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Vergessene Zeitenwende: Schwindende Erinnerung

Nach 22 Jahren gibt es auch Keine neuen Verschwörungstheorien mehr. 911 ist vergessen.

Es war der Tag, nach dem nie wieder etwas so sein würde wie zuvor. Amerika war angegriffen worden, nun befand sich auch Europa im Krieg. Eine Epochenzäsur, die live im Fernsehen übertragen wurde. Nach den Hochhäusern brachen die Börsenkurse ein. Osama Bin Laden hatte den Westen dort getroffen, wo es ihm am wehesten tat. Beim Geld und bei der Ehre.

Peter Kloeppel, damals Noch ein bekannter Nachrichtenmann, fasste die neuen Zeiten zusammen: "Noch nie zuvor gab es Anschläge von einem solchen Ausmaß". Zumindest nicht, seit Arminus den Römern im September 1992 Jahre zuvor im Teutoburger Wald ebenfalls unangekündigt und aus dem Hinterhalt eine vergleichbar große Schlappe beigebracht hatte. Ein Imperium wackelte. Die westliche Wertegemeinschaft, seit Beginn der Präsidentschaft des besonders im medialen und politischen Berlin aus tiefstem Herzen verachteten George W. Bush bis aufs Messer zerstritten, sah sich von einem Augenblick auf den anderen mit einer bis dahin ignorierten Gefahr unbekannter Größe konfrontiert.

Gefahr unbekannter Größe

Der deutsche Kanzler Gerhard Schröder, Damals Noch Ein hochgeachteter Demokrat, versicherte, wohin auch immer George W. Bush marschieren wolle, die Bundeswehr werde mit ihm ziehen. Die Opposition warnte ein bisschen vor einem Nahen Osten, der demnächst "komplett in Flammen stehen" (Gernot Erler)  werde. Fernsehsender vermieden es, die durchaus verfügbaren Bilder feiernder Palästinenser zu zeigen, um den Falschen keine Munition zu liefern. Die deutschen Medien reagierten erstmals einheitlich auf eine Bedrohung, wie sie noch kein noch lebender Journalist erlebt hatte: Der Begriff "Moslem" wurde binnen Stunden durch das englische "Muslim" ersetzt, um keine Gefühle zu verletzen.

Im Übrigen stand neben den Aufräumarbeiten am Ground Zero bald die Befreiung der Völker auf dem Programm. Der Einmarsch in Afghanistan ließ auf sich warten, aber dann zogen die Truppen der Befreier durch die Steinwüste wie ein Messer durch Butter gleitet. Regimewechsel von außen wurden hoffähig. Das Völkerrecht wurde zum Recht des Stärkeren, denn schließlich hatte der edle Motive und die allerbesten Absichten. Monatelang schien es, als würde niemals wieder von etwas anderem die Rede sein als von Osama und seinen bärtigen Gesellen. Immer wieder waren dieselben wackligen Aufnahmen aus "Terrorcamps" zu sehen, immer wieder nahm der "Terrorfürst" dieselbe Parade von bizarren Wickelköpfen in Tarntracht ab, denen er eingeredet hatte, sie könnten mit ein paar alten sowjetischen Kalaschnikows die Welt erobern.

Nie wieder normales Leben

Das Publikum im Westen bekam allerdings denselben Eindruck. Niemals wieder würde das Leben wie zuvor sein, niemals wieder würden Blumen blühen, die nicht die Blumen des Bösen sind. Nie wieder würden Flugzeugpassagiere Wasserflaschen mit an Bord nehmen dürfen und Hotelgäste ein Zimmer bekommen, ohne einen Ausweis zu zeigen. Der Terror, er ließ nur insofern nach, als dass es weder Al Kaida noch dem nachfolgend erscheinenden konkurrierenden Islamischen Staat gelang, einen noch noch größeren, noch brutaleren und tödlicheren Anschlag zu planen und durchzuführen. All die Terrorakte, die noch kamen - viel beklagt die einen, trotzig ignoriert die anderen - sie waren im Grunde Rückzugsgefechte, verzweifelte Versuche, das Ende hinauszuzögern.

Dass nach 911 alles anders wurde, stimmt dennoch. Nur bemerkt hat es niemand. Facebook und das Smartphone, LCD-Fernseher und Flatrate-Internet, die eilige europäische Einigung, die Einführung des Euro und die Globalisierung der Arbeitsteilung haben die Welt mehr verändert als Bin Ladens Al Kaida, die nicht mehr als eine Fußnote der Weltgeschichte geblieben ist. Aus der "Basis" wuchs kein Überbau, weil der diesseitige Konsum offenbar auch die Mehrzahl der tiefgläubigen Moslems mehr lockte als die jenseitigen Versprechungen eines gescheiterten Bauunternehmers. Bier und der Verzicht auf fünf Gebete am Tag, Musik, Frauen, Wohlstand, Wasserklosetts und Waschmaschinen, sie überzeugen letztlich dorch mehr Menschen vom Diesseits als sich mit unsicheren Aussichten auf ein paradiesisches Jenseits in den frühen Opfertod locken lassen.

Bin Ladens Traum

Bin Ladens Traum von einer Massenbewegung, die in einem Dschihad des unbedingten Willens das weltumspannende Kalifat errichten werde, blieb eine Illusion. 22 Jahre nach dem Tag aller Tage ist kaum mehr die Rede vom islamistischen Terror, vom Islamistischen Staat oder dem Kampf dagegen. Wo anfangs zu jedem Jahrestag der Anschläge noch Sondersendungen mit der Schlagkraft römischer Legionen aufmarschierten, gähnt seit Jahren nur Leere, gefüllt mit Nichts. Es gibt keine Neuigkeiten mehr über die Hochhauszusammenbrüche, keine Berichte über neue Verschwörungstheorien, keine Bücher, keine Filme, keine vor innerer Bewegung zitternden Berichte ehemaliger Augenzeugen, die die eigenen Erinnerungen noch einmal besuchen.

Der 11. September, der alles veränderte, hat alles gelassen, wie es war. Die Taliban sitzen immer noch in Afghanistan. Die Welt führt immer noch Krieg, nur nun woanders. Deutschland ist immer noch die von allen Katastrophen, Seuchen und Krankheiten am heftigsten betroffene Region der Welt und auch diesmal ist die "Zeitenwende" (Scholz) eine für immer, eine historische Zäsur nach der erneut "größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg" (Merkel), die ohne große Pause auf die "größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts" (Konrad-Adenauer-Stiftung) folgte.


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