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Kopfkino – unsere erste Nacht in Tadschikistan

Wir Haben ein paar superschöne Tage in den Städten entlang der alten Seidenstraße hinter uns: Chiva, Buchara, Samarkand. Gerade in Samarkand lässt sich die Großartigkeit der alten Kultur wunderbar erahnen, wenn man durch die Straßen streift. Zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten gehört der Registanplatz, der von mehreren Koranschulen aus dem 15. und 17. Jahrhundert umgeben ist. Wir bewundern die alten, aber gut erhaltenen Mosaiken und fragen uns, ob wir heute noch so schöne und exakt gebaute, langlebige Gebäude hinkriegen würden. Beeindruckt und glücklich wandern wir durch die Straßen. Wir ahnen nicht, wie radikal sich die Welt nach dem nächsten Grenzübergang verändern sollte.

Der Grenzübertritt von Usbekistan nach Tadschikistan ist wie immer: wir malen uns in Gedanken aus, was alles schief gehen kann, wie abenteuerlich (aka schrecklich) es werden kann, aber dann geht es doch alles korrekt vonstatten. Wir Haben nur ein paar Autos vor uns, an jedem Schalter werden wir höflich bedient und man erklärt uns immer, wo wir als nächstes hin müssen. Uns amüsiert wie immer die übermannsgroßen Darstellungen der jeweiligen Staatschefs, die Landesflaggen gibt es hier allerdings nur als Bilder. Wandbilder, dafür demonstrativ Usbekistan und Tadschikistan auf demselben Bild einträchtig nebeneinander. Unsere Reiseführer stellen das nebeneinander nicht so positiv dar. Aber das stört uns nicht weiter, wir freuen uns auf ein neues Land.

Wir spulen zunächst die Routine ab, die in jedem neuen Land nötig ist: Geldautomat oder Wechselstube finden und lokale Währung besorgen, dann einen Supermarkt, um vor allem Wasser und Brot zu kaufen. Da wir in der kommenden Nacht zelten wollen, landen auch noch Obst, Gemüse und Kekse im Einkaufskorb.

Der Weg zu den Seven Lakes

Wir wollen zunächst zu den Seven Lakes fahren. Nicht weit nach der Grenze zweigt ein, zunächst noch asphaltierter,Weg von der Hauptstraße ab, in den wir einbiegen. Die Sonne knallt vom Himmel, es ist heiß und wir freuen uns auf die Seen. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Zuerst stehen wir vor einer Schranke, ein lokaler Checkpoint. Manchmal winkt man uns einfach durch, darauf hoffen wir auch dieses Mal. Wir rollen langsam heran, bereit, zu grüßen und wieder Gas zu geben. Aber weit gefehlt. Wir müssen absteigen und unsere Pässe abgeben. Wie schon oft werden unsere Daten langsam und sorgfältig in ein dickes Buch geschrieben. Wir warten in der prallen Sonne. Wenig Spaß in kompletter Motorradmontur. Ich bin langsam etwas genervt. Glaubt wirklich irgendjemand, dass diese Daten aus dem Buch jemals wieder angeschaut werden? Wir haben schon auf so vielen Flughäfen und an so vielen Grenzübergängen irgendwelche Zettel abgegeben, die nur auf irgendwelchen Stapeln landeten. Bürokratie, wohin ich blicke. Ich ermahne mich selbst, dass der Beamte auch nur seinen Job macht und atme tief durch. Irgendwann ist er fertig, die Schranke wird geöffnet, beide Männer winken noch mal freundlich – wir lächeln zurück – und dann dürfen wir weiterfahren.

Die Berge um uns herum sind unglaublich karg, die Eselskarren zahlreicher als die motorisierten Fahrzeuge, die Dorfbewohner, an denen wir vorbeifahren, viel zerlumpter, als wir es bislang kennen. Tadschikistan ist viel ärmer als die Länder, die wir zuvor bereist haben, das lässt sich bereits am ersten Tag erkennen. Auch der Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen bestätigt dies. Dabei handelt es sich um einen weltweiten Wohlstandsindikator, den wir oft zu Rate ziehen, wenn wir uns mit einem fremden Land beschäftigen: Tadschikistan liegt auf Platz 125 von 189.

Hinter dem nächsten Dorf endet der Asphalt, die Teerstraße geht im Schotter über. Es hat längere Zeit nicht geregnet, so dass es ganz schön staubig wird. Aber der Weg führt entlang des Flusses Shing, der uns mit seinem azurblauen Wasser an bayrische Gletscherflüsse erinnert und der einfach nur schön ist. Wir fahren durch Felsschluchten, an Schafherden vorbei und genießen die Abgeschiedenheit. Aber der Weg wird schwieriger, je weiter wir kommen. Manchmal bahnt sich der Fluss seinen Weg über die Piste, der Schotter wird tiefer, die Haarnadelkurven enger. Einmal stoppe ich blöderweise an einer Steigung, in nassem und tiefem Schotter vor einer Kurve und komme nicht mehr weiter. Maximal blöde Stelle. Wolfgang steigt ab, läuft zurück und rettet mit seinen langen Beinen die Situation: er fährt die Maschine aus dem Schotter und um die Kurve herum. Ich ärgere mich etwas über meinen Fahrfehler, denn ohne Anhalten wäre vermutlich alles gut gelaufen. Na ja, besser Hilfe erbeten und angenommen als umgekippt und möglichweise etwas am Motorrad kaputt gemacht. Irgendwann taucht vor uns der erste See auf. Uns bleibt buchstäblich die Luft weg. Einen derart blauen See haben wir noch nie gesehen. Er sieht wunderschön und eiskalt aus. Da wir gelesen hatten, dass die Seen immer schöner werden sollen, denken wir uns „Mal sehen, wie weit wir kommen“. Die Straße soll nämlich, analog zur Schönheit der Seen, schlechter und schwieriger werden.

Und so ist es auch. Die Straße wird schotteriger und schmaler, die Kehren werden enger und steiler. Wir halten Ausschau nach einem Platz zum Zelten, werden aber nicht fündig. In den Tälern gibt es jeweils praktisch nur den See und eine schmale Straße daneben. Kaum Grün, keine Plätze. See Nummer drei bietet allerdings einen bewaldeten Platz direkt am Wasser. Hier sind einige Autos und Picknicker zu sehen, so dass wir zunächst weiterfahren, um einen ruhigeren Platz zu finden. Am hinteren Ende von See vier allerdings stoppen wir. Die Straße wird nicht besser, es ist nicht abzusehen, dass wir noch einen schönen Platz finden, außerdem sind wir mittlerweile müde und hungrig. Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, dass wir heute früh in Samarkand gestartet sind.

Blick von oben auf einen der sieben Seen in Tadschikistan

Wodka und Wassermelone mit den Einheimischen

Wir fahren also zurück und biegen in den Parkplatz am See ein. Sofort sind alle Augen auf uns gerichtet. Motorradfahrer mit so großen Maschinen sind hier immer ein Hingucker. Wir drehen eine Runde auf dem Platz und halten an einem Fleckchen am Rand, welches ein wenig Ruhe verspricht. Aber wie schon in Georgien haben wir die Rechnung ohne die Einheimischen gemacht. Wir haben kaum die Helme abgenommen, da schlendern sie bereits heran und sprechen uns an. Wir verfluchen mal wieder unsere schlechten Sprachkenntnisse und erklären uns mit Händen, Füßen und Google. Eine Gruppe von Männern lädt uns zu ihrer Picknickdecke ein. Wir schaffen es noch, ihnen klar zu machen, dass wir uns zunächst umziehen wollen – und landen wenige Minuten später in luftigerer Kleidung bei Ihnen.

Sie umsorgen uns fast leidenschaftlich: Wir kriegen Bier, Wodka, Wassermelone und die Reste ihres Grillgerichts, in genau dieser Reihenfolge. Wir zeigen auf unseren Smartphones die Route, die wir bereits zurückgelegt haben, und ernten beeindruckte Blicke. Einer spricht ein paar Brocken Englisch, aber viel mehr an Kommunikation klappt nicht. Sie kratzen alles zusammen, was sie über Deutschland wissen: München. Fußball. Hofbräuhaus. Merkel. Irgendwer hat Verwandte in Düsseldorf. Das ist schon fast mehr als wir über Tadschikistan wissen, immerhin ist es unsere erste Nacht dort. Unsere ursprüngliche Strategie, am Ende jedes Landes ein paar freie Tage einzuschieben, um ein Land gedanklich abzuschließen und uns aufs neue Land vorzubereiten, haben wir nicht eingehalten. Seit wir uns in Georgien dazu durchgerungen hatten, es doch vor Wintereinbruch in die Mongolei zu schaffen, sind wir schneller unterwegs als wir eigentlich wollen.

Nach einiger Zeit brechen die Männer auf. Wie schon in Georgien hat einer sich beim Wodka zurückgehalten und fährt den Kleinbus, die anderen sind bei der Abfahrt schon fast eingeschlafen. Wir bleiben zurück und fangen an, das Zelt aufzubauen, die Campingstühle davor zu stellen und den Blick aufs Wasser zu genießen. Langsam leert sich der Platz. Es ist Sonntag abend und das Wochenende ist für die meisten vorbei. Irgendwann kommt noch jemand vorbei und schenkt uns zwei Melonen. Gekühlt wohlgemerkt. Wir strahlen und bedanken uns – gekühlte Melone gibt es bei uns selten und sie ist das perfekte Gericht in der Hitze. Wir schneiden die Honigmelone auf und vertilgen sie komplett. Anschließend sammeln wir aus den umliegenden, abgekühlten, aber nicht komplett abgebrannten Lagerfeuern die Holzreste zusammen und schaffen unser eigenes Lagerfeuer. Wir kuscheln uns in unsere Fleecejacken, schauen aufs Feuer und genießen Ruhe und Entspannung.

Wildcampen in Tadschikistan bei den Seven Lakes

Kopfkino

Diese Ruhe dauert aber nicht lange. Plötzlich stehen zwei Jugendliche vor uns und betrachten uns. Zerlumpt. Sehr arm. Und ich kann den Blick in ihren Augen nicht deuten. Sie sagen etwas, vermutlich auf Tadschikisch. Wir antworten etwas auf Englisch. Sie schauen noch ein bisschen, drehen sich um und gehen wieder. Sie prüfen den Müll der Wochenendurlauber, nehmen ein paar leere Wodkaflaschen mit und verschwinden. Und unser Kopfkino startet…

Wir haben in unseren Medien immer wieder davon gehört und gelesen, wie böse die Welt ist, wie gefährlich und feindlich gesinnt. Wir reichen Westler gegen den Rest der Welt. Und so sehr wir uns in Diskussionen immer wieder gegen diese Weltsicht gewehrt haben, hier im Halbdunklen, allein an einem abgelegenen See am Ende der Welt, die ganze Nacht nur geschützt durch eine dünne Zeltwand, kommt doch Angst auf. Wir bleiben noch lange wach und versuchen, die jeweilige Position der Jugendlichen anhand von Geräuschen und ihrem Taschenlampenlicht zu orten. Glücklicherweise bewegt sich das Licht einen bewachsenen Hang hinauf, also weit weg von uns. Wir schlafen dennoch unruhig.

Am nächsten Morgen ärgern wir uns über uns selbst. Wir haben diese Reise in der Gewissheit unternommen, dass der überwältigende Teil der Welt freundlich ist. Die meisten Menschen sind uns doch ähnlich, leben ihr Leben friedlich, kümmern sich um Familie und Freunde und sind interessiert, aber wohlgesonnen, wenn sie uns treffen. Unsere bisherigen Begegnungen waren alle so – und auch am gestrigen Abend war nichts Dramatisches außer zwei neugierigen Jugendlichen. Das ganze Drama spielte sich ausschließlich in unserer Vorstellung ab und das hat uns den Abend verdorben. Wir beschließen, unsere Imagination in Zukunft besser im Zaum zu halten.

Kaum haben wir die Diskussion darüber beendet, taucht ein junger Mann auf einem Esel auf, der zu uns kommt und uns interessiert betrachtet. Wir lächeln ihn an und schenken ihm die Wassermelone, die wir gestern Abend nicht mehr geschafft, haben. Er freut sich sichtlich und reitet weiter. Wir haben ein bisschen das Gefühl, etwas wieder gut gemacht zu haben. Wir packen zusammen, um das spannende Land Tadschikistan besser kennenzulernen.

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