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Der Rattenfänger: Volk voller Schädlinge

Mit seinem Ratten-Vergleich reiht sich der Bundespräsident ein in eine lange Reihe von Politikern, die Wähler mit Tiervergleichen verächtlich gemacht haben.

Was haben sie ihn nicht immer wieder verlacht, als seine großen Ambitionen so traurig scheiterten. Als "Luftballonverkäufer" musste sich Frank-Walter Steinmeier verunglimpfen lassen, als billiger Nachbau Gerhard Schröders aus Rudolf-Scharping-Teilen und als Schneeeule Der Deutschen Sozialdemokratie. Als er seinen zweiten Vornamen "Walter" abzulegen plante, um im Kampf um das Kanzleramt jünger und frischer zu wirken, brandete Hohngelächter durchs Land. Als das Bundesverfassungsgericht ihm bescheinigte, die Verfassung gebrochen zu haben, schien er kurz zu wackeln, denn bei Foltervorwürfen sind die Deutschen meist empfindlich.  

Posten als Mahnungsproduzent

Doch der Niedersachse, der es schafft, schmierig und endfest zugleich zu wirken, überstand alle Stürme, Niederlagen und Kurskorrekturen. Bis ins Kanzleramt reichte es nicht, doch bei der Parteineuordnung fiel immerhin das Amt des Bundespräsidenten ab. Diese bei aktiv gestaltenden wollenden Politikern als Frühstücksdirektorenamt verachtete Planstelle kam für Frank Steinmeier gerade recht: Hier würde er sein reines, niedersächsisches Deutsch verwenden können, seinen Blick, sein weißes Haar und sein Talent, Mahnungen und Warnungen zu produzieren, während er auf der Suche nach entsprechenden Anlässen um die Welt reist. 

Ein Mann, der zum Glücksfall für die große Koalition, danach aber auch für die Ampel wurde. Steinmeier stört nicht und er stört niemanden, der unter ihm regiert. Er taucht auf, wenn er gebraucht wird, etwa um die Feiertage herum, wo er eine mahnende Rede hält, die auch mit Warnungen nicht spart. Er kümmert sich um den Neuaufbau des Bellevue-Palastes in Berlin, dafür muss Geld da sein. Und er reagiert wie ein Seismograph auf die gesellschaftliche Thermik: Frank Steinmeier spürt das Beben in der Macht. Und er waltet umgehend seines Amtes.

Keine Ruckrede, nie

Keine Ruckrede kam ihm je über die Lippen. Kein Gesetz hielt er je für verfassungswidrig. Steinmeier ist ein Bundespräsident, der Dankbarkeit dafür ausstrahlt, dass er es sein darf. Nicht nur wegen seines weißen Haarschopfes wirkt er stets, als würde er mit der Tapete verschmelzen. Ein großer, auffällig unauffälliger Mann, dessen einzige Macht die des Wortes ist. Mit dem er nun aber ausgerechnet nicht besonders gut umzugehen weiß.

Der Mann, den seine Partei noch nach seinem Amtsantritt gegen alle politischen Gepflogenheiten selbstbewusst als SPD-Mitglied feierte, steht auf der richtigen Seite der Brandmauer, so sehr richtig, dass er nicht einmal mehr merkt, was ihm seine Redenschreiber an Nazi-Jargon unterschieben.

Eben erst hat Frank Steinmeier einen großen Teil der Bevölkerung im Land als "Ratten" bezeichnet: "Wir lassen uns dieses Land nicht von extremistischen Rattenfängern kaputtmachen", kündigte er im Pluralis Majestatis an, ließ aber in diesem einen Satz keinen Zweifel daran, wie er aus den Fenstern seines Schlosses aufs Land schaut.

Die Ratten der Fänger

Dort sind sie, die Rattenfänger, die der Logik der deutschen Sprache nach so heißen, weil sie Ratten fangen. Welche Ratten könnten das wohl sein? Sind es wieder Sinti, Roma oder Juden, wie beim vorletzten Mal, als Tiervergleiche in Deutschland Konjunktur hatten? Oder sind es erneut die "nagenden Ratten am Fundament des Sozialismus", über die sich die seinerzeit gerade mit der SPD über  Ideologien und gemeinsame Sicherheit verhandelnde SED so empörte? Ist Trump die Ratte, die aus ihren Löchern kriecht? Oder darf Elon Musk mal wieder?

Menschen als Tiere zu bezeichnen und Menschen mit abweichenden Ansichten als Ratten, das hat in der deutschen Sozialdemokratie eine lange und schöne Tradition. Schon 2007 bezeichnete der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck die Parteifunktionäre der Linken als "Rattenfänger", die Wähler der Partei mithin als Ratten.  Der spätere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warb 2013 um Stimmen, indem er Wählerinnen und Wähler davor warnte, "irgendwelchen Rattenfängern hinterherzulaufen". Dies erst verwandle anständige Menschen wie von Zauberhand in schmutzige, verachtenswerte Geschöpfe, denen nur noch geschlossene gesellschaftliche Verachtung und konsequente Ausgrenzung zurück auf den richtigen Weg helfen kann. 

Menschen als Tiere

Menschen als Tiere, Menschen als Schädlinge, so eingeordnet vom ersten Mann im Staate, der sich für seine Beschimpfung stumpfer Stereotype bedient, mit denen es ihm gelingt, Vorurteile über Ratten zu perpetuieren, die von der Wissenschaft längst widerlegt sind. Die von Populisten seit den Tagen der Pest bemühte Geschichte des "Rattenfängers", hinter dessen Tun leicht die antisemitische Motivation durchscheint, hält immer noch am ehesten her, wenn Spitzenpolitiker nach einem Muster für einen diffamierend gemeinten Tiervergleich suchen. 

Von "Richard Wagners Meistersinger-Demagogie" (Thomas Mann) über Johannes Rau bis zu Frank Steinmeier führt eine lange Straße, an der die Willenlosen, Denkbefreiten und zu eigenen Entscheidungen Unfähigen Spalier stehen. "Wer am Rand der Gesellschaft steht, der wird leichter zum Opfer politischer Rattenfänger, die auf alles eine Antwort und für nichts eine Lösung haben" hat Steinmeiers Vorgänger Rau 2001 bereits festgestellt, um Ekel und Abscheu vor Menschen bestimmter Gruppen zu schüren. Die altehrwürdige Tradition, den politischen Gegner im öffentlichen Diskurs mit Ungeziefer aller Art zu vergleichen, lebt weiter.




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