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Manipulation: So entstehen frohe Botschaften für Stromkunden

Was nach einem verrutschten Komma aussah, diente natürlich einem höheren Zweck.
 

Auf den ersten Blick schien es ein Systemausfall zu sein, eine Kommaverschiebung Richtung Volkszorn, nur so dünn mit Fakten lackiert, dass selbst der unvorbereitet zugeschaltete Empfänger sich besorgt fragen musste, was da los ist in der Meisterwerkstatt für mediale Manipulation (MMM), für deren hervorragende Arbeit das Zweite Deutsche Fernsehen seit Jahren gelobt und mit Preisen bedacht wird. Dort, in Mainz, wissen sie genau, wie man Fakten ohne jeden Bezug präsentiert, Tatsachen ausblendet, wenn sie stören, mit falscher Betonung arbeitet oder Ereignisse so kontextualisiert, dass sie ganz anders wirken als sie es täten, berichtete man ausschließlich Fakten.

Experten des Metiers

Dass ausgerechnet diese Experten des Metiers, Vorbild für viele, viele andere Häuser, sich einmal bei  zentralen Schlüsselinformationen vertun, ohne es zu wollen, schien unvorstellbar. Der Sendeauftrag lautet schließlich nicht, gut zu informieren, sondern bei gewöhnlichen Gemeinsinnsendernutzern das Gefühl zu erzeugen, gut informiert zu sein, obwohl die für ein Grundverständnis zentrale Information gar nicht mitgeliefert wird.  

Die aber waren nun aufgeschreckt, hatte das ZDF doch in seiner Reihe "So schlecht geht es den Nachbarsstaaten" die sensible Strompreisfrage aufgegriffen und geschildert, welchen fürchterliches Schicksal Millionen Franzosen droht. Die hatten  den leeren Versprechungen ihres Präsidenten geglaubt, dass Kernkraft Elektroenergie zu niedrigen und stabilen Preisen erzeuge. Nun aber, so das ZDF, seien "die Kosten für den bisher günstigen Atomstrom sind explodiert. Für Haushalte bedeutet das künftig höhere Stromrechnungen".

Zahlentrick des ZDF

Und wie hoch! Die Meisterwerkstatt, deren beste Arbeiten im Wahrheitsmuseum im Spreewald ausgestellt sind nutzte diesmal den Zahlentrick. Nach einer Rundflug über die Lage - "der Preis für Atomstrom in Frankreich ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen" -  müssten Haushalte in Frankreich für Atomstrom künftig noch "tiefer in die Tasche greifen". 

Weil der staatliche Atomkonzern EDF Schulden von fast 65 Milliarden Euro habe - umgerechnet ein Viertel EEG-Gesetz - werde der bisher bestehende Preisdeckel für Atomstrom aufgehoben. Der Atommonopolist müsse seinen Strom nun nicht mehr wie bisher für 42 Cent Pro Kilowattstunde und damit "deutlich unter den Produktionskosten" verkaufen. Sondern er dürfe "rund 70 Cent die Kilowattstunde" nehmen.

Staunen beim Strompreisweltmeister

Frohe Botschaft für deutsche Stromkunden.
Selbst im Land des Strompreisweltmeistern, wo derzeit etwas mehr als 42 Cent pro Kilowattstunde gezahlt werden müssen, weil die Preise erst demnächst dank Sonne und Wind steil abstürzen werden,  sind das Horrorzahlen. Kaum tröstlich, dass der französische "Staat Preisspitzen über die 70 Cent hinaus ausgleichen" will, wie Wirtschaftsminister Bruno Le Maire bei der Vorstellung des des großen Preissprunges erläuterte. 

Wenn die deutschen Strompreise eine Elektrifizierung des ganzen Landes bereits unmöglich machen, weil die Kosten für E-Autofahrer und Heizpumpenbetreiber einfach zu hoch sind, dann werden das die französischen nun erst recht tun. Was aber, so die Sorge überall, wird dann aus den EU-Klimaplänen? Wie kann Europa weiter an seiner großen Transformation arbeiten? Wird Frankreich nun umkehren von seinem atomaren Irrweg und seine fatale Abhängigkeit von der Kernkraft beenden?

Der Trick im Trick

Fragen, die das ZDF in seinem Text über das französische Strompreisdesaster mutig aufwarf. Doch die üblichen Hetzer und Erbsenzähler fühlten sich provoziert: Binnen weniger Stunden hatten sie - womöglich mit Hilfe russischer Bots - eine Kampagne losgetreten, die das ZDF zwingen sollte, seine Berichterstattung zu ändern. EDF verkaufe eine Kilowattstunde Strom künftig nicht für 70, sondern für sieben Cent. Das bereits mehrfach von regierungsnahen Adressen ausgerufene "Ende der Billigstromära in Frankreich" (FR) bedeute, dass der Großhandelspreis für Elektroenergie in Frankreich künftig etwa auf dem deutschen Niveau liege.

Aufmarsch der Aufgeregten

Die Aufregung war groß. Zweifler und Skeptiker des Systems des öffentlich-rechtlichen Gemeinsinnfunks meinten, einer Manipulation auf die Spur gekommen zu sein. Andere forderten eine Pisa-Studie für ZDF-Redakteure und umfassende Nachschulen in Kommafragen. Für einen Medienkoloss, wie er in Mainz steht, reagierte das ZDF aber schnell, entschieden und klug im Sinne des Senderauftrages: Der bemängelte Bezug auf die die Kosten von 70 Cent pro Kilowattstunde, mit dem deutsche Stromkunden über die eigenen vermeintlich hohen Kosten hinweggetröstet werden sollten,  wurde nach der Reklamation der selbsternannten Wahrheitswächter korrigiert. 

Aber auf eine Weise, die den raffinierten Plan der MMM-Macher verrät: Nun keineswegs von einem bisherigen Preis von 4,2 Cent pro Kilowattstunde die Rede und ebenso wenig von einem neuen Preis von 7 Cent pro Kilowattstunde. Nein, die Manipulationsmeister in Mainz entschieden, nunmehr nur noch Bezug auf Preise  pro Megawattstunde zu nehmen: 42 Euro habe eine bisher gekostet, 70 seien es künftig. Auch das klingt bedrohlich und nach kaum zu bezahlen, weil kaum ein Mütterchen Mega- und Kilowattstunden umrechnen wird. 

Verzicht auf Vergleiche

Selbstverständlich verzichtet die MMM in gewohnter Weise auf einen Vergleich der künftigen französischen Strompreise mit denen, die in Deutschland zu zahlen sind. Zu viel würde kaputtgehen und an Vertrauen zerstört werden, verweise ein den polnischen "Staatssender" (ZDF) ähnlich verfasstes Medienhaus darauf, dass der Verbraucherpreis beim Strom in Frankreich nur knapp mehr als halb so hoch ist wie in Deutschland und er selbst nach einer Erhöhung um 30 Prozent immer noch bei unter zwei Dritteln des deutschen Preises liegen würde. Die Botschaft soll sein, wie gut hier regiert und wie klug hier geführt wird. Daran können widersprechende Fakten nicht rütteln dürfen.



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