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Zum Vormarsch des Populismus

Die jüngsten Erfolge des Populismus haben zu Unruhe in den verschiedenen politischen Lagern geführt. Die Reaktionen waren unterschiedlich – Ignoranz, kategorische Abgrenzung, Verurteilungen – dessen ungeachtet sind populistische Parteien oder Parteifraktionen eine starke politische Kraft in den meisten westlichen Demokratien geworden. Bevor man allerdings Gegenmaßnahmen ergreift, sollte man zunächst versuchen, die eigentlichen Probleme zu verstehen.

Populistische Bewegungen, seien es die Front National, die Schwedendemokraten oder die Alternative für Deutschland, Haben einen gemeinsamen Nenner: Misstrauen gegen das Establishment, gegen öffentliche Institutionen, oder gegen die gesellschaftliche Entwicklung im Allgemeinen. Ein Misstrauen, das unter anderem in der steigenden Ungleichheit in vielen Ländern der OECD wurzelt. Es kann nachgewiesen werden, dass zwischen Ungleichheit und dem Niveau des Vertrauens in einer Gesellschaft ein direkter Zusammenhang besteht – das allgemein steigende gesellschaftliche Misstrauen innerhalb vieler dieser Länder ist für die Wissenschaft also nicht weiter verwunderlich.

Für die wachsende Ungleichheit gibt es sowohl ökonomische als auch politische Gründe. Die Internationalisierung des ökonomischen Systems hat die Machtverhältnisse verändert, global und auch innerhalb der Europäischen Union. Man spricht in der EU von den vier Freiheiten: freie Bewegung der Waren, der Dienste, der Arbeit und des Kapitals. Das klingt symmetrisch und gerecht, aber in Wirklichkeit hat das Kapital eine höhere Mobilität als die Arbeitskraft und kann deswegen seine Macht auf Kosten der Arbeitskraft stetig vergrößern.

Der traditionellen ökonomischen Theorie zufolge bringt die Internationalisierung Wohlstand für alle. Grenzen werden als politische Zufälligkeiten betrachtet, die nur den freien Austausch von Waren und Diensten erschweren und deshalb das Wirtschaftswachstum senken. Neue Forschungsergebnisse haben dieses Bild grundlegend verändert. Wie Jeffrey Williamson in seinem Buch Trade and Poverty („Handel und Armut“) zeigt, kann die internationale Arbeitsteilung für die schwächere Partei langfristig negative Konsequenzen haben, und zu einer Deindustrialisierung, größerer Preisvolatilität und wachsender einheimischer Ungleichheit führen. Selbst wenn der Handel für ein Land insgesamt positiv ist, kann er negative Konsequenzen für gewisse Gruppen in diesem Land haben. Eine detaillierte Analyse schwedischer Daten hat etwa gezeigt, dass die EU-Mitgliedschaft zu Lohnsenkungen für Gruppen mit kurzer Ausbildungszeit geführt hat – zwar in einem eher geringen Maße, trotzdem ist das Ergebnis der Auswertung signifikant.

Der traditionelle Kompromiss Zwischen Der Sozialdemokratie und dem konservativen Lager ist, dass seitens der Arbeiterschaft Freihandel und Strukturwandel akzeptiert werden und dafür ein entwickeltes System von Sozialversicherungen unterhalten wird. Folglich haben Länder mit offenen Ökonomien oft einen größeren öffentlichen Sektor als vorwiegend protektionistisch orientierte Länder. Da sich viele nationale Ökonomien in den letzten Jahrzehnten aus sowohl wirtschaftlichen als politischen Gründen den internationalen Märkten geöffnet haben, wäre eine gleichzeitige Verstärkung oder wenigstens eine Beibehaltung des sozialen Schutznetzes zu erwarten gewesen. In Wirklichkeit war jedoch oft das Gegenteil der Fall.

Die graduelle Schwächung des Sozialstaates ist eine langfristige Entwicklung. Mit der Machtübernahme von Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den Vereinigten Staaten begann ein neuer Zeitabschnitt der ökonomischen Geschichte: Das Ende des Keynesianismus und der Anfang des Monetarismus. In der Praxis bedeutete das Steuersenkungen für die höheren Einkommensschichten, Deregulierung der Finanzmärkte, Privatisierung des öffentlichen Sektors und so weiter – kurzum: ein schrumpfender Staat und zugunsten wirtschaftlicher Akteure. Die klassische Umverteilungspolitik der Sozialdemokratie ist in Zeiten internationalisierter (Arbeits-)Märkte in vielerlei Hinsicht schwieriger geworden, da die Konzertierung von Gesetzgebung und Gewerkschaften über die Grenzen kompliziert und das Kapital weitaus flexibler ist. Gewisse traditionelle Instrumente der Ausgleichungspolitik sind also heute schwächer. Wenn man sich zu denselben politischen Idealen wie zuvor bekennt, sollte man in der sozialdemokratischen Bewegung mit den anderen Instrumenten, über die man noch verfügt – Bildungspolitik, Sozialversicherungen, Einkommensteuer – intensiver arbeiten. Im Gegenteil haben wir gesehen, wie sozialdemokratische Parteien die Politik des konservativen Lagers in manchen Gebieten akzeptiert oder sogar übernommen haben. Ein extremes Beispiel ist die sozialdemokratische Regierung in Schweden, die im Jahre 2005 die Erbschaftssteuer abgeschafft hat, was bis damals nur Silvio Berlusconi getan hatte. Die Wählerschaft findet es immer schwieriger, den Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und der Konservativen auszumachen.

In den 1930er Jahren hatte der schwedische Ministerpräsident Per Albin Hansson die politische Vision vom Volksheim. Seine Idee war etwas ganz anderes als das faschistische Volksheim, das die Vernichtung des Individuums zugunsten eines abstrakten Kollektivs voraussetzte. Das Ziel des sozialdemokratischen Volksheims bestand darin, allen Menschen dieselben Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung zu geben, unabhängig von ihrem sozialen und ethnischen Hintergrund – ein echtes liberales Programm. In diesem Volksheim sollten sich auch Gruppen mit schwachen ökonomischen und politischen Ressourcen zu Hause fühlen.

Heute ist von dieser großen Vision nicht mehr viel übrig geblieben und das Gebäude des Volksheims wurde zum Sanierungsfall. Insbesondere die Verschlechterung des Ausbildungssystems, die vor allem die schwachen Gruppen betrifft, ist kritisch zu betrachten. Die Kenntnisse und Fähigkeiten, die ein junger Mensch beim Verlassen der Schule mitbringt, bestimmen in hohen Maße seine Zukunft. Nicht nur das erlernte Wissen, sondern auch eine gewisse Grundhaltung ist entscheidend: Wer sich während der Ausbildung die Fähigkeit zu kritischem Denken angeeignet konnte, wird sich im Leben leichter orientieren können und das Falsche vom Wahren besser unterscheiden können. Eine kritische Attitüde war ja ein wichtiger Baustein der Aufklärung, aber eine solche Attitüde muss auf einem soliden Grund von Kenntnissen ruhen – sonst wird sie in Filterblasen und Faktenresistenz ausarten. Wir leben angeblich in einer Informationsgesellschaft, aber ein strukturloser Strom von Information kann eine gute Ausbildung nicht ersetzen und die Probleme sogar verschlimmern. Medienforscher haben gezeigt, dass Personen mit einer höheren Ausbildung die leicht zugängliche Information benutzen um noch mehr zu lernen („Informationssucher“), während Personen mit einem schwächeren Hintergrund im Gegenteil unerwünschte Information vermeiden („Informationsvermeider“). Der Anteil der Bevölkerung in der zweiten Kategorie übersteigt in Schweden jetzt 15 Prozent und hat sich in den letzten Jahrzehnten mehr als verdoppelt.

Das Wachsen des Populismus sollte niemanden erstaunen. Eigentlich ist auch ganz klar, was zu tun ist, um diese falsche Alternative zu entschleiern und die Rechten in die Schranken zu weisen. Die Risse und die Spalten des Volksheims müssen restauriert werden. Insbesondere das Bildungssystem muss gestärkt werden, um damit Gruppen, die einen schwachen sozioökonomischen Hintergrund haben, Perspektiven für die Zukunft zu ermöglichen. Nur auf der Basis einer deutlich formulierten Linksalternative mit einer solchen allgemeinen Ausrichtung ist es möglich, die politische Unterstützung von marginalisierten Gruppen wieder zu gewinnen.

Literatur

Strömbäck, J. et al. (2013):” The Dynamics of Political Interest and News Media Consumption: A Longitudinal Perspective”, International Journal of Public Opinion Research 25(4), 414-435.

Williamson, J. (2011): Trade and poverty. When the third world fell behind. MIT Press, Cambridge, Mass.

Åslund O., Engdahl, M. (2016):”Open Borders, Transport Links and Local Labor Markets”, Discussion Paper No. 9759, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, Bonn.

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