses Stück aufgeführt würde. Möglicherweise lassen sich einige Zeitgenossen solche Pro­bleme von anderer Seite einreden.

»Das Volk ist nicht tümlich«, sagte Bertolt Brecht. Also nicht reduzierbar auf die ›Volkstümlichkeit‹, die den ›einfachen Leuten‹, den ›unteren Schichten‹ gerne von denen angedichtet wird, die sich nicht dazuzählen. Das Ensemble Gartenzwerg, Jägerzaun, Lodenjoppe und Seppelhut ist allenfalls Ausweis von Biedersinn und Spießigkeit, sicher nicht von ›Volk‹. Und die Tatsache, dass ein Millionenpublikum auf sogenannte ›volkstümliche‹ Musik abfährt, sagt eine Menge über den Geschmack dieses Publikums, aber relativ wenig über die ›breite Mehrheit‹ der Bevölkerung.

Vor allem aber muss dem Diktum Brechts dieses hinzugefügt werden: Das Volk ist nicht völkisch. Will sagen: Der Volksbegriff ist nicht so vergiftet, wie viele meinen. Er ist fest verankert in unserem Rechtssystem und im alltäglichen Sprachgebrauch, er meint Bevölkerung, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit. Wer heute von ›Volk‹ redet, hat in aller Regel nicht »Ein Volk, ein Reich, ein Führer« im Hinterkopf, und niemand bekommt einen Schauer bei der Nennung des Begriffs, weil ihm dieses Erbe anhaften könnte.

Und vom ›deutschen Volk‹ zu reden, hat auch nichts mit ›Völkischem‹ zu tun. Die auf deutschem Staatsgebiet lebende Bevölkerung ist das deutsche Volk, formal definiert durch die Staatsangehörigkeit, inhaltlich durch das Gefühl oder das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu dieser Rechts- und Sozialgemeinschaft. Wobei jeder das Recht hat, sich nicht zugehörig zu fühlen, sofern er sich an Recht und Gesetz hält. Wer als Gast in Deutschland lebt – ob aus beruflichen Gründen oder als Flüchtling mit welchem Status auch immer –, hat genau dieselben Rechte und muss nicht besonders unterwürfig oder demütig sein. Die Staatsangehörigen sind nicht die Herren, denen die Gäste als Geduldete zu dienen haben. Und natürlich gelten Recht und Gesetz auch für Gäste.

Bedenklich und am Ende gefährlich ist etwas anderes: Wer den Volksbegriff wieder, nachdem es ihm ein paar Jahrzehnte gut ging, mit den unheilvollen Konnotationen besetzen will, dem muss energisch widersprochen werden. Der Spruch »Wir sind das Volk« ist im Gebrauch durch die Rechtsfront eine Ausgrenzungsparole geworden. Er sagt: Wir sind es, und ihr seid es nicht. Und wenn der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland sagt: »Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen«, dann gibt es Anlass, sich zu fürchten. Zurück von wem und wohin überhaupt?

Denn wer den demokratisch-rechtsstaatlichen Begriff von ›Volk‹ wieder zu einem mythisch-biologistischen Begriff von Abstammungs-, Bluts- und Schicksalsgemeinschaft umdeutet, hat Abgrenzung und Ausschluss bestimmter Gruppen im Sinn  und will zurück zu aggressivem Nationalismus, zur Unterscheidung von Herren- und Untermenschen. Und entfernt sich damit radikal vom demokratischen Selbstverständnis. Das heißt nicht, dass man solche Meinungen nicht haben oder nicht äußern dürfe. Aber jeder, der das tut, muss mit Widerspruch und Widerstand rechnen.

Nun könnte man ja fragen: Muss man am Volksbegriff denn festhalten, wenn sich schon wieder Missbrauch abzeichnet? Muss man natürlich nicht. Der Begriff ›Volk‹ ist für sich nicht so bedeutend, dass er unbedingt vor falschem Zugriff gerettet werden muss. Nur wenn wir schon wieder zulassen, dass die Rechten uns unser Sprechen vorschreiben, gehen wir den falschen Weg. Mit den Worten fängt es an, denn sie transportieren Inhalte. Wenn wir darauf verzichten, das Selbstverständliche zu sprechen, dann geben wir Inhalte auf. Das ist das eine.

Das andere: Der Verzicht auf geläufige, ›harmlose‹ Begriffe signalisiert denen, die sie ganz normal gebrauchen: Lasst bloß die Finger – oder die Münder – von den bösen Worten, mit denen stimmt etwas nicht. Und damit bereiten wir den Boden für die, die Begriffe wieder mit rechtem Gedankengut aufladen wollen, weil wir ihnen indirekt recht geben. Wer ›ganz normal‹ von Volk, von Heimat redet und nun gesagt bekommt, dass das alles immer noch in brauner Soße schwimmt, wird sich zu Recht darüber wundern und schließlich empören, dass er in die Nazi-Ecke gedrängt wird.

Falsch scheint mir auch die Haltung, dass eine kritische Auseinandersetzung in diesen Zusammenhängen gar nicht möglich sei, weil es um »vorrationale und nicht verhandelbare Begriffe« gehe: »Heimat, Volk, Nation, Wert und Rasse beschreiben keinen Umstand, keine Erscheinung, keine Form, sondern ausschließlich den emotionalen Kern einer Ermächtigung.« Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, was der ansonsten sehr geschätzte Kulturkritiker Georg Seeßlen unter dem »emotionalen Kern einer Ermächtigung« versteht, hat er Unrecht mit der These, dass diese Begriffe nicht verhandelbar seien. Ganz abgesehen davon, dass der Verzicht auf eine kritische Auseinandersetzung genau das ist, was die Rechten erreichen wollen. »Es handelt sich um nichts anderes als um einen semantischen Krieg«, sagt Seeßlen. Genau so ist es. Und es ist falsch, sich vom Acker zu machen respektive vom Schlachtfeld davonzustehlen. Kapitulation ist kein Ausweg.

Ein anderes Signal ist nötig, und das lautet: Wir lassen uns die allerselbstverständlichsten Worte nicht von denen stehlen, die sie missbrauchen wollen. Wir führen die Debatte um Worte wie ›Heimat‹, ›Volk‹ und ›Vaterland‹, weil es eine um Inhalte ist. Diese Begriffe hatten eine lange Geschichte, bevor sie nationalistisch aufgeladen wurden, und die Nazipropaganda hat diese Aufladung übernommen und verschärft. Die Frage ist, ob sie dadurch ein für allemal unbrauchbar geworden sind oder ob wir uns darauf besinnen können, was sie für uns bedeuten.

Wobei ich persönlich auf den Inhalt ›Vaterland‹ ganz gut verzichten kann. Da werden Weihe und Pathos gleichsam mitgeliefert, während man in ›Heimat‹ Weihe und Pathos erst
hineinpumpen muss. Man kriegt es auch wieder heraus. Die nazifizierte Heimat zum Beispiel wurde gleichsam unter der Hand und ohne allzu große Anstrengung entnazifiziert. Und ›Volk‹ hat so viel Gebrauchswert und einen derart hohen Grad an Selbstverständlichkeit, dass die Nazi-Erbschaft keine Rolle mehr spielt. Sie ist buchstäblich Geschichte.

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