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Deutschland über alles: Wie die Bundesworthülsenfabrik das Land umsteuert

Das Nationale erlebt ein famoses Comeback: Die BWHF versorgt die Politik seit Wochen mit deutschlandzentrierten Worthülsen.

Es waren Bilder, die für ein ganz normaler Menschen kaum ertragen konnte. Mitten auf der Straßen liefen sie, entmenschte Sächsinnen und Sachsen, und sie "schwenken auch Deutschlandfahnen", wie Reporterin Nadine Mierdorf live bei N24 enthüllte. 2015, ein Jahr, das in die Geschichte einging als der Moment, in dem die Nation ihr hunderte Jahre andauerndes böses Spiel verloren hatte. Von nun an würde die Menschenfamilie global zusammenwachsen, jeder jedes Staates Bürger*in, der Schengen-Raum über alle Meere und Ozeane hinweg offen, jeder darf kommen, jeder darf gehen wohin er will. Und der alte Nationalstaat, der fliegt auf den Müllhaufen der Geschichte.

Von Stromautobahn bis Schuldenbremse

Das musste jeder einsehen, das durfte jeder genau so und überall frei heraus sagen. Die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin versorgte das Land mit einer knackigen Begriff: Die "Willkommenskultur" trat an die Seite bewährten Floskeln wie "Rettungsschirm" und "Energiewende", "Schuldenbremse" und "Wachstumspakt" und "Stromautobahn", letzterer eine Spontanerfindung des früheren Kanzlers Helmut Kohl, wie BWHF-Chef Rainald Schawidow wegen der bizarren Fügung stets betont. "National" war nichts mehr, alles wurde europäisch und würde bald global werden.

So glaubten die Menschen damals jedenfalls. "Mittlerweile aber hat sich der Wind gedreht", räumt Schawidow heute ein. Die Zeiten, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr "National" ablegte, um nur noch als "Mannschaft" von Sieg zu Sieg zu eilen, sie gingen nicht schnell, aber vorüber. "Das Nationale erlebt eine Renaissance", sagt Schawidow, der in den vergangenen Monaten ausgerechnet Aus Der weltoffenen Ampel-Koalition beinahe täglich Anfragen bekommt, mit denen Parteien, Politiker und Ministerien oft sehr eilig nach deutschtümelnden, das Nationale in den Mittelpunkt stellenden Worthülsen verlangen.

Rückkehr dunkler Zeiten

"Ich dachte eigentlich, dass diese dunklen Zeiten hinter uns liegen", gibt der noch beim DDR-Kombinat VEB Geschwätz ausgebildete Wortschmied und Floskeldichter mit betrübter Miene zu. Doch als untergeordnete Bundesbehörde, die BWHF gehört traditionell zum Apparat des früheren Propagandaministers, reagiere man auf Hülsenanforderungen "stets im Dienst des Zeitgeistes", beschriebt er. "Wenn also national determinierte Begriffe gefordert werden, dann heißen wir nicht Schreck, sondern dann liefern wir."

Das "Deutschland-Tempo" von Bundeskanzler Olaf Scholz entstand so genau in diesem: Zwei Nachtschichten nur brauchte es, "von der ganzen Belegschaft" (Schawidow) und dann stand der neue Kampfbegriff. Stunden später nur verkündete der Kanzler den Erfolg - der Muff von acht Jahren Internationalität, er wurde im Bundestag weggeblasen, mit einer einzigen Rede, die die neue Eile angesichts der veränderten Weltlage im Handumdrehen mit dem Nationalen versöhnt. 

Ein schwarz-rot-goldener Faden

Ein riesiger Erfolg, den kein großes Blatt, kein Magazin und nicht einmal einer der weltoffenen Gemeinsinnsender infragestellte. Die Deutschland-Tour, wie Rainald Schawidow den neuen Trend zu Deutschland-Plänen, Deutschland-Geschwindigkeiten und dem zuletzt in seinem Haus erdachten begriff "Deutschland-Pakt" nennt, sie geht weiter, als wäre das Nationale nie der Feme anheimgefallen. "Wir in letzter Zeit haben natürlich auch solche Sachen wie die Bazooka, den Wumms und den Doppel-Wumms produziert", gesteht Deutschland führender Propaganda-Poet, "aber es ist schon richtig, dass sich die Rückkehr des Deutschland-Begriffes wie ein schwarz-rot-goldener Faden durch unsere letzten Lieferungen zieht."

Inzwischen fahren alle mit auf dem Zug, der landesweit beklatscht wird wie einst der Sonderzug der 54er Weltmeister. Der "Spiegel" titelte "Alles für Deutschland", der Fußballer Thomas räumte ein, dass vielen Menschen Erfolge auf dem Platz immer noch viel wichtiger sind als Binden, Zeichen und Signale. "Sie wollen sich selbst und unsere Nation siegen sehen", glaubt er. Selbst die ehemals alternative Taz spielt die nationale Karte mit Leidenschaft und sucht mit einer Gruppe von SPD-Politiker:innen "Ideen für den Deutschlandpakt", der wie die Klassiker "Rettungspaket", "Rettungsschirm", "Benzingipfel" oder die neueren Kreationen "Basisschutz" und "Zeitenwende" natürlich reine Wortakrobatik seien. "Inhaltslos, aber beruhigen", wie Schawidow formuliert.

Mit Wurzeln im Mittelalter

Mit Kanzler Scholz, einem Sprachästheten, der einem Bericht des teilstaatlichen Portal T-Online zufolge etwa den Begriff "Wirtschaftsstabilisierungsfonds", ablehnte, weil der "wohl selbst dem Worthülsenakrobaten Scholz zu sperrig" (T-Online) geklungen habe, hat die BWHF einen dankbaren Abnehmer für ihre eng an den deutschen Grenzen orientierten Angeboten. "Den Deutschlandpakt haben wir aus "Deutsch", das auf das althochdeutsche Wort "diot" zurückgeht, und dem Pakt geschmiedet, der aus der Kanzleisprache der Mitte des 15. Jahrhundert stammt", erzählt er spürbar stolz. So rückwärtsgewandt sei noch kein neues Propagandawort aus der BWHF gewesen.lobt Deutschland führender Worthülsenschmied.



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