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Millimeterarbeit: Wie die SPD die Gangart in der Migrationsdebatte verschärft

Alle gehen nach rechts, die SPD macht demonstrativ neue Flüchtlingsgesetze dazu.

SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz will die Zahl der Abschiebungen drastisch erhöhen, seine Innenministerin Nancy Faeser zielt darauf ab, die Grenzen dicht zu machen, selbst die Parteilinke steht hinter den Absichten der Regierung, Deutschlands bislang so freundliches Gesicht für Flüchtlinge möglichst grausam zu überschminken, um den drohenden Machtverlust bei den Wahlen im kommenden Jahr abzuwenden. Seit Wochen schlagen die Sozialdemokraten härtere Töne in der Flüchtlingsdebatte an – was steckt dahinter?

Glaziale Bewegung

Ein Kurswechsel jedenfalls nicht, sagt der Medien- und Parteikonsumforscher Hans Achtelbuscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung seit Jahren untersucht, wie Parteizentralen mit vorausschauendem oder aber nachsorgenden Themenmanagement Machtpolitik betreiben. Angesichts des Rechtsrucks der SPD, dem "nahezu im selben Augenblick" (Achtelbuscher) auch Grüne, FDP, CDU und sogar Teile der Linken gefolgt seien, zeige sich eine politische Glazialverschiebung. "So etwas findet immer nur an der Oberfläche statt, weil sich der Boden bewegt, nicht die, die auf ihm stehen".

Es sei ein Tun-als-ob, kein Handeln aus Glauben, der dazu führe, Dass ehemalige Mehrheitspositionen nun verhöhnt und verlacht würden, finde sich noch jemand, der sie aus Überzeugung vertrete, weil ihm selbst die Konsequenzen gleichgültig sein könnten. "Alle anderen drehen sich mit dem Wind", diagnostiziert der Experte, der sich zuletzt mit den normativen und empirischen Grundlagen der Zulässigkeit von Coronakritik beschäftigt hatte und in diesem Bereich eine Schablone für aktuelle Straßenschlachten sieht. "Nach der Phase der Ignoranz folgt in der Regel die Verleugnung, dann die Verleumdung und schließlich die Kapitulation mit dem Hinweis, das alles habe doch bis eben niemand wissen können."

Grundrechte abgeschafft

Dass die SPD nun in den Kampf gegen Flüchtlingshelfer zieht, die sie eigens deshalb in "Schleuser"  hat umbenennen lassen, dass sie plant, Mitgliedern sogenannter "krimineller Vereinigungen" das vom Grundgesetz garantierte Recht auf Asyl pauschal zu verweigern, dass ohne Ankündigung abgeschoben und die Unverletzlichkeit der Wohnung ohne Diskussion aufgehoben werden soll, erscheine vor dem Hintergrund nachvollziehbar, "dass es natürlich für eine ganze Generation an Funktionären um die Karriere und die Lebensplanung geht." Niemand aus der Jungpolitikerriege der Kühnert, Heil, Geywitz und Schulze habe schon genug zurückgelegt, um schon mit der Arbeit an der Autobiografie anfangen zu können. "Alle müssen noch ein paar Jahre zusehen, wo sie bleiben." 

Durch die Glazialverschiebung im Untergrund drohe den Boomern in der SPD der Verlust des Bodens unter den Füßen. "Es ist ein Schockmoment für die Programmplaner auch bei der deutschen Sozialdemokratie gewesen, als sich herausstellte, dass die Realität den Koalitionsvertrag nicht gelesen hat", schmunzelt Hans Achtelbuscher, der von Haus aus eigentlich ein streng wissenschaftlich denkender Kopf ist. Hier aber amüsiert den Forscher die Begegnung mit einem historischen Augenblick, "den man als Wissenschaftlernder auch nur aller Jahrzehnte mal erlebt".

Zusammenbruch eines Weltbildes

Den Zusammenbuch eines ganzen Weltbildes, einer fein ziselierten und von Millionen akzeptierten Ideologie, hätten Beobachter in Deutschland zuletzt 1989 notieren können. "Damals dauerte es allerdings noch ein ganzes Jahr von den ersten Erschütterungen bis zum kompletten Verschwinden des institutionalisierten Aberglaubens." Dessen Delegitimierung sei anschließend jedoch total und "absolut umfassend" gewesen. "Abgesehen von kleinen Nischen, in denen ein paar Verstockte die Feuer der Revolution schüren und die alten Werte des Kommunismus schüren, rauchte die Asche nicht einmal mehr."

Dass es dieses Mal schneller gehen könnte, davon ist Achtelbuscher noch nicht überzeugt. "Zweifelsfrei lässt sich jetzt schon feststellen, dass die Auffassung, in einem Land mit begrenztem Platz sei Platz für unbegrenzt viele Zuzüge, nicht mehr überall bedingungslos als wissenschaftlich korrekt anerkannt wird." Zugleich aber sei noch umstritten, inwiefern sich daraus ableiten lasse, dass an irgendeinem Punkt "Ende Gelände" sei, wie Achtelbuscher mit ironisch hochgezogener Augenbraue auf eine soziale Bewegung, die sich unter dem Deckmantel der Ökologie als starke antisemitische Kraft etabliert hatte. 

Bockig wegen der Realität

"Wir sehen, dass gerade auf der Linken mit einer gewissen Bockigkeit auf den Umstand reagiert wird, dass die Welt eben Wirklichkeit ist und nicht Wunsch." Wie überfahren präsentiere sich angesichts der aktuellen Weltlage nicht nur die Linkspartei, der anzusehen sei, dass sie sich inzwischen auch selbst aufgegeben habe. "Nein, man kann auch bei Sozialdemokratie, Grünen, CDU und FDP sehen, dass niemand mehr unter der Last eines Vorrats an Rezepten gegen die großen Krankheiten der Menschheit marschiert." 

Dieselben Politiker, die eben noch Furore gemacht hätten, weil sie bei jeder Gelegenheit vorgaben, über Mittel und Möglichkeiten zu verfügen, das Schicksal der Menschheit zum Besseren zu wenden, hätten sich nun weitgehend unsichtbar gemacht. "Alle Hoffnung richtet sich darauf, eines Tages zurückzukehren und dann auf Wählerinnen und Wähler zu treffen, die das unangenehme Vorleben vergessen haben."



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