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Am schlimmsten betroffenes Gebiet: Die Religion der Angst

Deutschland gilt traditionell als am schlimmstes betroffenes Gebiet.


Gerade erst wurde die Angst vor den Atomkraftwerken abgeschaltet. Ein Moment, der unmittelbar auf das Ende der Angst vor Corona und den Mutanten folgte. Doch schon ist Ersatz verfügbar: Der Dritte Weltkrieg. Die De-Industrialisierung. Die Lichter Werden ausgehen, die Preise bis zum Mond steigen. Heizen unbezahlbar. Essen desgleichen. Deutschland als traditionell am schlimmsten betroffenes Gebiet ersetzt eine Urangst schneller durch die nächste als die Apokalypsen wahr werden können.

Im mentalen Ausnahmezustand

E-Roller auf Gehwegen, von SUVs beiseitegewischte Radler. Messer in Verbotszonen. Islamisten im Supermarkt. Nachrichtenseiten und Fernsehen, aber auch Literaten und Regisseure inszenieren die ganze Welt als Abfolge von Katastrophen, Skandal und unerwarteten Zusammenbrüchen. Sie haben die Macht, Menschen, die selbst nicht betroffen sind, in einen mentalen Zustand zu versetzen, in denen die Erwartung, demnächst schon betroffen zu sein, den Blick auf die Welt bestimmt. Ist es in Deutschland mal nicht zu warm, wie im Frühjahr, dann findet sich ein anderer Ort, an dem es sicherlich Noch viel zu wärmer ist. Fehlt es an Wasser, kündigt sich die schon von der Bibel vorhergesagte unendliche Dürre an. Ist es nicht diese Plage, dann fehlt es sicher an Trockenheit und geklagt werden kann über viel zu viel Regen.

Nicht das Sein, sondern Bilder prägen das Bewusstsein. Irgendwo ist immer etwas, das sich fürchten lässt. Die Gemeinschaft der Mediennutzer lechzt nach Informationen über den jeweils aktuellen Untergang. Allerdings ist ihre Aufmerksamkeitsspanne so schmal, dass die Nachrichten über das Entsetzen von gestern schon keine Chance mehr haben, wenn neuer Schrecken verkündet werden kann. Syrien verschwand, als der Ukrainekrieg begann. Der Hunger in Afrika, die Erdbeben in Nepal und in der Türkei, die Rodungen im Regenwald, die Menschenrechte in Katar - was eben noch das gesamte Interesse aller fordert, weil die gemeinsame Zukunft aller Menschen der demokratischen Gesellschaften davon abhängt, ist Augenblicke später nur noch eine Fußnote für Leute mit ganz speziellen Interessen.

Immer bleiben die Krisen ungelöst

Alle anderen sehen sich einem Bombardement ausgesetzt, das sie von einer Hilflosigkeit in die nächste stürzt. Immer ist jetzt der Moment, in dem etwas getan werden müsste. Immer ist es morgen schon längst zu spät. Immer blieben die Krisen ungelöst, ein Notverband aus niedrigen oder hohen Zinsen, aus Versprechen und Plänen muss reichen. Immer kommt die Rettung allein aus der Ablenkung durch das nächste Drama, die nächste Tragödie. "Man lernt, sich hilflos zu fühlen, wenn man andere beobachtet, die unkontrollierbaren Ereignissen, etwa Naturkatastrophen, ausgesetzt sind", hat der Medienwissenschaftler Norbert Bolz einmal geschrieben. Eine Chance zum Genuss: Glücklich ist der, der seine eigene Situation mit der jener vergleichen kann, die es wirklich erwischt hat.

Wie der Reiche, der Wohlhabende, der, der ein wenig gespart hat mehr unter dem drohenden Verlust des Zusammengerafften leidet als der, der nichts zu verlieren hat, genießt der Deutsche die nie endende Aussicht auf schlechte Zeiten durch imaginierte Betroffenheit. Es gehört zur korrekten Haltung, anzunehmen, dass der Klimawandel natürlich hierzulande am schlimmsten wüten wird. Es gehört zum Selbstbild, anzunehmen, dass die eigene Art der Heizung ein globaler Kipppunkt ist.

Eine Droge für alle

Die anstehenden Katastrophen werden konsumiert wie eine Droge, mit der eine ganze Angstindustrie handelt. Je röter die Wetterkarten, desto wärmer wird es. Je hektischer die Themenwechsel, desto atemloser die Angst. Je unsichtbarer die Bedrohung, desto überzeugender das Argument, die Apokalypse werde eher morgen als übermorgen eintreten, wenn nicht sofort gehandelt werden. In welcher Weise auch immer.

Die Verkünder der schlechten Botschaften sind dabei längst Opfer der eigenen Parolen geworden. Jetzt länger sie denselben Vers predigen, desto überzeugter sind sie davon, dass er stimmen muss. Je weniger die Wirkung verfängt, desto sicherer scheint ihnen der Fakt, dass es noch nicht genug ist, noch nicht reicht, dass die Rettung der Welt nur gelingen kann, wenn die Angst noch größer wird und die Bereitschaft, die Apokalypse als unabwendbar anzuerkennen, schwerer wiegt als das Bedürfnis, einfach so weiterleben zu können. 

Querdies und Leugnerdas

Die moralische Unterstellung, jeder, der das wolle, versündige sich an allen anderen, hat etwas religiöses. Wer so denkt und so handelt, der gilt als Zyniker, als Neoliberaler, als Querdies und Leugnerdas. Unempfänglich für die Heilsversprechen, die den Ängstlichen gemacht werden - Erlösung durch Solar, Erlösung durch Wärmepumpen, Erlösung durch ein Tempolimit - tritt er aus der Gemeinschaft der Gläubigen aus. Ein Verweigerer der Verheißung, die Menschheit mit der Kraft der Änderungen des eigenen Verhaltens retten zu können, genau jetzt, genau nun, als teil einer erwählten Generation, der es gegeben ist, in den paar wenigen Jahren ihrer Anwesenheit auf diesem Planeten alle Weichen für immer zu stellen.

Anderenorts ist dieser Glaube denkbar schwach. Der Ägypter, der Japaner, die Türken, selbst Verbündete wie Dänemark, Schweden oder Portugal haben zumeist noch nicht einmal Kenntnis genommen von den vielen Formen der anstehenden Apokalypse, die auf dem deutschen "Markt der Gefühle" (Norbert Bolz) zum Tageskurs angeboten werden. Unvergessen die Jahre, als mit kleiner Münze auf das Angstkonto eingezahlt wurde: Radioaktivität im Trinkwasser war damals ein Klassiker, der "Supergau im Wasserglas", der sich seitdem irgendwie weggestrahlt zu haben scheint. Es kam bessere Ware rein, frischer, schlimmer, wertiger sogar als "radioaktives Uran", der deutschen  Angstreligion so lange treu diente.

Wie lange ist es noch fünf vor 12?

Statt der sieben Plagen gibt es unendlich viele Bedrohungslagen. Was, wenn? Wie lange noch ist es fünf vor 12? Statt "Was darf ich hoffen?", frage die neue, grüne Religiosität: "Was muss ich fürchten?", hat Bolz vor 15 Jahren analysiert, als die die Katastrophenrhetorik noch am Anfang stand, als nur systemrelevante Banken gerettet werden mussten und nicht ganz Gesellschaften vor sich selbst. Seitdem hat die "Industrie der Angst" (Bolz) Wachstumsraten erwirtschaftet, die in der Zulieferindustrie des Stichwortgewerbes ganze Divisionen von Gefälligkeitswissenschaftlern ernährt, eine Landschaft aus Beobachtungsbehörden, eine Politikergeneration am Rande des Nervenzusammenbruchs und eine kindliche Protestbewegung mit totalitärem Machtanspruch über die Mehrheit hat heranwachsen lassen. 

Die Welt, wird da geglaubt oder wenigstens gepredigt, sei noch zu retten, wenn nur ja alle am Gottesdienst der Vorsorge und Sicherheit teilnehmen, "Umweltbewusstsein" zeigen, "nachhaltig" leben, flach atmen, das ökologische Gleichgewicht wertschätzen und sorgsam horchen, was die Hohepriester der Natur an Botschaften ablauschen, die zur Richtschnur unseres Handelns werden müssen. Nicht bewegen. Schluss mit Wachstum. Einrichten im Heute für alle Zeiten. Wozu noch neue Technik, wenn dei EU verfügen kann, dass die alte repariert werden muss?



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