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Wahl zum Unwort: Triumph der rechten Kungelrunden

"Remigration" ist als sogenanntes "Unwort des Jahres 2023" ausgerufen worden, für ein Jahr also, in dem es der normalen Bevölkerung weitgehend unbekannt war. Erst Stunden vor der Jury-Entscheidung brach deutschlandweit ein Remigrationsfieber aus, von Kanzler bis Klimaminister, von Gewässerverband bis zur gesamten Tagespresse herrscht seitdem Trauer, Wut und Scham. Kaum dass sich noch die ins Offene des Debattenraumes wagen, die eher einen anderen Begriff als den für die öffentliche Diskussion bedeutsamsten des vergangenen Jahres gesehen hätten.  

Mit der Wahl zum "Unwort" wurde Remigration Millionen Menschen bekannt.
Die vor allem als Körperleserin und Bedeutungsforscherin bekannte Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech erklärt im Interview mit PPQ, wie der eigentlich ideologiefreie Begriff von Sprachexpert*innen missbraucht und als rechte Kampfparole popularisiert. Hahnwech, die früher unter anderen reden der Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Propagandistischen ins Deutsche übersetzt hat, ist überzeugt, dass ein kritischer Blick auf die Sprachexpertenbranche helfen kann, Lügen zu entlarven.

PPQ: Wie sehen Sie das Wort "Remigration"? War es Ihnen schon vor dem vergangenen Montag bereits im Alltag begegnet?

Hahnwech: Vielleicht irgendwo, aber ohne Dass ich es abgespeichert habe. Ich bin ja kein Abschiebeexperte wie etwa unser Kanzler, mein Fachgebiet ist ein ganz anderes. Ich musste also am Montag viele so viele Millionen Bürger und die meisten meiner Sprachforschungskollegen erst einmal googel. (lacht) Nun, seit weiß ich: Sprachwissenschaftlich bezieht sich der Begriff tatsächlich ja auf "Migration", er besagt nur eben genau das Gegenteil. Migration wiederum ist nicht anderes als das eine hochtrabend vom lateinischen migratio abgeleitete Variante des Wanderung. Weder an dem einen Wort noch an dem anderen ist etwas Böses oder Verwerfliches.

PPQ: Wie entstand denn aber überhaupt das Bedürfnis, Wanderung als "Migration" zu bezeichnen? Der Begriff ist doch da?

Hahnwech: Da müssen wir etwas zurückschauen. Die "Wanderungen", um die es hier geht, sind ja schon etwas speziellerer Natur. Um es mit der früheren Kanzlerin zu sagen: Es geht um einen Zustrom, deshalb auch der Begriff Zu-Wanderung, der sich aus dem früher gebräuchlichen "Einwanderung" gebildet hat bzw. daraus gebildet wurde. Wir sehen schon an dieser Begriffsgeschichte, dass es um eine beständig notwendige Verschleißreparatur geht: Wenn ein Begriff sich als Bezeichnung für einen Sachverhalt eingebürgert hat, dieser Sachverhalt aber negativ konnotiert ist, muss das entsprechende   Wort nach einer gewissen Zeit durch ein anderes ersetzt werden.

PPQ: Um was zu erreichen?

Hanhwech: Es geht gewissermaßen immer um einen sprachlichen Neuanfang in der Hoffnung, mit einer neuen Bezeichnung die alte Bedeutungsbelastung loszuwerden. Nach dem 11. September 2001, die Älteren werden sich erinnern, wurden aus die dahin gebräuchlicherweise als Moslems bezeichneten Korangläubigen plötzlich Muslime, aber das war nur die vorläufige Kette einer seit Jahrhunderten anhaltenden Umbenennung. Zuvor gab es ja schon die "Muselmanen", die "Mohammedaner", "Islamiten" und "Sarazenen". Und seitdem ist der "Islamist" noch dazugekommen, der im Grunde den Teil der im Westen oft schwer zu erklärenden Kultur trägt, den niemand so recht versteht.

PPQ: Kommen wir zurück zur Remigration. Diese Silbe "Re" bezeichnet also nur die Gegenbewegung zur Migration, die wiederum eine Ersatzvokabel ist für Wanderungsbewegungen, die als Zuwanderung nur noch schlecht zu verkaufen sind?

Hahnwech: Darum handelt es sich eigentlich. Sehen Sie, bei N-Wort, S-Wort und M-Wort hat sich gezeigt, dass eine Gesellschaft unfassbar aufgebracht auf sprachliche Schutzmaßnahmen reagiert, wenn bestimmt Begriff ausreichend mit Hass aufgeladen werden. Das M-Wort verdankt sich ja ursprünglich der hohen Verehrung der Menschen für die medizinischen Kenntnisse der Mauren, man widmete diesen bewunderten Menschen Wappen und benannte Straßen und Geschäfte nach ihnen. Dennoch gelang es dann in der Sprachmoderne, in diesen Gesten Hassbotschaften zu entdecken, Verachtung und den Versuch, diese Vorbilder lächerlich zu machen. 

PPQ: Sprache verändert Bedeutung?

Hahnwech: Genau. Deshalb ist das Wort "Remigration" auch im sprachwissenschaftlichen Umgang nicht unproblematisch: Migration stammt ja nicht aus einem ideologiefreien Kontext, sondern ist ein wissenschaftliches N- oder S-Wort, mit dem sich die danach benannte soziologische Migrationsforschung beschäftigt. Denken Sie nur an den berühmten Uno-Pakt für Migration von 2018, das ja so genannt worden war, weil man ihn angesichts grassierender Stimmungen schlecht Pakt für Zuwanderung nennen konnte. Letztlich wird Migration nie rein deskriptiv verwendet wird für Phänomene, die eigentlich harmlos sind, nämlich dass es viele Zuwanderer gibt, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Nein, Migration taucht meist dort auf, wo vom Kern der Dinge lieber nicht  geredet wird.

PPQ: So wie Sie es beschreiben, ist der Begriff Migration also eher eine sprachliche Tarnung, im Grunde genau das, was für die Erfinder des Begriffes ,Unwort" ein Unwort ausmacht?

Hahnwech: Selbstverständlich. Ursprünglich nennen wir in der Sprachwissenschaft Begriffe "Unwort", die schlecht gebaut sind, unglücklich zusammengeschraubt, gut gemeint, aber im Gebrauch viel zu kantig. Viel davon wird produziert, aber schnell wieder verworfen. Es geht immer darum, sprachlich vorn zu bleiben, also Begriffe zu benutzen, die für Kopfschütteln sorgen. So lange die andere Seite nachschlagen muss, worum es geht, haben Sie den Diskussionsverlauf in der Hand. Dass Menschen im Lauf ihres Lebens die Entscheidung treffen, ihr Heimatland zu verlassen, aus ganz unterschiedlichen Gründen, macht sie ja keineswegs gleich in irgendeiner Weise. Das sind dann eben Zuwanderer, die einen aus dem Grund, der andere aus dem. Doch wenn es Ihnen gelingt, sie alle in einen sprachlichen Sack zu stecken, auf dem ,Migration' steht, dann haben Sie die Deutungshoheit über alles andere.

PPQ: Warum aber denn dann nun diese geradezu epochale Aufregung und Empörung über diese Remigration, vor der die meisten Menschen, selbst wenn sie aufmerksame Spiegel-Leser sind, noch nie gehört hatten?

Hahnwech: Die verdankt sich sicherlich nicht einem sprachlichen Anlass, sondern politischer Notwendigkeit. Bestimmt schwing etwas Angst mit, dass die Nutzung von Remigration in geheimen rechten Kungelrunden auch das Wort Migration in Mitleidenschaft ziehen könnte. Was, wenn herauskommt, dass Migration auch ein Synonym für Umsiedlung ist? Das wäre dann schon  problematisch, weil der Gebrauch dieses Wort dann in einen ideologischen Kontext rutschen würde, der unbedingt erzwänge, es durch einen neuen Begriff zu ersetzen. man muss ja sehen, dass wir für die Tatsache, dass Menschen millionenfach zu uns kommen, eigentlich ganz andere, sehr viel klarere Begriffe haben, nämlich "Zuwanderung" oder "Einwanderung" oder auch "Zustrom" bzw. "Massenzustrom", wie die frühere Bundesregierung mal eine Richtlinie genannt hat. Das sind Worte, die die große Beliebtheit Deutschlands als Zielland nicht ausblenden. 

PPQ: Ihre Untersuchungen zeigen aber, dass sie dennoch eher gemieden werden?

Hahnwech: Nicht dennoch, sondern deswegen. Man arbeitet lieber mit einem Begriff, der technisch klingt, der aus einem wissenschaftlichen Kontext kommt, ein bisschen bürokratisch ist und der vor allem sachlich klingt. Als Sprachforscherin fragte ich natürlich, was soll damit erreicht werden? Was wird bezweckt, wenn man die Dinge nicht beim klaren Namen nennt, sondern diese diffusere, etwas unaufgeregt anmutende Begrifflichkeit verwendet? Es geht, um es mal wissenschaftlich auszudrücken, sicher nicht darum, nicht zu verschleiern, nicht zu verharmlosen, was sich dahinter verbirgt: ein Phänomen, dem Deutschland, dem Europa, aber auch die USA auch acht Jahre nach dieser heillosen Überforderung von 2015 hilflos gegenüberstehen. 

PPQ: Die Vorlage für das Unwort ist quasi selbst eine Art Unwort?

Hahnwech: Es ist das Original. Remigration, ich bitte Sie? Niemand außerhalb irgendwelcher Verschwörungszirkel hatte bis eben von diesem feuchten Abschiebetraum irgendwelcher, Entschuldigung, rechtsradikaler Fantasten gehört. In Sprache steckt immer Täuschungsabsicht, doch während das beim Wort Migration ein anerkanntes Anwendungsgebiet ist, hat die Marburger Sprachjury mit ihrer sicherlich sehr kurzfristig getroffenen Entscheidung für Remigration als Unwort eine Popularisierung bewirkt, die droht, das in der Fachwelt "Framing" genannte verwenden von Migration zu beschädigen. Wie soll jemand noch unbefangen von Migration sprechen, wenn er damit Gefahr läuft, in die Nähe der Remigration gerückt zu werden? Damit hätten die rechten Ideologen ihr Ziel erreicht und uns das Wort Migration abspenstig gemacht. Es bräuchte dann unverbrauchten Ersatz und es begänne der mühevolle Prozess neu, ihn durch endlose Wiederholung zu einem starken und wirkungsvollen Mittel der Manipulation zu machen.



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