Auch sie half: Eine engagierte Wahlkampagne gab der AfD vor den beiden Landtagswahlen Noch einmal kräftig Rückenwind. |
Ganz aufgeregt vor Freude zappelte Grünen-Chefin Ricarda Lang vor der Kamera. "Stabil" Sei Ihre Partei bei den Wahlen gewesen, stabil trotz eines Verlustes von etwa einem Viertel der Wählerstimmen und mächtig Gegenwind durch eine Bevölkerung, die nur widerstrebend begreift, Dass es so nicht weitergehen kann. Wo es doch aber muss: Die Rettung der Welt vor dem Klima erlaubt kein Zurückweichen vor dem Rechtsextremismus der Mitte. Aber, kündigte Ricarda Lang an, weil ein Durchregieren bis zum 2-Grad-Ziel zuallererst das Festhalten an der Macht erfordert, jetzt sei ihre Partei bereit, einige Konzessionen an den Massengeschmack der Menschen da draußen zu machen, die den Versprechungen der Populisten auf den Leim gegangen sind und nun erst einmal zurückgeholt werden müssen ins weitgehend menschenleere Lager der Demokraten.
Diesmal ist es Überrumpelung
Was klingt wie eines jener taktischen Manöver, die Politiker immer wieder unternehmen müssen, um die Wünschen und Träume der Bürgerinnen und Bürger wenigstens verbal mit Wahl- und Parteiprogrammen zu synchronisieren, droht diesmal schlimmer auszugehen als üblicherweise. Im Normalfall reicht ein sogenannter "Gipfel", benannt nach dem jeweils aktuellen Großproblem, auf dem ein "Pakt" oder zumindest ein "Zehn-Punkte-Plan" beschlossen wird, der anschließend mehrere Tage lang in der Presse analysiert und in Talkshows seziert wird.
Zerknirschte Spitzenkräfte aller führenden demokratischen Parteien lassen anschließend vor Tagesschau-Kameras wissen, dass sie von nun an besser zu kommunizieren entschlossen sind. Manches solle nun auch schneller oder aber nicht mehr ganz so schnell über die Köpfe der Menschen hinweg exerziert werden.
Der Mantel rutscht
Im Allgemeinen ist das genug, um ein Weiterso zu legitimieren. Unterstützt vom Themensterben in den deutschen Medien eilt die Karawane weiter. Selbst Großskandale wie die bayrische Flugblattaffäre entpuppen sich im Rückblick als historische Tiefpunkte, die der Allgemeinheit nur wenige Stunden schlaflose Nächte bereiten.
Allerdings ist der Wind des Machtverlustes, den jeder spürt, dem der Mantel der Macht von den Schultern rutscht, in der Ampel-Koalition diesmal so eisig kalt, dass den Beteiligten schon in den vorbereitenden Beratungen zur Abstimmung der Sprachregelungen für den Wahlabend klar geworden sein muss, wie sehr die Situation nach deutlicheren Signalen verlangt.
Grunderbe, Grundsicherung und Grundeinkommen
Kein Pfeifen im Wald mehr, sondern Trompeten! Weder ein Demokratiegipfel noch ein neuer Lattenzaun für die Oder-Neiße-Friedensgrenze und weder ein Grunderbe noch ein Grundeinkommen oder eine Grundsicherung oder ein Dreifach-Wumms aus Zeitenwende, Wirtschaftswunder und Inflationsbremse würden langen. Vielleicht nicht einmal noch mehr Kampf gegen rechts und die als Dauerton gesendete Warnung, dass jeder, der Faschisten wähle, selbst ein Faschist sei.
Es hat lange gedauert, ging dann aber dafür ganz schnell. Nach zehn Jahren voller Spiegel-Titelbilder, Brandmauermetaphern und einem strikten Ausschluss der Falschen aus den Herzkammern der Demokratieverwaltung verwandelten sich die Lordsiegelbewahrer der wahren freiheitlich-demokratischen Grundordnung in einer einzigen Nacht in Handlanger von Rechtspopulisten, Nazis und Faschisten.
Grenzen dicht und Hürden hoch
Als habe es all die Warnungen vor einer Normalisierung der in Teilen als rechtsextrem beobachteten Partei der Weidels, Chrupallas und Höckes nie gegeben, erklangen deren Forderungen schlagartig aus dem Regierungslager. Grenzen dicht. Hürden hoch. Kein Geld mehr für Terroristen. Inhaftieren. Abschieben. Das Klima muss warten. Auf den Müllhaufen der Geschichte mit den SPD-Plänen von der Abschaffung der Mobilität, von höheren Steuern für traditionell Verheiratete und noch strengeren Auflagen zur Führung eines korrekten Privatlebens. Schluss mit lustig und Spaß beiseite.
Schneller ist nicht einmal Helmut Kohl umgefallen, als er den Deutschen 1991 vor der Bundestagswahl versprach, es werde keine Steuererhöhungen gebe, ehe seine Regierung sie nach glücklich absolviertem Wahlakt doch beschloss. Wer abends mit "Anne Will" in Bett ging, das Näseln von Saskia Esken noch im Ohr, die noch einmal betonte, wie gut alles gelaufen sei, erwachte morgens "in einem anderen Land" (Annalena Baerbock), wenn auch natürlich mit derselben Bundesinnenminiserin und demselben schweigsamen Kanzler. Alles ist jetzt richtig, was gerade noch der Rückkehr des Hitlerregimes den Weg zu bereiten drohte.
Kühnert, leicht beleidigt
Wenn auch leicht beleidigt von Wählerinnen und Wählern, die nicht einsehen wollen, dass die deutsche Sozialdemokratie besser weiß als sie, was gut und richtig ist, räumt selbst der gewiefte alte SPD-Stratege Kevin Kühnert ein, dass manches nicht über die Maßen optimal gelaufen ist. Selbstverständlich sind die Menschen dumm, denn es fehlt ihnen der große Überblick. Doch dass Flüchtlingszahlen und Wohnungsnot und steigende Mieten nicht vollkommen voneinander entkoppelt existieren, begreift selbst die Studi-WG in Freiburg. Und dass Energiepreise nicht sinken, wenn Energieträger einer nach dem anderen aussortiert werden, muss die AfD keinem vorrechnen, das weiß jeder, der schon mal Monopoly gespielt hat.
So heißt es nun schnell umrudern und den abtrünnigen Wähler das Gefühl vermitteln, ihre Nachricht sei eingegangen. Die AfD ist nun nicht mehr der Feind, der verboten gehört,sondern Vorbild, ihre Forderungen nach Grenzschutz und hartem Zupacken bei Klimaklebern drohen von demokratischen Politikern der Mitte umgesetzt zu werden. Cem Özdemir ist bereit, dafür auch noch die letzten heiligen Kühe seiner Partei zu schlachten: Man müsse die Wähler, die auf Abwege geraten seien und die AfD wählten, "zurückholen". Und das meint wohl:selbst umsetzen, was die Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und Rechtsextremen an Wahlversprechen abböten.
Die Schwefelpartei als Hebel
Es ist genau das, worauf Millionen Wähler der Schwefelpartei schon lange spekulieren. Weil auf Wahlzetteln in der Regel das Kästchen für "keine der genannten" fehlt, landeten Kreuze dort, wo es den etablierten am meisten wehtut. Gregor Gysi von der Linkspartei kennt das noch aus seiner Zeit als PDS-Vorsitzender. Damals wohl niemand, selbst nicht im tiefsten Osten, dass der traurige Zusammenschluss von alten SED-Kadern und jungen Kommunismusgläubigen irgendwo selbst in Verantwortung kommt. Aber taktisch wählen konnte man die selbsternannte "bunte Truppe" schon, denn sie war der Hebel, der die anderen wackeln ließ.
Die Funktion der AfD ist für die Mehrheit ihrer Wähler keine andere, zumindest am Anfang gewesen. Doch je lauter die Warnungen wurde, je deftiger die Beschimpfungen ausfielen und je schärfer die Drohungen ausfielen, was mit denen zu passieren hätte, die nicht umkehrten vom falschen Weg und endlich wählten, was ihnen nicht gefiel, desto verstockter reagierten die Verführten und Verfemten. Jeder konnte immer öfter sehen, dass die Methode funktioniert. Niemand musste bange davor sein, dass die Strategie versagt. Die Frage war immer nur, ob der demokratische Block bei zehn, 15, 20, 25, 30 oder 60 Prozent beginnen wird, über die Übergabeformalitäten zu verhandeln.
Früher wäre billiger gewesen. Später wird immer teurer. Der Preis, die einzufangen und umzudrehen, die falsch abgebogen sind, wie das Kühnert, Esken, Lang und Özdemir sich vorstellen, ist mittlerweile wahrscheinlich schon so hoch, dass die Ampel-Parteien ihn nur mit Mühe werden zahlen können. Nach den Landtagswahlen im Osten im nächsten Jahr und nach der EU-Wahl im Juni aber wird auch das nicht mehr reichen.