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Enttäuschte Hoffnungen: Quittung für den Rückwärtsgang

128 Zähne in den Gesichtern des Rechtsrucks: Vom CDU-Mann Boris Rhein (2.v.l.) versprechen sich viele Bürger mehr strengeren Klimaschutz, offenere Grenzen und eine umfassendere gesellschaftliche Transformation.

Peinlicher Rückzieher beim Heizungsgesetz, Einknicken beim Klimaschutz, Zurückrudern an allen offenen Grenzen und zuletzt sogar noch das Eingeständnis, dass Deutschland auch weiterhin keinen Ehrgeiz zeigen wird, seinen zweiten Platz auf der Rangliste der größten Unterstützer der Ukraine zu verbessern. Nun ist die Quittung da: Bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern büßten die drei Ampelparteien in großem Maßstab Stimmen ein. Enttäuschte Wählerinnen und Wähler sowohl in der Mitte als auch im Süden wechselten aus dem Lager der Berliner Regierungskoalition zu CDU, Freien Wählern und AfD.  

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl ordnet den Ausgang der Abstimmungen in Bayern und  Hessen ein.

Svenja Prantl ist enttäuscht.
Ein deutliches Signal für SPD, Grüne und FDP. Während der vor einigen Wochen selbst in Wiesbaden noch als relativ unbeschriebenes Blatt geltende Ministerpräsident Boris Rhein, erst vor einem Jahr von Amtsvorgänger Volker Bouffier auf dem bewährten Weg der Erbfolge inthronisiert, mit dem lauen Versprechen von "Stil, Stabilität und sanfter Erneuerung" punktete und 7,5 Prozent dazugewann, verloren die Grünen in Hessen ein Viertel ihrer Wähler. Die FDP kippte aus dem Parlament. Und der deutschen Sozialdemokratie gelang eine Punktlandung beim desaströsen Ergebnis der SPD im ostdeutschen Sachsen-Anhalt vor zwei Jahren.

Ende eines Hoffnungsträger

Die Linkspartei, lange ein Hoffnungsträger für viele, die eine schnellere, umfassendere Transformation mit mehr staatlicher Betreuung und umfassenderer Kontrolle falscher Lebensweisen erhofft hatten, verabschiedet sich gleich ganz und voraussichtlich für immer aus den künftigen Debatten der Demokraten.

Ja, kein Zweifel: Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht mehr. Gerade die letzten Tage vor der Abstimmung, als die hessische SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser hektisch versuchte, AfD-Positionen zu besetzen, in einem engen Wettrennen mit herausragenden grünen Vordenkerinnen wie Kathrin Göring-Eckhard, schreckten wohl viele ab, ihr Kreuz bei den Originalen für soziale Gerechtigkeit, Mietbremse, höhere Zinsen und eine umfassende CO2-Bepreisung nebst Rückkehr zum normalen Umsatzssteuersatz in der Gastronomie zu machen. Nicht einmal der Industriestrompreis, auf den Millionen privater Haushalte sehnsüchtig warten, war im Kabinett konsensfähig. Auch die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine unterblieb.

Die jähen Wendungen, die sowohl der Bundeskanzler als auch die führenden Funktionäre der Regierungsparteien den Wählern in der finalen Phase des Wahlkampfes zumuteten, sie waren zu viel. Kaum jemand in Hessen und Bayern begriff, dass alles, was bisher gut und sehr gut gewesen war, nun schlecht sein sollte. Keiner verstand, woher die notwendigen 400.000 ausländischen Fachkräfte pro Jahr kommen sollen, die Deutschland braucht, wenn die Bundesregierung in Europa durchsetzt, dass die Einreisehürden immer höher gezogen werden.

Boykott für jeden Fortschritt

Keinen Gefallen tat sich die fortschrittlichen Parteien sicher auch mit der Idee, die FDP jeden ökologischen und sozialen Fortschritt in der Ampel sabotieren zu lassen, so dass seit der beinahe gelungenen schnellen Verabschiedung des ursprünglichen Fassung des für viele Millionen Menschen lebensrettenden Heizungsgesetzes am Ende nur eine windelweiche Version durch den Bundestag ging, von der SPD, Grüne und FDP wohl hofften, sie werden Wutbürger beschwichtigen und - deutlich besser erklärt - die Vernünftigen unter den Hetzern, Hassern und Zweiflern für den geplanten großen Deutschland-Pakt zurückgewinnen.

Eine Täuschung, der die nach dem Ende der Linkspartei verbliebenen drei progressiven Kräfte in der Bundespolitik nur zu gern erlagen. Obwohl Forscherinnen und Forscher warnten war, dass viele Millionen Bürgerinnen und Bürger sich ein deutliches Mehr an Klimaschutz wünschen, härtere Maßnahmen gegen Manager und Konzerne, ein Tempolimit und eine ausgestreckte Hand der Regierung in Richtung der deutschen Weltklimabewegung, setzte die Ampel lieber auf Beschwichtigung und ein Entgegenkommen für die Krakeeler. Auch aus den Reihen der selbst aus der außerparlamentarischen Opposition kommenden Parteien erklang der Ruf nach Strafen für Klimakleber und freie Fahrt für freie Bürger. 

Vertrauen erodierte

Das hat viele draußen im Land entsetzt. Das hat das Vertrauen in die Fähigkeit von SPD, Grünen und FDP erodieren lassen, dem krisengeschüttelte Gemeinwesen ein "grünes Wirtschaftswunder" (Scholz), immer billigeren erneuerbaren Strom (Göring-Eckhard) und ein Ende der Wohnungsnot durch eine straffe Neubaubremse und ehrgeizige europäische Dämmziele zu bescheren. Final dürfte wohl das schnelle Ende der großzügigen Grunderbe-Idee des Ostbeauftragten eine Rolle gespielt haben. Nicht nur, dass niemand auf den Versuch ansprang, abwandernde Wähle zu kaufen. Nein, in den westlichen Bundesländern kam die Beleidigung hinzu, dass für die eigene Stimme offenbar  nicht einmal ein Angebot abgegeben wurde.

Nicht einmal die unglaublichen Ausfälle von CDU-Chef Friedrich Merz zur Gesundheitsversorgung von Zuwanderern und die Enthüllungen der Süddeutschen Zeitung zum Männerpakt des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder mit dem Flugblattleugner Hubert Aiwanger schreckten die Menschen da noch ab: Wie bei der letzten Bundestagswahl aus Der Mitte Nach links wechselten sie nun mit fliegenden Fahnen aus der Mitte nach rechts.  

Das dicke Ende

Das dicke Ende traf die Wahlkämpfer trotz aller Umfragen, die vorher schon vermuten ließen, wohin die Reise geht, denkbar heftig. Bei den Grünen hatte man sich darauf geeinigt, den Aderlass - in Hessen ging jeder vierte frühere Wähler verloren - im Chor als "stabiles Ergebnis" zu verkaufen, das die Partei nach dem "populistischen Trommelfeuer von CSU, Freien Wählern und AfD" zu den "wahren Gewinnern" mache. Bei der FDP war von einem "Gegenwind aus Berlin" die Rede, auf den auch die SPD-Funktionäre einer gemeinsamen Verabredung aller Gremien nach in ihren Aufsagern hinwiesen. 

Die Lehre aber muss nun rasch gezogen werden, in allen Parteizentralen: Ehe die Wahlkämpfe rund um die Europa-Wahl und die Landtagswahlen im abgehängten Osten im kommenden Jahr richtig starten, muss die Ampel wieder auf Grün springen. Ein schneller Hochlauf des Heizungstausches, eine Verdreifachung der Erneuerbaren, mindestens 400.000 Neubauwohnungen und die Dämmung aller derzeit bewohnten Gebäude bis zum EU-Wahltag im Sommer, dazu eine Senkung der Zinsen, der Hürden für die Arbeitsaufnahme Geflüchteter, der Zahl der Entlassungen und der Arbeitslosen sowie  und der Inflation könnten die Stimmung drehen.

Das politische Berlin muss nur den Mut haben, jetzt entschlossen durchzuregieren und nicht nach jeder kleinen Stimmungsumfrage in einen Ähnlichkeitswettbewerb mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen einzusteigen. Es muss endlich Schluss sein mit dem Hinterherlaufen hinter rechten Parolen, mit der Stimmungsmache gegen Geflüchtete und dem Anbiedern an die AfD. Deutschland braucht bessere Vorschriften, wie wir zu leben haben, Ricarda Lang braucht Prokura, um Entscheidungen für alle zu treffen. Und das Klima muss in den Mittelpunkt aller Überlegungen zur Gestaltung der Lebenswirklichkeit der Menschen.



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