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Rechtsschreibung: Goebbels' Grammatik

Indianer:innen noch gendern, dann Freigabe.

Es ist ein herber Rückschlag für die Gerechtigkeit und die Inklusion Benachteiligter und direkt nach Sonneberg und der Säuberung der CDU-Spitze ein weiterer Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten. Gegen den Widerstand breiter gesellschaftlicher Kreise in Medien, Politik und aktivistischen Zirkeln hat der sogenannte "Rat für deutsche Rechtschreibung" (RddR) die Vielzahl der gebräuchlichen gerechtigkeitssignalisierenden Wortbinnensymbole in Bausch und Bogen als "nicht zum Kernbestand Der Deutschen Orthografie" gehörend abgestempelt.  

Es handele sich bei Binnen-I, Sternchen, Unter-, Binde- und Schrägstrich und Doppelpunkt um typografische Zeichen, die nicht zu den Satz- oder Wortzeichen gehören, aber auf "die orthografisch korrekte Schreibung von Wörtern unmittelbar einwirken". Aus korrekter Rechtschreibung wird Buchstabensalat mit dem Zweck einer "metasprachlichen Bedeutung zur Kennzeichnung aller Geschlechtsidentitäten". Dies aber führe zu "grammatikalischen Folgeproblemen", die "noch nicht geklärt" seien.

PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl über den verzweifelten Versuch, den gesellschaftlichen Sprachfortschritt aufzuhalten.

Eigener Beschreibung nach ist der "Rat für deutsche Rechtschreibung", dessen 41 Mitgliedern es obliegt, als "zentrale Instanz in Fragen der Rechtschreibung" für eine "Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung" bei "Bewahrung der Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum" zu sorgen und Zweifelsfälle der deutschen Rechtschreibung per Ukas zu klären. Eine Orientierung nicht nur für Deutschland, sondern auch für Deutschsprecher*innen in Österreich, der Schweiz, Liechtenstein, Südtirol und Belgien. 

Zwar lehnen in Deutschland selbst 86 Prozent aller Schreib- und Lesefähigen die Verwendung von gerechtigkeitssignalisierenden Zeichen in der Schriftsprache ab. Das liegt aber natürlich auch an mangelnden Erklärungen, wie viel friedlicher, freundlicher und gleicher Deutschland sein könnte, wäre es durchweg jedem Einzelnen freigestellt, sich eine eigene korrekte Rechtschreibung auszudenken und sie nach Belieben zu verwenden, wie es der Sprachideologe Anatol Stefanowitsch bereits vor Jahren mit Nachdruck vorgeschlagen hat. Laufen lassen, bis es fließt, dann setzt eine "Art Reparaturstrategie seitens der Sprachverarbeitung im Gehirn" (Stefanowitsch) ein: Die stößt dann "auf etwas, das (noch) nicht Teil des Systems ist und integriert es, indem sie nach etwas Ähnlichem sucht, das bereits Teil des Systems ist" und damit nach einer Übergangsphase wie jede fremde Sprache verstanden werden kann. 

Verweigerter Startschuss

Bewusst hat sich der "Rechtschreib-Rat" (Tagesschau) geweigert, den Startschuss für den Beginn dieses wichtigen Prozesses zu geben. 38 stimmberechtigte "Mitglieder" (RddR) stellen sich damit gegen einen Sprachaufbruch in eine neue Zeit, der durch neue Richtlinien zur Gendersprache hätte beflügelt werden müssen. Dass die Setzung von Wortbinnenzeichen nach eigenem gusto "zu grammatischen Folgeproblemen führen" könne, ist erkennbar eine plumpe Ausrede. Der "Rat" will damit den Kulturkampf bemänteln, den Rechte, Rechtsradikale, Rechtspopulisten und Sachsen leidenschaftlich gegen den Fortschritt führen: Man drückt sich dreist vor der Genehmigung der Einführung der geschlechtersensiblen Sprache, obwohl "staatliche Staaten" (FR) dringend genau darum gebeten hatten. 

Ein Unding. Denn favorisiert wird stattdessen das Beibehalten der alten Regeln. Dazu gibt es das laue Versprechen, die weitere Entwicklung der deutschen Sprache "beobachten" zu wollen. Als habe es nie eine breite Abkehr vom ewiggestrigen Schreiben und Sprechen in Schule, Lehre, TV-Studios und Parlamenten gegeben, ignoriert der Rat für deutsche Rechtschreibung einen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein, der bereits heute weite Teile der Schriftsprache mit Genderstern, Unterstrich und Doppelpunkt anreichert, um die wachsende Gruppe der Frauen und genderfluiden Mensch*innen überall dort wenigstens symbolisch ins Bewusstsein zu rücken, wo kein Platz für eine Regenbogenflagge ist.

Einfach nur Rechtsschreibung

Es ist Rechtsschreibung, die da unverhohlen propagiert wird, die Grammatik der Sprache der Hitlers, Goebbels und Jüngers, sprachlich sichtbarer und hörbarer geworden. Das "Gendern", wie die Sprache der EU aus dem Englischen entlehnt, aber nachfolgend zu einem ganz eigenen, eigen- und einzigartigen Idiom weiterentwickelt, wird verächtlich gemacht, als "schwer verständlich" verhöhnt und mit dem absurden Vorwurf verknüpft, ein angebliches links-grün-akademisches Milieu wolle aus lauter ideologischem Umerziehungseifer allen Menschen in Deutschland vorschreiben, wie sie zu reden und zu schreiben hätten. Wenn dann erst alle freiwillig gezwungen seien, Doppelpunkt, Asterisk und Unterstrich zu verwenden, soll das als finale Unterwerfungsgeste der ewiggestrigen Sprachreaktionär:innen gelten, die den großen deutschen Sprachkrieg beendet.

Natürlich, der RddR hat mit seiner Entscheidung, die Genderpflicht noch einmal zu verschieben, zweifellos demokratiepräventiv gehandelt. Die Enttäuschung rechts außen, wo die AfD sich für den Fall der Einführung einer Genderpflicht weitere drei bis sieben Prozent Stimmenzuwachs ausgerechnet hatte, war unmittelbar zu spüren.

Doch so lange das Feld umkämpft ist, weil keine amtliche Entscheidung für ein Verbot von Genderverboten fällt, ist die Vielfalt und Lebendigkeit der deutschen Sprache gefährdet. Es droht ein Schisma wie damals, als sich das Niederländische vom Niederfränkischen abspaltete, so dass sich Holländer:innen und Limburger_innen wegen grundverschiedener Dominanzstrukturen kaum noch verstehen. Ein warnendes Beispiel dafür, wohin der Streit um Nebensächlichkeiten führt, wenn abgetragene Sprachkorsetts unverdrossen weitergetragen werden, statt die rasche Einführung der Geschlechtergerechtigkeit offen und konstruktiv anzunehmen.



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