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Doku Deutschland: Besuch aus einer parallelen Welt

Martin Schulz hat immer noch die Fähigkeit, Menschen die Augen zu öffnen und ihnen die wahre Welt zu zeigen.

Ich habe sogar noch einen ganzen Moment gebraucht, als mir die Wahrheit direkt ins Gesicht sprang. Dann erst begriff ich, wie weit ich mich verrannt haben muss, auf welche Abwege ich geraten bin, wie quer ich heute schon allem stehe, was mir immer hoch und heilig war. Ich bin Martin Schulz, von dem ich ehrlich gesagt eigentlich dachte, er ist schon gestorben, wirklich dankbar, Dass er mich aus dieser Blase herausgeholt hat.

Lichtgestalt wie Thälmann

Schwer zu verstehen, Aber wahr: Erst als er, auch für mich vor einigen Jahren eine Lichtgestalt wie Teddy Thälmann oder Gerhard Schröder, jetzt in einem Interview aus seinem Leben berichtet hat, wurde mir vor Augen geführt, dass in meinem Alltag irgendetwas schief geht. Seitdem zweifle ich an mir selbst, an meinem Umgang, meinem Freundeskreis und selbst an der Familie.

Warum ist mir nie etwas aufgefallen? warum habe ich nicht einmal in mich hineingehorcht und mit selbst befragt? Wie konnte ich das alles für normal halten - dass alle meckerten, dass niemand auch nur mal einen Augenblick zufrieden war, mit dem, was wir noch haben? Heute weiß ich, das alles war ich selbst, weil alle, die ich kenne und alle, mit denen ich Kontakt habe, aus meiner Blase kommen, reden sie nicht nur wie ich, sie denken auch wie ich und teilen dieselben Ansichten. 

Resigniertes Kopfschütteln

Gegenseitig haben wir uns bestärkt in unserer Abscheu, in unserem Widerstand und im Bestreben, unser eigenes kleines Leben nach Möglichkeit abzuschirmen vor den Eingriffen der Regierung und ihrer Parteien, die nach unserer Überzeugung immer tiefer ins Private vordrangen. Heizungsgesetz, Klimavorschriften, CO2-Steuer, Ausgangssperren, Impfpflicht, offene Grenzen  - wo ich in den vergangenen zwei, drei, vier oder fünf Jahren mit Leuten geredet habe, wurde das alles am Anfang noch  mit einem resignierten Kopfschütteln hingenommen. Aber zuletzt sind viele ungehaltener geworden, das Wort "Irrenhaus" oder "Kaspertheater" wird verwendet, um staatliche Akteure zu delegitimieren. 

Harald Teichmann

Ich bin ganz offen. Ich hielt das für normal. Nach allem, was ich auf der Berliner Bühne vorgespielt bekommen habe, schien es mir eher verwunderlich, mit welcher Langmut wir das alles hinnehmen und wie wenig Protest es gibt. Martin Schulz, ein großer Visionär schon in seiner Zeit "Steuermann" (SPD) in der Nachfolge des letzten Weltpolitikers, der ehrfurchtsvoll so genannt wurde, hat meine Welt aber nun mit wenigen Worten auf links gedreht. "Ich begegne vielen Menschen, die mir sagen, eigentlich macht die Regierung gar nicht so eine schlechte Arbeit", hat der mittlerweile mit einem hübschen Stiftungsposten abgefundene frühere SPD-Vorsitzende wie nebenher bemerkt.

Mir lief es wie Eiswasser den Rücken hinunter. Ich meine, jetzt seien Sie mal ehrlich: Wann sind Sie zuletzt jemandem begegnet, der ihnen beibringen wollte, dass er glaube, dass die Regierung gar nicht so schlechte Arbeit leistet? Dass ihn, wie Schulz berichte, nur ein wenig stört, dass die "sich in nichts einig" sind? Dass er aber davon abgesehen sehr zufrieden ist mit der Ampel? Martin Schulz passiert das ständig, mir passiert das nie. Ich habe lange nachgedacht, wirklich, Und dass jemand mir gegenüber geäußert hat, er findet gut, was die Regierung macht, oder auch die Opposition, meinetwegen, das ist so lange her, daran erinnere ich mich nicht mal, wenn ich mir Mühe geben.

Perspektive aus dem Status Quo

Aber dass wirklich Komische kommt noch. Ich habe dann nämlich rumgefragt. Bei allen möglichen Leuten, die ich so kenne. In der Politik muss man seine Perspektive ja immer aus dem Status Quo heraus entwickeln, retrospektive Analysen helfen einem nicht. Wenn der Status Quo aber nicht klar ist, weil niemand einem ernsthaft sagen würde, dass er die Politik der Regierung gut fand, weil er sich dafür schämen würde, dann fragt man eben anders: Kannst Du dich erinnern, wann das letzte Mal jemand zu Dir gesagt hat, dass die Regierung gar nicht so eine schlechte Arbeit macht? Und: Wann war das?

Einfache Fragen, einfache Antworten, viel kohärenter jedenfalls als das derzeitige Regierungshandeln eines Kabinetts, in dem sich wahrscheinlich die meisten Minister gar nicht mehr an Martin Schulz erinnern: Oder zumindest nicht so wie ich, der ich dem Mann so viel verdanke. Nicht zuletzt ja jetzt auch, dass ich wieder auf dem Weg zurück bin in die Gemeinschaft der Demokrat*innen, wo man sich von links bis rechts einfach mal einig ist. 

Die Falschen gefragt

Nun schnallen Sie sich an. Jetzt kommt es! Es wollte nämlich niemand zugeben. Keiner! Am Anfang dachte ich noch, es ist Zufall, ich habe die Falschen gefragt, weil ich eben nur die Falschen kenne. Hetzer, Hasser, Quertreiber. Skeptiker und Pessimisten. Woran man sehen kann, wie sehr sich Europa und die Welt in den letzten 20 Jahren verändert haben. 29 Jahre, das war etwa die Zeit, die die Leute im Durchschnitt genannt haben für ihre letzte Erinnerung an einen Augenblick, in dem sie Respekt gefühlt haben für eine Regierungsentscheidung und damit auch zufrieden waren.

Ich war erschrocken, richtig erschrocken. So schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt. Aber der Traum, es könne jemals wieder so etwas wie eine Bevölkerung geben, die hinter dem steht, was eine Regierung tut, der ist aus. Diese Leute, die da jetzt überall in Deutschland leben, die haben zur Demokratie, wenn überhaupt, kein Werteverhältnis, sondern ein Nutzwerteverhältnis. Die gewinnt man maximal mit Geld, und deshalb erweckt die Bundesregierung inzwischen wohl auch den Eindruck, dass sie das verstanden hat. Überall viel nehmen und dann hier und dort mit großer Kapelle ein ganz klein wenig verteilen als wären es Geschenke.

Abschied der Boomer

Ich weiß, ich klinge schon wieder garstig. Aber das Gefühl ist eben da. Die Welt fliegt auseinander, sie ist aus den Fugen. Alles, was wir alten, also die Boomer, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgebaut haben, ist spätestens mit der Rückabwicklung der Schröder-Reformen ins Wanken geraten. Und nun haben wir die permanente allgemeine Verunsicherung. Alles wird teurer, nichts ist mehr, wie es war; keiner weiß, was werden wird. Das drückt sich aus in diesem Gefühl: Bei mir funktioniert es noch – aber was wird mit meinen Kindern? Klimakrise, Krieg, Hunger, Seuchen, China, Indien, Russland – alles scheint nicht mehr beherrschbar. Ein tiefes Gefühl der Verunsicherung – und das nicht weltweit, sondern in ganz Deutschland. 

Ich bin jetzt optimistisch. So ein Tiefflug kann nicht anhalten. Am Ende einer Legislaturperiode ziehen die Wähler bestimmt Bilanz und fragen sich, wer uns in den nächsten Jahren führen soll. Dann gehen sie auf Nummer Sicher wie immer und wählen, was sie immer gewählt haben. Zufriedenheit hin, Zufriedenheit her, es gibt immer wieder einen Vertrauensvorschuss für die nächste Zeit. Deshalb ist die Regierung gut beraten, Kurs zu halten, auch wenn niemand mehr hinter ihr steht. Auch wenn die kommenden Landtagswahlen schiefgehen, bedeutet das nichts. Durch die europäische Integration, die  erstaunlich demokratiestabilisierend wirkt, bleiben wir alle auch Demokratinnen und Demokraten, selbst wenn uns die Kraft fehlt, uns endlich entschlossen hinter die Regierung zu stellen.



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