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Meinungsfreiheitsschutz: "Wir schleifen ganz scharfe Kanten"

Dem Versuch rechter Kräfte, die Meinungsfreiheit für sich zu reklamieren, setzt das Bundesblogampelamt eine klare Strategie der Dekontamination entgegen.

Vor dreizehn Jahren, damals noch unter der damals noch hochgeehrten Bundeskanzlerin Angela Merkel, wurde Herrnfried Hegenzecht recht überraschend auch für Kenner des politischen Berlin zum ersten Bundesverbotsbeauftragten der Republik ernannt. Seitdem hat der ehemalige Software-Experte und engagierte Mitarbeiter einer Freiwilligenagentur das neugegründete Bundesblogampelamt (BBAA) mit Sitz im mecklenburgischen Warin eine schlagkräftige Verteidigungseinheit für den erweiterten Meinungsfreiheitsschutz gemacht. Hegenzecht ist stolz auf die Bilanz seiner heute 4.765 Mitarbeiter, er sieht Aber auch, wo noch vieles im Argen liegt. dennoch blickt der höchste deutsche Meinungsfreiheitsschützer optimistisch in die Zukunft. Meinungsfreiheitsschutz sei Demokratieschutz im besten Sinne, sagt er. Und damit auch niemals fertig oder gar beendet.  

Herrnfried Hegenzecht, Chef des BBAA.
Im PPQ-Gespräch wirft der hohe Aufsichtsbeamte, zugleich Bundesverbotsbeauftragter, Politikern wie CDU-Chef Merz, der Grünen Kathrin Göring-Eckhardt und FDP-Chef Christan Lindner nun vor, mit ihren Äußerungen zu verschiedenen Themen Demokratie zu schaden. Nicht jeder im Land habe Verständnis dafür, dass Vertreter unterschiedlicher Parteien nicht nur derart verschiedene Ansichten pflegten, sondern mit ihren jeweiligen Überzeugungen auch noch öffentlich hausieren gingen. "Das spaltet", urteilt Hegenzecht, "denn in Zeiten großer Unsicherheit sehnen sich die Bürgerinnen und Bürger nach klaren und einheitlichen Ansagen."

PPQ: Herr Hegenzecht, Sie stehen seit mehr als einem Jahrzehnt als Chef des Bundesblogampelamtes im Feuer vieler Meinungsfreiheitsschutzgefechte. Wie schätzen Sie die Lage heute ein?

Hegenzecht: Sie könnte besser sein. Wir als Behörde haben zwar in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Schutzmaßnahmen hochfahren können, allein unser Personalreservoir ist heute mehr als zehnmal so groß wie in den Tagen, als ich hier im BBAA angefangen habe. Aber zugleich müssen wir konstatieren, Dass viele Politikerinnen und Politiker noch immer nicht verstanden haben, dass ihnen persönlich zugespitzte, provokatorische Aussagen zwar zu größerer Bekanntheit verhelfen, sie aber gleichzeitig den demokratischen Konsens infragestellen

PPQ: Wie meinen Sie das? 

Hegenzecht: Nun, wiedersprüchliche Angaben im Meinungskampf sind natürlich zulässig. Aber! Das sollte doch besser hinter verschlossenen Türen vonstatten gehen! Wenn jeder seine Ansichten ausführt, als seien sie die einzig denkbare Wahrheit, führt das selbstverständlich dazu, dass draußen, wo die Menschen immer noch leben, zum Teil ja auch wie vor 20, 30 Jahren, eine Irritation eintritt. Niemand weiß mehr, wem er was glauben soll oder darf. Das treibt eine gesellschaftliche Spaltung voran, wie wir sie zuletzt in den USA, in Spanien und Sonneberg gesehen haben. Das wollen wir doch nicht.

PPQ: Alle Ampelparteien und auch die anderen demokratischen Parteien müssen seit Monaten nicht nur schlechte Umfragewerte verdauen, sie trifft auch der offene Hass von Mitbürgern, die sofort losschreien, wenn irgendwo ein bekannter Politiktreibender auftaucht. Auch Sie selbst als bekanntes Gesicht des Meinungsschutzes hat das zuletzt im Nordseeurlaub getroffen, als Sie an einer Fischbrötchenbude beleidigt wurden, wie Sie uns im Vorgespräch erzählt haben. Hatten Sie Angst in diesem Moment?

Hegenzecht: Das bin ich oft gefragt worden. Aber nein, ich hatte keine Angst. Ich habe gedacht, ich stehe jetzt hier, ich bleibe auch stehen. Hinter mir stehen alle demokratischen Kräfte, steht das Gewaltmonopol des Staates, steht Europa. Ich hatte innerlich eine feste Entschiedenheit, standzuhalten und der Gewalt in diesen Stimmen nicht zu weichen, die kein Hehl daraus machten, dass sie mich und unsere Arbeit beim BBAA und im Amt des Bundesverbotsbeauftragten rundheraus ablehnen. Ich glaube, das war ganz wichtig für mich, aber auch für die ganz normalen, einfachen Leute, die ebenfalls da waren, aber mich vielleicht gar nicht erkannt haben, dass ich standhaft geblieben bin.

PPQ: Ist diese Dimension von Aggression Ihrer Meinung nach neu?

Hegenzecht: Diese Bösartigkeit ist schon was Neues. Selbstverständlich hat es in den frühen Tagen, als unsere Demokratie noch nicht so entwickelt war, ähnliche Ereignisse gegeben. Helmut Kohl wurde mit Eiern beworfen, Walter Momper ausbuht, man hat sich in Medien garstig lustig gemacht über Herrn Laschet und den Sozialdemokraten Schulz geradezu sträflich als Lokführer und Erlöser verhöhnt. Ja, es gab auch in der Vergangenheit Demonstrationen gegen die Politik, gegen Behördenhandeln und Verwaltungsentscheidungen. Aber die Bösartigkeit in den Gesichtern, die ich gesehen habe, die ist neu. Da fragt man sich schon: Was geht in den Leuten eigentlich vor? Sind die jemals wieder für das Gemeinwesen zurückzugewinnen?

PPQ: Sie selbst kommen aus der Bürger*innenbewegung, Sie haben gemeinsam mit dem früheren Bundesjustizminister Heiko Maas das Netzwerk der Hassmeldestellen aufgebaut. Sie haben also eine historische Perspektive. Wie kommt es, dass die Politik insgesamt so unbeliebt ist, dass eine Partei wie die AfD nicht mehr nur den demokratisch kaum vorgebildeten Wählern im Osten, sondern auch erfahrenen Demokraten im Westen als nutzbarer Hebel erscheint, die "Verhältnisse zum Tanzen zu zwingen", wie Karl Marx es genannt hat?

Hegenzecht: Der demokratische Block war im Osten traditionell nie so erfolgreich wie in Westdeutschland. Dafür gibt es ein paar objektive Faktoren. Viele Leute, die freiheitsliebend und weltoffen sind, sind weggezogen aus Ostdeutschland, das ja sehr klein und eng ist. Dazu kommt, dass mit der SED, die heute als Linkspartei unterwegs ist, immer ein Angebot da war, gegen die westdeutsch dominierte Mehrheit zu votieren. Da drüben wiederum, wie man früher gesagt hat, dachten die Menschen lange, sie seien auf der Siegerseite der Geschichte, das war der Eindruck, der durch eine endlose Kette an Krisenberichten aus dem Osten vermittelt wurde. Erst in letzter Zeit ist dann dort aufgefallen, wie die Politik eigentlich auch in Baden, Franken und im Saarland im ländlichen Raum wirkt, in den Klein- und Mittelstädten, wo die Älteren sehen: Da kommt keine große Rente am Ende, aber da kommt die Forderung, noch ein paar Jahre dranzuhängen. Und anschließend die Rechnung: Wie lange reicht das Gesparte für Pflegeheim? 

PPQ: Sie sagen, das ist kein Ost-West-Problem mehr? 

Hegenzecht: Es ist auf jeden Fall ein Stadt-Land-Problem. Alles im politischen Berlin wird von der Stadt her gedacht, das sind Visionen von Hamburgern, Kölnern, Frankfurtern, die Eigentumswohnungen besitzen, Netflix-Abos und oft auch große Hunde. Auch in den Ministerien arbeiten Menschen, die in der Stadt wohnen, derselbe Menschenschlag sitzt im Parlament. Ich arbeite ja im mecklenburgischen Warin, einer Stadt, die das BBAA hat, dazu noch drei Blitzer und einen Konsum. Meine Nachbarn fühlen sich in Berlin kaum vertreten, auch die Landeshauptstadt Schwerin ist weit weg. Ich glaube, die große Politik tät gut daran, wenn sie auf dem Land präsent wäre und in den Klein- und Mittelstädten, wenn man die führenden Leute nicht nur in Talkshows sehen  ürde, sondern auch beim Einkaufen.

PPQ: Das ist aber eine radikal andere Vorstellung von Demokratie, deren Ansatz als repräsentativ ja eigentlich nicht meint, dass der Repräsentierte seinem Repräsentanten dauern mitteilt, was seiner Ansicht nach gerade der Wille des Volkes ist.

Hegenzecht: Nun, im Gegensatz zu dem früher vertretenen pluralistischen Ansatz, dass Politik die Aufgabe hat, unterschiedliche Meinungen und Interessen im Land auszugleichen, sehen neuere Forschungen sie eher in der Pflicht, allseits den Eindruck zu vermitteln, dass sie Probleme durch Ansagen, eine Vielzahl von neuen Regeln, Plänen und Vorgaben lösen kann. Ich glaube, es geht in der Demokratie wirklich darum, Mehrheiten zu betrachten, ohne dass Minderheiten das Gefühl bekommen, sie hätten nicht auch die Chance, die Mehrheit zu werden. Nur das sorgt letztlich für Ruhe und Ordnung.

PPQ: Dieser Ansatz impliziert aber, dass jede politische Formation die Aussicht haben darf, ans Ruder zu kommen. Widerspricht das nicht klar dem Auftrag auch des BBAA, Handlungsbereitschaft zu zeigen, wo die Anti-Demokraten die demokratischen Möglichkeiten missbrauchen?

Hegenzecht: Das ist in der Tat der Fall. Wir haben Umfragen aus Baden-Württemberg, da liegt die AfD bei 19 Prozent. Wir haben Sonneberg, da hat sie eine Mehrheit. Wir haben 15 Prozent an Menschen unter uns, die massiv ausländerfeindlich sind, die die DDR vermissen, die EU ablehnen, Minderheiten nicht akzeptieren, die antisemitisch und antiislamistisch denken und die glauben, sie könnten das in Handeln umwandeln und Zuzug verhindern und die Fachkräfteeinwanderung, die so nötig ist. Als Behörde müssen wir das im Hinterkopf haben, wenn wir die Leitplanken ziehen, die im Meinungssstreit gelten sollen. Ich habe nie die Hoffnung verloren, dass wir auch Menschen zurückgewinnen können, die merken, die von der AfD, die lügen doch auch nur! Sicher ist, dass wir wahrscheinlich nicht alle überzeugen werden, aber der Einsatz lohnt sich auch für die paar, die für die Demokratie erreichbar sind, die nur auf ein paar populistische Töne und Ankündigungen eines Durchgreifens warten, um sich der gesellschaftlichen Mitte wieder anzuschließen.

PPQ: Fremdenfeindliche Töne inbegriffen? Regierungskritik? Zuwanderungsangst? Was halten Sie davon?

Hegenzecht: Ich finde das gefährlich. Ich finde es gefährlich zu versuchen, die Rechten mit rechten Parolen wieder einzufangen. Dass die Verluste der Grünen doch sehr genau dem entsprechen, was die Rechten gewinnen, spricht für mich nicht dafür, dass die Grünen mit ihrer Politik jäher Wendungen verantwortlich sind für den Rechtsruck, den wir zu verzeichnen haben. Das sind eher Menschen, die durch die Lager diffundieren: Grüne weichen nach rechts zur SPD aus, verstörte Sozialdemokraten wählen die Union, verunsicherte Wähler der CDU votieren für FDP oder AfD. Das ist enttäuschend, wenn man wie wir beim BBAA lange geglaubt hat, dass unsere Bürgerinnen und Bürger reif genug sind für eine Demokratie, die verlässliche Wahlergebnisse produziert. Aber wir müssen uns jetzt auch nicht in der Ecke verkriechen und sagen "Um Himmels willen", sondern wir müssen den Kampf um die Köpfe annehmen. Wir können es besser machen, mit Strenge, aber auch mit Nachsicht.

PPQ: Kritikerinnen und Kritiker fürchten aber trotzdem um den Markenkern der Demokratie, die lange nur die Strafbarkeit als Grenze der Meinungsfreiheit sah. Inzwischen ist sind Definitionen wie die Rechtswidrigkeit dazugestoßen, auch die verbotene Delegitimierung von Politik, Behörden und Verwaltungen irritiert Freunde der freien Rede ein wenig. Warum waren diese Konkretisierungen der vom Grundgesetz gewährten Freiheiten denn nötig?

Hegenzecht: Es geht bei allem darum, dass wir die Demokratie unterstützen, unsere Werte, die demokratischen Werte, ein gemeinsames Europa, und eine scharfe Kante schleifen zu denen, die das alles in Abrede stellen. Dass  wir dazu Waffen brauchen und Munition, ist vollkommen legitim. Da gibt es auch innerhalb aller demokratischen Parteien eine sehr, sehr große Zustimmung dazu. Denn klar ist doch, dass es beim Meinungsfreiheitsschutz natürlich auch weiterhin darum, die Menschenrechte aufrechtzuerhalten und trotzdem innerhalb des Landes und innerhalb Europas eine gemeinsame Position zu finden, an der sich unsere Menschen draußen im Land vorbehaltlos orientieren können. Alles andere, der Zwist, die Diskussionen, die von den unterschiedlichsten Akteuren vorgebrachten Ansichten, das alles spaltet, und negiert, was wirklich notwendig ist. In Zeiten großer Unsicherheit sehnen sich die Bürgerinnen und Bürger nach klaren und einheitlichen Ansagen, gerade in Zeiten des x-ten Hitzesommers, der Brände in Südeuropa, des Wassermangels und der Frage, wie wir künftig Fluchtursachen bekämpfen wollen, ohne die weitere Fachkräftezuwanderung zu behindern.

PPQ: Sie sehen sich selbst weiterhin in vorderster Front bei diesem Kampf?

Hegenzecht: Ich bin total happy mit dem, was ich tue. Wir spüren, dass das Ausmaß der Aufgabe immer größer wird, die sich uns stellt. Aber wir alle hier in Warin sind bereit, uns dem absolut hinzugeben.



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