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Polit-Barock mit Ricarda Lang: Inszenierung einer Illusion

Wie von Kümram gemalt: Grünen-Chefin Ricarda Lang (30) mit ihrem Verlobten Florian Wilsch. Abb: Kümram, Öl auf Regenwaldholz

Ein Moment der Stille, der Entspannung, des Innehaltens. "Kurz mal Kraft tanken zwischen vollen Tagen auf Wahlkampftour, ❤️", fasste Grünen-Chefin Ricarda Lang ihre Empfindungen zusammen, nachdem ein nicht genannter Begleiter ein Schnappschuss von ihr und ihrem Verlobten gelungen war, der so ganz anders ist als die üblichen Auftritte der womöglich jüngsten politischen Schwergewichts der Transformationsrepublik.  

In enge Bänke gepresst

Der Betrachter des wie von Kümram komponierten Gemäldes sieht Lang in eine der engen Bänke der Deutschen Bahn gepresst, ein Nothammer an der Waggonwand über ihrem Kopf verrät glühend rot, wie kritisch die Situation jeden Moment werden kann. Für Jesus war es das Kreuz, bei Lang ist es die Marter der Zweiten Klasse. Draußen fliegt grün eine Landschaft vorbei, die dem unausweichlichen Ende zugeht. Und trotz des reichlich verschmierten Weichzeichners: Auf dem Tisch präsentiert Ricarda Lang in diesem Augenblick, in dem sie sich unbeobachtet fühlt, die Verantwortlichen für die Malaise, in der sich die Menschheit befinden.

Ein iPhone liegt dort, dessen Kopfhörerkabelspur sichtbar direkt zur 30-jährigen Spitzenpolitikerin führt. Daneben ein Wegwerfkaffeebecher, ein ausgestellter Sündenfall, der fünf Jahre nach der Ausrufung des Klimanotstandes in Konstanz am Bodensee auf den ersten Blick ewiggestrig scheint. Ricarda Lang aber, ein politisches Jahrhunderttalent, ist eben keine aus der Kaste der abgehobenen Bionade-Elite, die dem Volk mit strenger Kasteiung beweisen wollen, dass es sich sehr gut ohne McDonalds, Kaufhäuser, Elektromobilität und 40-Stunden-Woche leben lässt. Ihre Vorstellung von grüner Politik ist es nicht, die Menschen von oben herab durch bessere Beispiele zu belehren, bis sie die Unausweichlichkeit des Wandels begreifen. Ricarda Lang steht viel mehr für ein festes Vorgabesystem, das auch Verfehlungen zulässt, gerade dort, wo Menschen sich wie sie selbst besonders für unsere Gesellschaft engagieren.

Nicht alles richtig

Lang, im politischen Berlin häufig als "LWB" verunglimpft - eine bösartige Beschimpfung, die Beobachtern zufolge für "lang wie breit" steht - zeigt, dass sie selbst eine ist, die noch längst nicht alles  richtig macht. Der Verzicht auf das Fairphone, die Unterwerfung unter die von der EU immer wieder harsch kritisierten Geschäftspraktiken eines gigantischen US-Monopolisten und der Pappbecher, der allen geltenden Vorschriften zufolge von ihr selbst hätte ersetzt werden können sollen durch einen mitgeführten traditionellen Henkelmann: Lang zeigt sich nahbar, fehlbar, ein Mensch wie manch anderer.

Dort, wo man sich der Frau, die noch so viel vorhat, schon immer nahe fühlt, entzündete das Bild herzliche Fantasien. "Auf einer Zugfahrt entspannt sich Ricarda Lang und schließt die Augen, angelehnt an ihren Partner", dichtete das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" angesichts des für die sozialen Netzwerke inszenierten Fotos. Neben solcher Art Zuspruch regt sich jedoch auch Kritik von denen, die den Grünen ihren Erfolg neiden: Wegen des Einwegbechers wird die Grünen-Chefin als Umweltsünderin angegriffen. Und wegen ihres offen auf dem Tisch liegengelassenen Smartphones als allzu vertrauensselige Person bezeichnet. "Im richtigen Leben wäre das nach fünf Minuten weg."

Inszenierung einer Illusion

Die Inszenierung einer Illusion, sie funktioniert offensichtlich auf allen Ebenen. Lang, die auf dem Bild so wenig schläft wie ihr Verlobter, wird dank ihrer für die Aufnahmen geschlossenen Augen als eine Art Schlafende wahrgenommen. Ihr Handy gilt damit, ungeachtet des Fotografen, der sich auf dem Nachbarsitz befindet und seine Augen ganz offensichtlich offen hält, als leichte Beute. Der Kaffeebecher schließlich, als Trigger in die Komposition gestellt, um Aufregung und damit eine weite Verbreitung sicherzustellen, bezeichnet der "Spiegel" wunschgemäß als "Detail, das die Grünenchefin wohl übersehen" habe.

In Hamburg halten sie die beiden Personen auf Sitz 125 und 126 für Reisende, die in einem besonderen Moment der privaten Innerlichkeit ertappt worden sind wie es auch Kevin Kühnert damals geschah, als er für die sechsteiligen ARD-Dokusoap "Kevin Kühnert und die SPD" vor der Kamera stand und immerzu rauchen musste, damit das Publikum sich an Helmut Schmidt erinnert fühlte. Das bekannte Wahlkampfmanöver, sich vermeintlich ungeschützt und echt zu zeigen, erfährt über das Nachrichtenmagazin und sämtliche anderen angeschlossenen Abspielanstalten höchste Anerkennung und bewundernde Verbreitung. 

Pärchenfoto voller Liebe

Ein "Pärchenfoto", nennt es das teilstaatliche Portal T-Online bewundernd, einen "intimen Moment" lang schaut der Kölner "Express" "mit Unterstützung Künstlicher Intelligenz" (Express) schonungslos in die traditionelle Zweierbeziehung der beiden Verlobten. Deren individuelle Verantwortung für die Klimakatastrophe mag nicht wegzudiskutieren sein. Der CO2-Fußabdruck gerade von Wahlkämpfenden gilt weltweit als außergewöhnlich groß, ihre Möglichkeiten aber, den damit verbundenen Verbrauch an unwiederbringlichen Ressourcen einzuschränken, wird begrenzt durch die Notwendigkeit, nah zu den Menschen zu kommen, um sie dort abzuholen, wo sie sind.

Ricarda Langs Presseteam ist es gelungen, diese vielen Widersprüchlichkeiten in einer Inszenierung zu vereinen. Wenn eines Tages etwas bleiben wird von der Ära der Filderstädterin, dann wird es womöglich dieses eine Bild sein, das sich eingebrannt hat in die Erinnerung einer dankbaren Nation.



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