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Damals, als eine Kanne Tee noch fünf Pfennige kostete

Die Geschichte spielt im Amerika der 50er-Jahre. Für unsere Zwecke schreibe ich sie um und verlege die Handlung nach Deutschland in den 40er-Jahren.

Wir schreiben das Jahr 1941. Ein junger Prediger fährt mit dem Zug von München in Richtung Norden, um eine neue Stelle anzutreten.

Mitten im Niemandsland der Mecklenburgischen Seenplatte hat der Zug eine Panne und muss zwangsweise in einem kleinen Dorf entlang der Strecke anhalten. Es ist unklar, wie lange der Aufenthalt dauern wird. Die wenigen Passagiere vertreten sich die Beine. Unser Prediger beschließt, sich ein warmes Getränk im abgewrackten Gasthof gleich neben dem Bahnhof zu leisten.

Während er auf seinen Tee wartet, kommt ein zweiter Mann in den Gastraum. Vorsichtig, fast ängstlich schaut er sich um und huscht dann schnell zu einem Tisch, der halb verborgen in einer dunklen Nische steht. Im Vorbeigehen kann der Prediger den gelben Judenstern auf seiner verschlissenen Anzugjacke sehen.

Wenige Minuten später erscheint der Wirt, ein kleiner, hektischer Mann mit einer speckigen Schürze um seinen Bauch, die zwei Nummern zu groß scheint. Missmutig schlurft er zu dem neuen Gast und blafft ihn an: „Was wollen Sie?“

„Einen Tee, bitte. Schwarz, bitte, wenn es geht.“

Der Gast spricht so leise, unser Prediger hat Mühe, ihn zu verstehen. Er ertappt sich dabei, dass er genau zuhört – dass er genau mitbekommen möchte, was dort gesprochen wird.

„Ham wer nich. Schwarz ist nur für Nichtjuden. Pfefferminze. Muss ich aber auch erst schauen …“

Unfreundlich schaut der Gastwirt auf den Mann am Tisch herunter. Er erweckt den Eindruck, als würde er diesen Gast am liebsten sofort hinauswerfen. Verächtlich spuckt er neben sich auf den Boden. Unser Prediger hat kurz den Impuls, eine zweite Tasse schwarzen Tee zu bestellen und sie einfach abzugeben.

„Dann ein Glas Pfefferminz-Tee, bitte“. Schüchtern hebt der jüdische Gast den Blick.

„Wie gesagt, muss ich schauen!“

Abwartend und die Hände in die Hüften gestemmt starrt der Gastwirt ihn an. Sein Gesichtsausdruck ist angespannt, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Unwillig dreht er sich schließlich um und verschwindet durch eine knarzende Tür in den dunklen Raum dahinter.

Unser Prediger ringt mit sich, ob er den anderen Gast an seinen Tisch einladen soll. Während er noch abwägt, ob es vielleicht besser wäre, zum Gast an den Tisch zu gehen, kommt der Gastwirt wieder herein.

In der Hand hält er ein siffiges Glas mit einer trüben Flüssigkeit, aus der ein paar grünliche Strunken ragen. Ohne seinen Gast anzusehen, stellt er das Glas grob auf den Tisch.

„20 Pfennig!“

Der Prediger sieht, dass der jüdische Gast um Fassung ringen muss: „Aber das ist ja Wucher! Überall anders kostet ein Tee nur 5 Pfennig und das ist dann auch noch schwarzer!“

Erschrocken verstummt er. Es ist, als ob ihm schlagartig zu Bewusstsein kommt, wo er ist und welchen Status er hier hat.

Der Wirt läuft rot an. Sein Gesicht verzieht sich zu einer hasserfüllten Grimasse und mühsam quetscht er seine Drohung hervor: „Zahl jetzt, du Jude, oder ich zeig’ dich an!“

Zitternd legt der Mann zwanzig Pfennige auf den Tisch. Eine der beiden Münzen fällt ihm dabei auf den Boden. Leise klickernd rollte sie auf dem harten Fliesenboden in die Mitte des Gastraums. Mit rot unterlaufenen Augen starrt der Gastwirt ihn an. Als der Mann sich aus der Bank quetscht, um die Münze zu holen, berührt er den anderen leicht an der Schulter. Angewidert springt der Wirt zurück und keift: „Jetzt hol schon das Geld! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“

Unser Prediger sitzt wie erstarrt Auf Seinem Platz und beobachtet das Schauspiel.

Mit zusammengekniffenen Augen beobachtet der Wirt, wie sein Gast mit zitternden Fingern die Münze vom Boden aufhebt. Wortlos zeigt er auf den Tisch, als der Gast sie ihm geben will. Der Ekel, diesen anderen Menschen auch nur aus Versehen zu berühren, steht im ins Gesicht geschrieben.

Der Prediger hält sein Glas umklammert.

Noch einmal spuckt der Wirt auf den Boden, direkt vor die Füße des anderen. Laut schimpfend wendet er sich wieder seinem Hinterzimmer zu und ist kurz darauf verschwunden.

Der jüdische Gast verlässt den Gastraum, ohne seinen Tee anzurühren.

Der Prediger sitzt immer noch stumm auf seinem Platz. Schließlich steht er langsam auf, legt zwanzig Pfennige auf die Theke und verlässt ebenfalls den Schankraum.

Die Lokomotive scheint repariert zu sein. Rauch steigt aus ihrem Schornstein auf.

Eine Handvoll Fahrgäste schlendert zu den Waggons.

Eine einzelne Frau sitzt auf einer Bank.

Als der Prediger seinen Waggon erreicht, hört er irgendwo in der Ferne einen Hahn krähen.

Jörg „diese Geschichte ist etwas für Bibelkenner“ Peters



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