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Der Gauckler: Viel zu viel und viel zu schnell

Seit dem Tod von Helmut Schmidt ist keiner mehr als er berufen, die Seelenlage Der Nation zu erkennen und zu beschreiben: Joachim Gauck.

Er kam damals von der Seite, als mit Christian Wulff ein jugendlich strahlender Vertreter der alten Bundesrepublik über einige kleine Fehltritte gestolpert war. Wie Angela Merkel, die es als "Ostdeutsche" aus Hamburg in der großen Kohl-Krise der Union an die Spitze der CDU schaffte, hatte der gebürtige Rostocker vor allem das Argument für sich, keinen altbundesdeutschen Stallgeruch mitzubringen.  

Gauck galt irgendwie als Bürgerrechtler, aber von handhabbarem Format, ein Pragmatiker, der sich als Chef der inoffiziell gleich nach ihm benannten Stasi-Unterlagenbehörde Meriten erworben hatte. Unter ihm war die Aufarbeitung institutionalisiert worden, auch bekamen die großen Zeitungen in den ehemals alten Ländern immer pünktlich und unbürokratisch ihr Stöffchen gereicht, wenn es zu bestätigen galt, Dass die Ostler noch nicht so weit waren, gleich massenhaft Verantwortung für ihre eigenen Dinge übernehmen zu können.

Keine lästigen Ruck-Reden

Gauck enttäuscht die Erwartungen nicht. Weder hielt er lästige Ruck-Reden noch störte er jemals den Normalbetrieb der Republik. Gaucks Position war immer die dazwischen: Die Vorratsdatenspeicherung, ein Monstrum, das jeden gelernten Ostdeutschen an Stasi-Praktiken mit Geruchstüchern und dicken Akten über womöglich unsichere Kantonisten erinnern musste, sah er routiniert besorgt. Die Sorgen über eine solche anlasslose Speicherung der elektronischen Kommunikationsdaten aller Bürger, die teile er absolut. Aber die Bundesrepublik werde ganz sicher kein Spitzelstaat zu werden wie die DDR, weil sie ja eben nicht die DDR sei. 

Dass die Partner aus den USA selbst deutsche Spitzenpolitiker abgehört hatten, stimmt ihn zwar nachdenklich und er regierte "hellwach" (Gauck). Denn "wir wollen keine Gesellschaft, bei der wir das, was so mühsam errungen ist, nämlich unsere Freiheitsrechte, in der diese ausgehöhlt werden." Aber letztlich sind die Dinge, wie sie sind und die Deutschland aushorchende National Security Agency war ja nun wirklich nicht das Ministerium für Staatssicherheit, das dicke Aktenbände anlegte! Nur ein paar "Selektoren" waren das, bestimmt auch demokratisch beraten. "Tauchen bestimmte Begriffe auf, die Gefahren andeuten, dann ist es auch in Deutschland möglich, hier einzugreifen und Informationen zu sichern."

Der Oszillator

Auf diese Art unfassbar oszillierend zwischen unvereinbaren Positionen erwarb sich Joachim Gauck höchstes Ansehen. Dass seine Vorratsdatenspeicherung ja schon verfassungs- und europarechtswidrig was, schadete ihm nicht. Dass er den zweiten überhasteten Atomausstieg der Regierung Merkel überhastet fand, kratzte seinen Ruf als tiefsinniger Denker nicht an. Heute geht der inzwischen 83-Järhige ganz auf in seiner späten Rolle als "Lehrer der Demokratie", wie ihn der Talkmaster Markus Lanz jetzt ehrfürchtig nannte. 

Als solcher ist seit dem Tod von Helmut Schmidt keiner mehr als er berufen, die Seelenlage der Nation zu erkennen und zu beschreiben, denn Für und Wider kann niemand anders so gut in zitierfähige Sätze packen. Einerseits als fremdele ein Teil der Ostdeutschen mit der offenen Gesellschaft. Andererseits aber gebe es doch "in jedem Land eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung, die so gestrickt ist, dass sie stärker Führung sucht und nicht so sehr eigene Mitwirkung und Mitbestimmung." Man könne also genaugenommen nicht aufhören, von Ossis und Wessis zu sprechen. Müsse aber konstatieren, dass es sich keineswegs um "Charaktermängel" handele, "die die Ossis da kollektiv haben" und die sie als Erben der Diktatur quasi zwingen, wieder nach einer harten Hand zu rufen, die sie lenkt und leitet.

Im schnellen Schwung

Schneller als der Alt-Bundespräsident die Dinge in Schwung bringt, dreht sich kein Karussell. Ist für die Umfrageerfolge der AfD eben noch der Umstand verantwortlich, dass nicht nur im Osten viele "Gefühle von Fremdheit gegenüber einer Moderne, die zu viel und zu schnell wandelt" spürten, so dass sie eine "signifikant hohe Anzahl" von Bürgern in hohem Maße verunsichert abwende von zu viel Vielfalt, besteht Gaucks Medizin dagegen in der Verordnung einer "gewisse Führungsstärke" der Regierung. 

Die soll, um zu verhindern, dass die anderen es tun, das tun, was die anderen versprechen: "Wertkonservative Politik" anbieten, alles ein bisschen langsamer machen, gewürzt mit Fortschritt und einer engen Gangführung in die Freiheit. Sie kann es aber auch lassen, denn die anderen, die Gauck betont flapsig "diese Typen" nennt, "kommen bei uns nie an die Macht in Deutschland." Deutschland, sagt der Mann, für den Impfverweigerer "Bekloppte" sind, sei ja doppelt geimpft durch eine braune und eine rote Diktatur - ein Bild, das nicht ganz passt, weil Immunität durch eine absolvierte Infektion genau das Gegenteil von Immunität durch eine Spritze ist.

Aber wer wird denn kleinlich sein beim Auftritt eines so großen Mannes, der sogar erkannt hat, dass das "Wahlprogramm der AfD" - offenbar das von 2021, denn ein neueres gibt es nicht - keinen großen Anlass zur Sorge bietet: Die "Typen" hätten nur ein Programm für die Unzufriedenen, für die Heimatlosen, selbst wenn man es schaffe, sich "nicht einzureden, dass alle, die diese Partei wählen, den Führer wiederhaben wollen." Unvorstellbar, aber war, dass es für einen wie den ehemaligen Bundespräsidenten offenbar völlig unvorstellbar ist, dass das angesichts dessen, was die politische Konkurrenz bietet, durchaus reichen könnte.



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