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Im Fahrwasser der Nazi-Sänger: Propaganda-Unfall bei der SPD

Nationalistische Töne im Überlebenswahlkampf: Unmittelbar nach dem medialen Riesenerfolg der Nazi-Sänger von Sylt adaptierte auch die SPD den Nazispruch.

Noch sind nicht alle Hintergründe zur Besetzung des Sylter Nobellokals "Pony" durch reiche Rechtsextremisten bekannt. Wer hinter der Influencer-Aktion zur Verbreitung von Nazi-Parolen steht, ob der Auftrag aus dem Kreml kam, wie viel Geld aus den Kassen einschlägig bekannter Parteien floss: Alles unklar.  

Schande für Deutschland

Nur die wichtigsten Fakten zur neuerlichen "Schande für Deutschland" stehen fest: Mitten der Festwoche zu Ehren des Grundgesetzes und kurz vor dem Höhepunkt des Wahlkampfes um die Neubesetzung des Europaparlaments ist es jungen Leuten aus besseren Kreisen gelungen, mit dem gezielten Absingen einer Nazi-Parole aus der Zeit lange vor ihrer eigenen Geburt. 

Der mediale Erfolg der Aktion mag die Mitmachenden selbst überrascht haben: Während die pro-palästinensischen Besetzer*innen der Humboldt-Universität in Berlin Mobiliar zerschlugen, antisemitische Losungen brüllten und den Rechtsstaat demonstrativ vorführten, ohne große Aufmerksamkeit hervorzurufen, reichten den Aktivisten auf der Edel-Insel ein paar Liedzeilen und das Herzeigen verfassungswidriger Gesten, um eine Staatsaffäre auszulösen.

Wiedereinmal sind es die Bürgerkinder aus dem alten Westen, die Zweifel an ihrer demokratischen Gesinnung wecken. Ein Mann zeigt mutmaßlich den großen Hitlergruß, ein anderer den sogenannten kleinen. Beide sind dabei völlig unbefangen, sie gehören zu einer Generation, die "die Gnade der späten Geburt" (Helmut Kohl) nicht einmal mehr als leichte Last spüren. Hass, Hetze, Aperol Spritz und vermutlich auch Kokain, die Droge, die schon Hermann Görings Selbstbewusstsein in Unermessliche steigerte, verhelfen ihnen zum Gefühl, die Herren der Welt zu sein, die die Regeln bestimmen und die Ansagen machen.

Schrille Alarmglocken

Im Willy-Brandt-Haus schrillten sofort alle Alarmglocken. Seit weit mehr als 160 Jahren kämpft die SPD nun schon in vorderster Front gegen Rechte, Nazis und Populisten. Und das ist das Ergebnis: Ausgerechnet die, die von den Wohltaten am meisten profitieren, die ihnen der demokratische Rechtsstaat zu Füßen legt - die kostenlosen Interrail-Tickets, die Erasmus-Stipendien und die EU-Mobilfunktarife - beißen die Hand, die sie dickgefüttert hat. 

Wie die DDR, die kurz vor ihrem Ende auch die treuen FDJ-Kader verlor, stand die Kampa der deutschen Sozialdemokratie kurz vor dem Wochenende vor einem strategischen Dilemma: Bedingungslos verurteilen und damit womöglich eine ganze Generation Mitte-Nazis aus den Wohnvierteln des Bionadeadels verlieren? Oder Anschluss suchen an eine Jugendbewegung, die sich offenbar weigert, auf die "stärksten Stimmen für Europa" zu hören?

Die Wahlkampfzentrale der ältesten deutschen Partei reagierte prompt. Seit Martin Schulz vor sieben Jahren zum ersten Mal die nationale Karte spielte, um am rechten Rand zu punkten, hat sich die SPD in vielerlei Hinsicht radikalisiert. Generalsekretär Kevin Kühnert rief zum Aufbau des Kommunismus auf, ein Parteitag sang beseelt die alte Schlägerparole "Rot Front!" und die Spitzenkandidatin im Europawahlkampf ließ sich ein corporate design schneidern, das als zentrales Erkennungsmerkmal den Stern der früheren Sowjet-Armee nutzt. 

Zugleich zeigte sich die Partei aber auch nach rechts offen: Der sächsische Parteichef Martin Dulig zitierte mit der Parole "Sachsen ist unser Land" die Nazi-Initiative "Ein Prozent". Wenig später machte sich der Kanzler selbst Remigrationspläne der extremen Rechten zu eigen, indem er ankündigte, "in großem Stil abschieben" zu wollen.

 Punkten am rechten Rand

"Ausländer raus" also, eine der ekligen Forderungen der Partypeople von Sylt. Nach dem viralen Erfolg des Pony-Videos schaltete die SPD angesichts deprimierender Umfragewerte umgehend auf Attacke. "Deutschland den Deutschen" heißt es auf einem Plakat, das über die sozialen Netzwerke verbreitet wird. Eine Übernahme aus dem historischen Hetz-Vorrat der NPD. 

Der kleiner gedruckte Satz "die die Demokratie verteidigen" verweist allerdings darauf, dass die Sozialdemokraten weitergehende Pläne haben: Deutschland soll nur noch denen gehören, die die Demokratie verteidigen. Wer das nicht tut, wird gehen müssen, sobald die SPD die für entsprechende Grundgesetzänderungen notwendigen Mehrheit beisammen hat.

Ausbürgerungen, der Entzug der Staatsbürgerschaft, angekündigt ausgerechnet im Internet, das unter besonderer Beobachtung einer erst jüngst gegründeten Früherkennungseinheit des Bundesinnenministeriums steht. All das wäre eigentlich ein ausreichender Beleg für die Feststellung, dass rechtes Gedankengut keineswegs nur bei den Alten und Abgehängten im ostdeutschen Sachsen und beim einkommensstarken Millionärsnachwuchs auf Sylt zu finden ist, sondern auch mitten in der Fortschrittsmetropole Berlin, direkt in der Parteizentrale der größten Regierungspartei. 

Bedauerlicher Propaganda-Unfall

Aber nichts passiert, bis die Partei selbst den Versuch, nach Rechtsaußen Anschluss zu finden, schließlich als bedauerlichen Propaganda-Unfall deklariert.  Ein Klick, und die Anbiederung an die Nazi-Sänger*innen von Sylt war gelöscht. Niemand wird für die mutmaßlich volksverhetzende Parole angeklagt und verurteilt werden. Nicht einmal Demonstrationen einer breiten bürgerlichen Mehrheit gegen die Remigrationspläne wird es wohl geben. Was bleibt, ist eine weitere Facette einer schleichend um sich greifenden Normalität des Bösen:



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