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Mauerbau: Was nicht rund ist, ist auch nie gewesen

Tags: mehr aber noch
Die Berliner Mauer hüpft aller fünf Jahre aus dem Kästchen mit den vergessenen Jubiläen.

Ein halbes Jahrhundert ist alles, 60 Jahre sind toll, Aber zwei Jahre Mehr sind nichts. In der artifiziellen Jubiläumskultur der späten Bundesrepublik schrumpeln nicht nur die Inhalte von Geschichte immer mehr auf zwei, drei fun facts aus jeder Epoche zusammen, sondern sie finden sich im Festtagskalender auch auf jeweils fünf- bis zehnjährige Kometenbahnen geschoben. Deutsche Einheit ist jedes Jahr, richtig aber nur aller fünf. Weltkriegsende und "Befreiung" (Richard von Weizsäcker) ebenso, aber dann doch nur noch aller zehn. Arbeiteraufstand war gerade erst, aber auch diese geschichtliche Sternstunde muss in Kürze ohne Zeitzeugen wirtschaften und dann kommen sie in der Regel nicht mehr so groß und laut vorbei.

Akuter Aufmerksamkeitsentzug

Auch der Mauerfall leidet diesmal unter akutem Aufmerksamkeitsentzug. Zum 60. noch hagelte es Sondersendungen und brühwarme Enthüllungen, historischen Hintergrund und erstaunliche Erkenntnisse. Trotz Corona ließ die Bundesregierung noch Bildstrecken basteln und eine Gedenkzeremonie unter freiem Himmel auf dem Vorplatz der Kapelle der Versöhnung an der Gedenkstätte Berliner Mauer abhalten. Zum 62. will die Stiftung allein klarkommen: "Nur für geladene Gäste" steht auf den Einladungen. Das Volk, das damals drin bleiben musste, muss nun draußen bleiben.

Der Kampf um die Erinnerung aber ist ohnehin verloren. Nicht einmal die "Junge Welt", das ehemalige Zentralorgan des SED-Nachwuchses, heute Spielzeug westdeutscher Kommunisten, würde sich zu einem unrunden Geburtstag heute noch wagen, den Mauerbauern "Danke" zu sagen. Mehr ostdeutsche Blätter aber sind nicht übrig, so dass die Deutung besiegelt ist. Dieter Dehms Warnung, "eine allzu gedankenlose Distanzierung vom Mauerbau könnte in Zukunft das Verständnis dahin dogmatisch versperren, wo eine ökonomisch unterentwickelte Region – um mehr Demokratie, mehr Ökologie, mehr Kulturausgaben, mehr Soziales zu wagen – sich abschottet oder etwa die Abwerbung der vom Monopolkapital bevorzugten Kräftigen, Jungen, teuer Ausgebildeten verhindern wollte" (FAZ, 2001), steht für immer im Buch der Geschichte.

In Stein gemeißelte Ewigkeiten

Das wird nie mehr zu übertreffen sein, das steht in Stein gemeißelt wie die Unumkehrbarkeit des Sozialismus, auf denen recht umstandslos die Unumkehrbarkeit des Fortschrittssprungs in die freiheitlichen Demokratie folgte. Kaum war der geschafft, wurde auch die Wiedervereinigung durch die Währungsunion umkehrbar, ein geschichtlicher Fakt für die Ewigkeit, wie ehedem das Frankenreich, die Realität der Herrschaft der Mauren in Spanien, die Christianisierung und der Sieg der Sowjetmacht im zaristischen Russland. Dass die Jammerossis später "nicht immer die am besten bezahlten Jobs" bekamen, wie der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Rangnitz viele Jahre später herausfinden konnte, ist kein Beinbruch. 

Die Investitionsentscheidungen internationaler Großkonzerne jedenfalls werden von vielen wichtigen Details beeinflusst, immer noch. Aber nicht mehr von der Existenz der ehemals PDS und nun Linkspartei genannten SED. Die war wegen ihrer historischen Verantwortung jahrzehntelang als Investorenschreck verschrien, die Schuld der Ulbricht-Erben für die deutsche Teilung war unauslöschlich wie die europäische Integration unumkehrbar ist, egal, was am Ende dabei rauskommt.

Ewig schlagen die Wellen, ewig weht der Wind, unumkehrbar ist die Stück Geschichte, jedenfalls, so bald sich wenigstens eine qualifizierte Mehrheit auf eine Version geeinigt hat. Gefeiert aber werden nur runde Geburtstage. Der Mauerbau also wieder 2026 (klein) und 2031 wieder ganz groß. Dann schon kalorien- und CO2-frei.



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