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EU-Migrationspaket: Innen an den Außengrenzen

Eine EU-Außengrenze von außen. Innen kommt dann das Lager an der Außengrenze hin.

Das wird ein Quantensprung, ein Neuanfang, ein gemeinsamer großer Wurf. Neun Jahre nach der für "in 14 Tagen" angekündigten europäischen Lösung für das Zustromproblem Europas ist es nun so weit: Auch das EU-Parlament in Brüssel hat dem EU-Migrationspaket kurz vor Dienstschluss noch zugestimmt.

Schärfere Regeln

Die "schärferen EU-Asylregeln" (Spiegel) sind damit "endgültig beschlossen". Nach einem Jahrzehnt des Streits und des Haders greifen nun bald nicht nur Unterstützungsmaßnahmen für EU-Staaten, in denen besonders viele Migranten ankommen, finanziert von denen, die niemanden aufnehmen sollen. Sondern auch sogenannte "schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen", eine magische Idee aus dem Mai vergangenen Jahres, die sich an der britischen Ruanda-Lösung orientiert, ohne allerdings das gleiche Maß an brutaler Unmenschlichkeit so demonstrativ heraushängen zu lassen, dass Reiselustige in aller Welt ihre Pläne ändern.

Ja, es ist zweifelsohne die wichtigste Änderung im Vorfeld der anstehenden EU-Wahlen: Ein Teil der Asylverfahren soll künftig "direkt an den Außengrenzen" stattfinden. Wer aus einem Land mit einer niedrigen Anerkennungsquote kommt, muss dort ausharren, bis wie früher nach ganz individuellen Gesichtspunkten über seinen Antrag entschieden ist. 

Das soll ganz besonders flott gehen, ein paar Wochen, dann steht das Urteil. Anschließend, so ist es geplant, führt der negative Bescheid sofort zur Abschiebung. Die Mitgliedstaaten hoffen, so abschreckende Beispiele dafür zu schaffen, dass sich sogenannte irreguläre Migranten gar nicht mehr auf den Weg machen, weil sie wissen, dass nach ein paar Wochen Lagerhaft "an der Außengrenze" die Heimreise ansteht.

Strong against smugglers

Ein "Eigentor" nennt das teilstaatliche Portal T-Online, der Deutschen liebste Nachrichtenquelle, die Sprachformel, deren Verabschiedung EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola zum "historischen Tag" erklärt hat, weil sie "strong against smugglers" sei. Ein starkes Zeichen nach innen wird damit gesetzt, denn die in Deutschland standardmäßig benutzte Formulierung "an den Außengrenzen" soll betonen, dass niemand reinkommt, der gleich wieder rausmuss. 

"These migrants will not be allowed to enter the country's territory and instead be kept at facilities on the border", umschreibt es die Asylum Procedures Regulation (APR) genannte neue Regelung auf Englisch. Wegen geringer Chancen auf Asyl aussortierten Schutzsuchenden wird also nicht erlaubt, das Territorium der EU zu betreten.

Die "Asylverfahren an den Außengrenzen" finden damit also wohl in Nachbarstaaten statt, die nicht zu EU gehören, Bosnien, Albanien, Mazedonien, Norwegen und die Schweiz  hätten dann die Lager zu bauen, in denen die Schnellverfahren in höchsten zwölf Wochen stattfinden. 

"An den Außengrenzen", betont die "Zeit", drohe damit "ein härterer Umgang mit Migranten", denn "jede und jeder muss nach der neuen EU-Asylreform künftig an den EU-Außengrenzen strikt kontrolliert und registriert werden". Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU habe, werde ein rechtsstaatliches Asylverfahren "an den Außengrenzen" durchlaufen und im Fall einer Ablehnung von dort direkt nach Hause zurückkehren müssen.

Keine Lager außerhalb

Dass von Verhandlungen mit den künftigen Lagerländern bisher so wenig zu hören war, wo doch die Reform die irreguläre Migration begrenze und die Länder, die besonders stark betroffen seien, wie der Bundeskanzler freut kommentiert, liegt an einem Kniff, der aus der Übersetzung der  Abschottungsrevolution in die Formulierung vom "wirksamen Grenzschutz an den Außengrenzen" nicht sofort ersichtlich wird. 

Denn Lager außerhalb der EU wird es nicht geben, mit "an den Außengrenzen" ist in Wirklichkeit "innerhalb der Außengrenzen" gemeint - wer kommt, darf weiter herein, ein echter Zaubertrick, wie ihn vielleicht wirklich nur die EU zu bewirken vermag, verleiht ihm jedoch gleichzeitig den Status "legal fiction of non-entry". Er ist zwar faktisch drin. Aber praktisch weiter draußen.

Ein Rezept auch gegen die extremen Rechten, die bei der Europawahl in mehreren EU-Staaten zu triumphieren drohen. Eine EU-Lösung aber vor allem, die quantenphysikalische Qualitäten hat. Es wird keine Verlegung von Asylverfahren in Drittstaaten geben, aber auch keinen Zustrom mehr, der in den Mitgliedsstaaten mühsam verwaltet werden muss. Das Aufatmen in Brüssel sei groß, berichtet T-Online, auch wenn "viele rechtliche Fragen sind noch offen" seien. 

Geklagt darf weiter werden

Denn dass sich ein Asylsuchender in einem Land befindet und nicht in einem anderen, verändert seine Rechtsstellung: Ein Mensch, der im Sudan, in Afghanistan oder in Bangladesch einen Asylantrag an deutsche oder Behörden anderer EU-Staaten stellt, kann gegen eine Ablehnung nicht klagen. Wer aber erst einmal den Boden der Gemeinschaft betreten hat, kann sich auf Artikel 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen, nach dem jeder, der vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in seinem Herkunftsland flieht, ein Anrecht auf Schutz hat.

An den Außengrenzen, aber im Land, wenn auch als mit der juristischen Fiktion der Nichteinreise vorsortiert, ändert nichts am Recht auf den Rechtsweg. Das Bundesinnenministerium bestätigt das: Richtig sei, dass auch "in Außengrenzverfahren Asylanträge nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geprüft" würden und alle Schutzsuchenden bei Ablehnung ihres Antrags Klage erheben könnten. "Zudem kann im Außengrenzverfahren ein Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage gestellt werden, bis zum Abschluss der gerichtlichen Prüfung dieses Antrags werden Schutzsuchende nicht zurückgeführt."

Außengrenzen mit allen Rechten

"An den Außengrenzen" bedeutet also genaugenommen innerhalb der Außengrenzen, mit allen Rechten, denn die "Grenzverfahren nach der Asylverfahrens-Verordnung werden an den Außengrenzen ausschließlich von EU-Mitgliedstaaten auf deren Hoheitsgebiet und nicht in Drittstaaten durchgeführt", wie das Bundesinnenministerium Gerüchte zurückweist, die von der zuletzt boomenden Pflichtformulierung ausgelöst wurden.

Gerüchte, die Innenministerin Nancy Faeser selbst befeuert hatte, als sie auf dem Höhepunkt der AfD-Umfrageerfolge im letzten Herbst "Asylverfahren außerhalb der EU" in Erwägung zog und versprach, dass die Bundesregierung prüfen werde, "ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann". 

Ein Ergebnis wurde nicht bekannt und nun wird es auch nicht mehr gebraucht. Mit der Verkündung der Reform ist Druck aus dem Thema raus, wenigstens für die Zeit "innerhalb der nächsten zwei Jahre" bis zur "Umsetzung" (DPA) der Regeln, die immer schon galten, an die sich nur niemand hielt.



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