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Betreute Einheit: Vater, Mutter, armer Ossi

Der Ostler bliebt in hohem Maße trotzig und unbelehrbar. Mittlerweile glaubt er, das alles Schon Einmal Erlebt zu haben.

Ehe sie sich aufmachen zum großen Festakt in der prächtigen Hamburger "Elbphilharmonie", um den Sieg der deutschen Einheit über all den Hader und Streit zu feiern, haben Divisionen von Denkern, Analysten und Politikbetreibern einen neuen Anlauf zur traditionellen Ost-Diskussion am Vorabend der Bundesparty genommen. Angela Merkel tauchte anlässlich des Termins aus der Versenkung aus. Der scheidende Linkspolitiker Dietmar Bartsch fordert nach Benzin-, Bau und Migrationseinen einen eigenen Ostler-Gipfel und der Berliner Bürgermeister Kai Wegner beklagte "zu wenig Respekt" und "fehlende Anerkennung" für Ostdeutsche.

Generation Buschzulage spricht

Man dürfe diese Menschen, die sich selbst bekanntlich nicht zu helfen vermögen, nicht den Falschen überlassen, hat Bodo Ramelow gewarnt, der wie Wegner das schwere Kreuz zu tragen hat, als gebürtiger richtiger Deutscher aus den alten Ländern eine Teil der ehemaligen DDR regieren zu müssen. Es ist naturgemäß eher eine Art Verwaltung, Anweisungen kommen aus Berlin, entweder direkt aus dem Kanzleramt und den Ministerien oder über die angeschlossenen Abspielstationen, die Wortmeldungen aus dem Osten umgehend abschreckend einzuordnen wissen. 

Besser ist es, eine amtliche Betreuungsperson wie Ramelow spricht für ihre Ossis. Der frühere Gewerkschaftsfunktionär, der als Aufbauhelfer aus Hessen nach Thüringen kam, kennt seine Klientel, ihre Eigenarten, ihren Trotz und ihre teils bizarr erscheinenden Gebräuche. Er sieht sich nach mehr als 30 Jahren unter den locals längst nicht mehr nur als deren Lehrer und Erzieher, sondern auch als Außenminister derer, die selbst keine Stimme haben. 

Im Erfurter Exil

Ramelow, der aus Osterholz-Schaarmbeck stammt und nicht nur in Erfurt lebt, sondern auch in Saalfeld, der ostdeutschen Entsprechung zur niedersächsischen Kleinstadt, weckt Verständnis für so manche "Sehnsucht nach Anerkennung und Gleichberechtigung", aber auch dafür, dass "wir", also die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft in den Bionadevierteln, rauchfreien Coffee-to-go-Bars und großen Sende- wie Parteizentralen, das "Gefühl des Zurückgelassenseins ernster nehmen denn je", das in den heute in den weiten und weitgehend menschenleeren Regionen zwischen Rostock und Suhl "die Unzufriedenheit überkochen" (Bartsch) lässt.

Weder all die Bundes- und Landesgartenschauen zur Päppelung "blühender Landschaften" (Helmut Kohl) noch die zu einer schönen Tradition gewordenen "bunten und vielfältigen" (Mopo) Einheitsfeiern der führendsten Funktionäre von Staat, Parteien, Fördermittelvereinen und Kulturszene hat den bemitleidenswerten Ossis bisher das Gefühl nehmen können, zu wenig vertreten zu sein, zu wenig vorzukommen und ähnlich bevormundet zu werden wie seinerzeit in der DDR. Würde es helfen, die vor 33 Jahren Neuhinzugekommenen als ganz normale Zuwanderer zu begreifen? Ihnen Integrationshilfe zu geben, eine Quote vielleicht und regelmäßig übers Land verstreute Behördenbauten, aus denen heraus sie selbständig Angelegenheiten leiten und lenken dürften, bei denen sich nicht viel Schaden anrichten lässt?

Wessis im Gespräch

Das Gespräch über den Osten ist ein westdeutsches Selbstgespräch, bei dem Politiker wie Wegner, Ramelow, die Hamburger Grünen-Chefin Katharina Fegebank und die niedersächsische Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt die Betreuungspersonen im Osten in ihrer "Haltung bestärken, ihnen geschehe irgendwie Unrecht" (Handelsblatt). Die Einheit, sie ist zum 33. kein so ganz großes Thema, das wird sie erst wieder zum 35. und dann noch mal richtig zum 40. sein. Aber alle die großen westdeutschen Blätter haben den Osten nicht vergessen: Die niedrigen Löhne. Die wagemutigen Expeditionen in die Ostmenschenzonen. Der Unmut über das ausbleibende große Einheitsdenkmal, der viele ehemalige DDR-Bürger mit der neuen Heimat fremdeln lässt.

Ja, die Jahre der Teilung, sie haben "Wunden gerissen, die noch immer nicht ganz verheilt sind" (Fegebank). Aber gibt es neben Fortschritten nicht auch Handlungsbedarf, wie der selbst als sogenannter "Ostbeauftragter" fungierende Sozialdemokrat Carsten Schneider in seinem aktuellen Jahresbericht hervorgehoben hat? Selbstverständlich sind da Unterschiede. Aber die sollen ja auch bleiben. Den letzten Messungen zufolge wurden strukturelle Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland weiterhin abgebaut, die beiden Teile nähern sich unaufhaltsam weiter an, so das Katarina Fegebanks Traum sich bald erfüllen könnte, dass "die Lebensverhältnisse und das Gefühl der Zugehörigkeit überall gleich sind".

Betreuungsbedarf bundesweit

Die Zeichen stehen gut. Schon herrschen in Bayern "ostdeutsche Verhältnisse" (RND) mit "Rechtsdrall, Hass und Hetze". Schon sind "die Bayern die neuen Ossis" und ein gebürtiger Ostdeutscher darf in der Hamburger "Zeit" diagnostizieren. Dort, wo die Menschen ihr Leben bisher ganz gut im Griff hatten, stehen die Falschen plötzlich bei 30 Prozent.   Ein "Gefühl des Ausgeliefertseins" (Manager-Magazin) macht sich in westdeutschen Wohlstandsoasen breit, die bisher wie Schaum auf den Wellen von Globalisierung und Kolonialisierung schwammen. 

Auf einmal herrscht bundesweit Betreuungsbedarf, es riecht überall nach Frustration, Existenzangst und Ausweglosigkeit, die Fördermittel reichen nicht und die Zweifel wachsen, ob der Bäcker nebenan wirklich wieder aufmachen wird, wenn der Strom  durch die Erneuerbaren erst fast nichts mehr kostet und die grüne Transformation eine neues Wirtschaftswunder bewirkt wie es damals der "Aufschwung Ost" war, der Arbeitslosenzahlen und Abrissbedarf steigen ließ, während die Gesundgebetsmühlen auf Hochtouren liefen. Der Ostdeutsche glaubt mittlerweile, das Alles Schon Einmal erlebt zu haben. Kommt es zum Ossi-Gipfel, wird es dessen erste Aufgabe sein, ein umfassendes Betreuungspaket zu schnüren, um deutlich zu machen: Es mag so aussehen. Ist aber, noch besser erklärt, etwas vollkommen anderes.



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