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Republikgeburtstag: Die Mauer mit dem Land

Bis zuletzt gab eine Mehrheit Der Ddr-Bürger vor, fest zu ihrem Staat zu stehen.

Niemand sonst hat das geschafft, nirgendwo auf der ganzen Welt. Nur der DDR war es einst gelungen, ihr Staatsgebiet vollständig abzuriegeln: Keiner raus, niemand rein, der nicht durch eine Grenzkontrolle gegangen war, die von Männern mit der Gabe des bösen Blicks durchgeführt wurde. 

Grenzdurchbrüche wurden sofort geahndet, es gab eine Mauer, die gemessen an Landesgröße und Bevölkerungszahl mächtiger war als die chinesische. Scharfe Schäferhunde, Grenzkompanien, eine harte Sperrzone und drumherum eine leicht weichere. Dahinter wartete ein Polizeistaat, aufgebaut von einem Polizistenmörder, der alles wissen wollte, um die Errungenschaften der Revolution zu schützen.  

Kein Staat, sondern ein Experiment

Rund 750.000 Mitarbeiter zählte der Sicherheitsapparat der DDR, die kein Staat war, sondern ein Experiment: Wie lange lassen sich Millionen Menschen, die die Mehrheit der Bevölkerung stellen, mit Versprechungen auf ein besseres Leben in einer fernen Zukunft davon überzeugen, Dass es notwendig ist, Opfer zu bringen, und unumgänglich, Entbehrungen zu erdulden und Verzicht zu üben?

Nachgeborene Generationen kennen die Antwort. Sehr lange. Die "demokratische Republik", die so demokratisch war ein Schnitzel vom Schwein vegetarisch ist und so republikanisch wie die Erbfolge der Windsors, entpuppte sich als Großversuch mit bemerkenswerten Ergebnissen. Noch Ende 1989, als das bundesdeutsche Meinungsforschungsinstitut Infas sich in der DDR umhörte, waren die Geiseln des SED-Regimes mehrheitlich mit der Politik der Staatspartei einverstanden. Und darüberhinaus der Meinung, dass das System der unfreien "Volkswahlen", die jeden Machtwechsel im Land von vornherein ausschloss, "zeitgemäß" sei.

Ein fragiles Gebilde

Honecker und seine Genossen hatten etwas Bedeutsames vollbracht. Es gab die, die sie lieber heute als morgen davongejagt hätten. Doch sie schwiegen fein still oder sagten, was sie Vater Staat ihrer Meinung nach hören wollte. Die Kinder der Insassen bewachten die Grenzen mit scharfen Waffen, bereit, jeden Ausbrecher zu erschießen. 

Die DDR, ein fragiles Gebilde, dessen Existenz "im Zeichen der erfolgreichen Friedens- und Sozialpolitik" allein von der Mauer als tragender Wand und mit des Kremls schützender Hand gesichert wurde, galt einer großen Mehrheit ihrer Insassen selbst noch in den Monaten ihres eiligen Zusammenbruchs als "erneuerungsfähig". Mehr als 90 Prozent der Bürger erklärten sogar ihre Bereitschaft, nicht nur zuzuschauen beim großen Neuanfang. Sondern sich "mit aller Kraft für die Erneuerung einsetzen" zu wollen.

Ein Schauspiel, kaum weniger bizarr als die Selbstvergewisserungsfestspiele, die die SED alljährlich zum sogenannten Republikgeburtstag aufführen ließ. Frohe Festtagsstimmung war verordnet, festlich geschmückte Städte und Gemeinden hatten vom Vorwärtsschreiten auf dem "klaren Kurs" Richtung Kommunismus zu künden und in den Medien überschlugen sich die Jubelmeldungen über neue Wohnungen, Sozialeinrichtungen und Sportstätten, erfüllte und übererfüllte Pläne, neue wegweisende Beiträge des Zwergstaates zum Weltfrieden und die unverbrüchliche Freundschaft von Veteranen, Jungwählern, kernigen Arbeitern und fleißigen Angestellten zum großen Bruder Sowjetunion.

Ein Stockholm-Syndrom

Ein Stockholm-Syndrom der besonderen Art, das die Staatssimulation eines Gemeinwesens mit fest verschlossenen Fenstern und Türen, einer komplett ruinierten Umwelt und einer monarchisch anmutenden Machtübergabe von einem Generalsekretär zum nächsten legitimierte, ohne dass jemals infragestand, dass diese Legitimität reine Behauptung war. Doch wer das aussprach, wurde automatisch zum Störer und Hetzer, ein Staatsfeind, der die streng wissenschaftlich begründete Erkenntnis anzweifelte, dass der Sozialismus so zwangsläufig auf den Kapitalismus folgt wie er selbst eines Tages vom paradiesischen Kommunismus abgelöst werden würde.

Die Schäden sind neueren Untersuchungen nach bleibend. Verglichen mit dem Westen wird der Ostteil der nun leidlich vereinigten Republik von einem Menschenschlag bewohnt, der "zwar deutlich gewissenhafter, aber auch viel ängstlicher" und "weniger offen für Neues" ist. Die verkrüppelten Gestalten, die in Sachsen. Thüringen und Mecklenburg dahinvegetieren, sie "haben seltener das Gefühl, ihr Leben und Ereignisse darin selbst kontrollieren zu können als Gleichaltrige, die früher im Westen lebten". So schlecht sich viele in der DDR fühlten, als Bürger zweiter Klasse, mit dem falschen Geld in der Tasche und ohne das Recht, in wichtigen gesellschaftlichen Angelegenheiten mitreden zu dürfen, so schlecht fühlen sie sich auch heute. 

Keine der Parteien des demokratischen Blocks hat Politik im Angebot, die verspricht, die geheimen Wünsche vieler Menschen nach sicheren Grenzen, sicherer Altersversorgung, sicherem und bezahlbarem Wohnraum, nach bezahlbarer Heizung und Mobilität und nach einer Zukunft mit langsam, aber wachsendem Wohlstand zu erfüllen. Wer aber angesichts dieses Marktversagens die Alternative ankreuzt, vergeht sich am Gemeinwesen wie sich die renitenten Staatsfeinde aus der Bürgerbewegung damals am großen Werk des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden vergingen. 

Vom Kommunisten zum Nazi

Der Ostler, gerade noch Kommunist, wird zum Nazi, er bleibt dabei aber ein Gegner der Verhältnisse. Verursacht wird das durch Eigenschaften, die sich evolutionär im "alltäglichen Leben in dem Oststaat" (Der Spiegel) herausbildeten. Aufgrund ständigen Mangels etwa bei Konsumgütern, aber auch Nahrungsmitteln wie Obst, mussten die DDR-Bürger sich fortwährend selbst organisieren und vorausplanen. Auf nichts war Verlass, nur auf das engste Umfeld. Allem außerhalb begegnet der "Ossi" bis heute mit Misstrauen, obwohl die gesamte, durchweg westdeutsch besetzte Staatsspitze ihm immer wieder versichert, dass man ihn bedauere und bereit sei, ihn zu bemuttern.

Autoren einer Studie, die zum Urgrund der Ablehnungsreflexe der Ostdeutschen vordringen wollten, fanden heraus, dass die Mauer daran schuld ist. "Viele in der DDR folgten einfach nur Regeln und Normen, ohne diese zu hinterfragen", fanden die Autoren über die Ursachen der vielbeklagten ostdeutschen Renitenz gegenüber den großzügigen Angeboten des Mutterlandes heraus. Da ist Sündenstolz darauf, dabeigewesen zu sein. Da ist aber auch stures Beharren darauf, dass allein das Überleben von 40 Jahren in einem sozialistischen Menschenversuch eine Leistung sei, die es Beteiligten heute erlaube, von oben herab über totalitäre Träume und brutale Androhungen von einer Versuchswiederholung bei nächster Gelegenheit zu urteilen.

 



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