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Demokratiesimulation Bürgerrat: Wie es zum falschen Namen kam

Mit dem ersten Bürgerrat, der der zweite ist, hält Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am wenig inklusiven Namen fest, der Frauenpersonen ausschließt.

Woher hätte Bärbel Bas die ganze Wahrheit auch kennen können? Erst seit 2009 sitzt die Sozialdemokratin im Bundestag, jahrelang so vollkommen unbeachtet auf einer Hinterbank, dass sich das SPD-eigene "Redaktionsnetzwerk Deutschland" nach der Nominierung der Sozialdemokratin für das Amt der Bundestagspräsidentin aufgeregt fragte: "Wer ist Bärnel Bas?"  Eine Antwort steht bis heute aus, doch seit der komplizierten Rochade, die die 55-Jährige zur "Präsidentin aller Abgeordneten" (Bas) machte, füllt die Frau aus Duisburg das zweithöchste Amt im Staate sehr zeitgemäß aus: Das mit dem "aller Abgeordneten" meint sie nicht so, auch ihre Forderung nach "Mut, Zuversicht und einem respektvollen Ton im Umgang mit Andersdenkenden" würde die Siegerin des Nachwahlkarussells nach dem Ende der Ära Merkel im Detail anders erklären als sie missverstanden worden ist.  

Mäßigung im Meinungsstreit

Demokratie, das ist für Bärbel Bas "Mäßigung im Meinungsstreit". Unter Volksvertretung versteht die Duisburgerin, dass sich die regierenden Parteien ein passendes Volk suchen, wenn das vorhandene da draußen im Land immer wieder enttäuschend bockig auf die wegweisenden Verengungen der Freiheitsräume reagiert. Dass schon ihr Vorgänger Wolfgang Schäuble sich im trüben Licht seiner letzten Tage einen "Bürgerrat" hatte basteln lassen, konnte Bas nicht ahnen, denn die wichtigen Erwägungen der 160 Auserwählten zum Thema "Deutschland Rolle in der Welt" gingen sofort nach ihrer Überreichung an Schäuble spurenlos im politischen Betrieb verloren. Keine einzige Zeitung, kein Fernsehsender oder Nachrichtenmagazin berichtet über die "Empfehlungen des Bürgerrats".

Für Bas, nicht wie Schäuble auf den Präsidentenstuhl abgeparkt, um im aktuellen Geschäft nicht weiter zu stören, sondern als Bundestagschefin bereits auf ihrem Karrierehöhepunkt angelangt, ist die Neuauflage deshalb eine Premiere. Erstmals, freut sie sich, sei über eine "Bürgerlotterie" ein Bürgerrat ausgelost worden, diesmal sogar mit Setzen und Losen, damit nicht zu viele Querdenker, zu wenige Veganer und vielleicht - was mathematisch zu erwarten gewesen wäre - gar keine Transmenschen im Gremium vertreten sind. 160 handverlesene Bürgerinnen und Bürger, von Bas selbst endausgewählt,  werden dem bisher von einer staatlich subventionierten Kantine versorgten Bundestag künftig Vorschläge zur Ernährung: Wer soll was essen? Wie viel? Wo? Und wann? 

Staatsaufgabe Nahrungsauswahl

Das Thema ist natürlich zentral in der aktuellen Lage der Republik. Kaum keine andere Frage beschäftigt Bürgerinnen und Bürger so intensiv wie "Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben". Wäre es vor Jahren noch völlig unverständlich gewesen, dass die Bundespolitik sich aufmacht, ein Gremium zusammenzustellen, dessen Aufgabenstellung keinen Zweifel daran lässt, dass die neue Räte-Demokratie die Art und Weise der Nahrungsaufnahme nicht mehr als ausschließliche Privatsache ansieht, sondern nur noch nicht sicher ist, wie weit sie staatlicher Kontrolle unterworfen sein soll, gilt das offiziell als "neue Form von Bürgerdialoge zur politischen Beteiligung" angekündigte  "Gremium aus der Bevölkerung" (ZDF) heute als "Bereicherung der Meinungsvielfalt" (Bas). 

Ein Rat, auf den niemand hören muss, dessen Mitglieder niemand kennt und dessen Empfehlungskompetenz wohlweislich auf gesellschaftliche Grundfragen wie die "Kennzeichnungen zur Umweltverträglichkeit und Tierwohlstandards", die "Besteuerung von Lebensmitteln" oder die "Lebensmittelverschwendung" beschränkt bleibt. Der aber, so die Hoffnung, dennoch gegen das Gefühl von "Bürgerinnen und Bürger in westlichen Demokratien" wirken soll, die sich nach aktuellen Erkenntnissen der Politikwissenschaft "nur ungenügend repräsentiert" fühlen. 

Diskriminierung schon im Namen

Wie schrecklich weit der Weg noch ist, den Bärbel Bas, ihre SPD, die Bundesregierung und der Bundestag bis zu einer gerechten Lösung der Partizipationsfrage werden gehen müssen, zeigen schon die landauf, landab stillschweigend akzeptierte Übernahme des ehemals vom harten konservativen Knochen Schäuble vergebenen Bezeichnung des neuen Demokratieinstruments: Der Name "Bürgerrat" blieb deutschlandweit unwidersprochen wie zuvor auch schon Hubertus Heils "Bürgergeld". Auch das "Bürgergutachten", das die Auserwählten der "schweigenden Mitte" (Bas) im kommenden Jahr vorlegen sollen, klingt nicht nach Inklusion oder der angestrebten "diversen Abbildung der Bevölkerung" (DPA), sondern nach politisch eingefahrenen Gleisen, die Frauen und weiblich gelesene Transpersonen schon verbal aus dem Alibi- und Nebenparlament ausschließen.

Kritik gibt es keine. Der ausschließlich männlich zu lesende Name der neuen Demokratiesimulation wurde bundesweit akzeptiert. Eine umgehende Umbenennung in das eigentlich korrekte "Bürgerinnen und Bürgerrat" oder aber wenigstens "Bürger*innenrät*in" forderte nicht einmal die SPD-Linke oder die Fundis bei den Grünen. Selbst die Linke, nach ihrer Neuausrichtung bestrebt, links außen neben dem klimakritischen Flügel der Grünen Jugend Platz zum Überholen zu finden, loben "Bürgerräte" (Jan Korte) uneingeschränkt.



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