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Nord-Stream-Anschlag: Europas stiller 11. September

Verschwörungstheoretiker beschuldigten zeitweise sogar die USA der Täterschaft.

Als es kräftig krachte, vor einem Jahr am Boden der Ostsee, machte sich schnell Erleichterung breit. Endlich war die Diskussion zu Ende, ob Deutschland nicht vielleicht doch weiter Gas aus Russland nehmen sollte, um gut über den Winter zu kommen. Endlich waren die Zweifel ausgeräumt, Dass sich das Tätervolk auch diesmal wieder gegen die Opfer stellen könnte. Und schnell war auch klar, dass sich die anfängliche Aufregung nicht würde halten können, so ganz ohne Indizien, Beweise und Spuren zu den Tätern und jegliches Aufklärungsinteresse.

Jahrestag einer unübersichtlichen Situation

Schon nach sieben Tagen war die anfangs unübersichtlich erscheinende Situation unter Kontrolle. Niemand schrieb mehr etwas. Keiner fragte. Der größte Anschlag auf ein Stück kritischer deutschen Infrastruktur seit Mai 1945 war wie von Zauberhand nicht nur aus den Schlagzeilen, sondern komplett aus den Nachrichten verschwunden. Noch eine abschließende Meldung der "Tagesschau" zur Beerdigung. 

Schade, dass die anfangs in Aussicht gestellten gemeinsamen Bemühungen mehrerer eng befreundeter und verbündeter Nato-Staaten zur Aufklärung des milliardenteuren Verbrechens wegen unvereinbarer Differenzen über den Umgang mit womöglich unerwünschten Ermittlungsergebnissen nun doch nicht zustandekommen würde. Und schon war Schluss mit lästigen Nachfragen und investigativen Recherchen. Wenn es nicht der Russe Gewesen Sein war, dann sollte es gefälligst Niemand Gewesen Sein können. Europas 11. September, er war auf den 26.9. gefallen. Und am 10. Oktober schon ein so alter Hut, dass niemand mehr darüber sprach, schrieb oder fragte, was da eigentlich passiert war.

Es hätte so schön bleiben können. Wäre nicht drei Monate später der früher als  "begnadeter Einzelkämpfer" (Süddeutsche Zeitung) gefeierte Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh in die Stille gestolpert, im Koffer 13 Seiten einer Verschwörungstheorie, die er so plakativ "Wie Amerika die Nord Stream-Pipeline ausschaltete" nannte, dass sich alle ehrbaren Medienhäuser in Deutschland strikt weigerten, ihren Lesern auch nur eine grobe Zusammenfassung der ungeheuerlichen Vorwürfe zu präsentieren.

Angst vor Amerika

Im politischen Berlin ging die Angst um. Wenn wirklich die Amerikaner dahinterstecken, was denn dann? Botschafter einbestellen? Sanktionen beschließen? Mit der EU-Flotte auslaufen und Vergeltung fordern? Würden denn aber alle Wertepartner wirklich mit in See stechen? Wo doch der frühere polnische Außenminister Radosław Sikorski sich schon ausdrücklich für den einfallsreichen amerikanischen Beitrag zur Stärkung des deutschen Kampfwillens bedankt hatte?

Die Bundesregierung mied die Probe aufs Exempel, auch später, als die von Hersh wachgeküssten deutschen Medien begannen, nach möglichen anderen Tatverdächtigen zu suchen. Russen wären sehr gut gewesen, Ukrainer weniger, aber die man dann fand, waren wenigstens ohne Befehlsausgabe im Präsidentenpalast von Wolodymyr Selenskyj aufgebrochen. Berlin verließ sich nun darauf, dass die Täter vielleicht niemals gefunden werden, wenn mit Hochdruck ermittelt wird. Oder dass es so viele sind, dass es ebenso gut niemand gewesen sein könnte.

Ein rauchender Colt

Zum Jahrestag ist die Brisanz vom Tisch. "Offizielle Ermittlungsergebnisse gibt es kaum" (Deutschlandfunk), inoffizielle jede Menge. Die große Aufregung der ersten Stunden, als die Explosion der Pipelines noch als rauchender Colt in einem von Russland erklärten Krieg galt, sie ist schon nach zwölf Monaten zum Teil des ganz gewöhnlichen Themensterbens geworden. Vieles ist  noch unklar und wird es hoffentlich bleiben: Etwa, warum die Röhren trotz längst gestoppter Lieferungen aus Russland bis zur Landestelle in Deutschland prallvoll Erdgas waren. Ja, zugegeben, lässt der Kanzler erkennen, schön war das alles nicht. Aber wenn die Täter denn gefunden werden, und es sind die richtigen, dann sind sie dran.



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