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Abschottung der EU: Fair vertagt

Tags: aber dass noch
Die EU hat bindende neue Regeln für irreguläre Migration ein weiteres Mal erfolgreich vertagt.

Es dauerte nicht 14 Tage, Aber am Ende auch noch keine 14 Jahre, bis sich die EU schließlich auf eine Reform der gemeinsamen Zustromregeln geeinigt hatte. Härter soll es werden, hereinzukommen, die Mauern werden nach ungarischem Vorbild nicht nur höher gezogen, sondern auch schärfer bewacht. Draußen vor den Türen plant die Wertegemeinschaft Sammellager, in denen Zufluchtsuchende aus den falschen Herkunftsländern unter Haftbedingungen abwarten müssen, bis in Schnellverfahren ihre Ablehnungsbescheide verfertigt worden sind. Nancy Faeser hat das Spiel nach den Regeln der AfD mit Blick auf die anstehenden Hessenwahl nicht nur angenommen, sondern mitgespielt. Auch die Grünen schafften es mit einigen Murren, den Machterhalt höher zu wertschätzen als ihre Prinzipien.

Neue Sprachregelungen

Die Bitterfelder Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech hat sich die neu erlassenen Sprachregelungen für den öffentlichen Umgang mit dem erneuten Umfallen in einer für die grüne Bewegung konstituierend wichtigen Grundsatzfrage angeschaut, um die allgemeinen Erklärmuster aus dem Propagandistischen ins Deutsche zu übersetzen. Hanwech gilt als intime Kennerin der Berliner Bühne, sie dolmetscht traditionell für die EU, etwa wegweisende EU-Papiere zur "Just-Transition-Strategy" und zu "Green Deal", deutscht aber auch Formulierungen aus der Bundesworthülsenfabrik, ein die auf den Gebrauch im politischen Alltagsgeschäft zielen. Hahnwech hat in Lyon und Klagenfurt Körpersprache studiert, sie besitze einen Master in simultaneous translation der Hochschule für Bewegungskultur in Montana.

PPQ: Frau Hahnwech, soweit man liest, sind alle mit den neuen Zufluchtregel unter Anerkennung der Grundrechte zufrieden, zugleich aber sind alle Beteiligten entschlossen, es dabei keinesfalls zu belassen. Wie geht das zusammen?

Hahnwech: Nun, für eine Lösung, die eigentlich nur einen Absichtserklärung ist, die ja noch zerredet werden soll, ist das Reformpaket wirklich mutig. Immerhin ist es ja geschafft worden, Dass jeder sich seine Punkte heraussuchen und sie für nicht schön, aber nützlich erklären kann. Selbst Politiker, die  Flucht, Migration und Menschenrechte inklusive Seenotretter zum Inhalt ihrer gesamten Tätigkeit gemacht haben, haben den  sogenannten "Beschluss zur europäischen Asylpolitik" am Ende passieren lassen. Die Frau Faser von der SPD hat ihn sogar als historisch bezeichnet, die grüne Außenministerin Annalena Baerbock nannte ihn zwar einen "Fehler", aber einen alternativlosen. Daran kann man schon erkennen, was gemeint ist. Die Rechte glaubt, dass das jetzt in die richtige Richtung geht und den Pull-Effekt, den es ja nachweislich nicht gibt, zumindest abmildert. Die Linke dagegen ist überzeugt, den Rest von Europa noch umstimmen zu können, so dass die Tore am Ende doch offen bleiben.

PPQ: Das erscheint sehr ambivalent, reden doch schließlich alle vom selben, wie sie es nennen, Paket?

Hahnwech: Zumindest in den ersten Tagen und Stunden stehen die Inhalte einer solchen rein theoretischen Vereinbarung doch gar nicht so im Mittelpunkt. Jeder weiß, das lehrt ja der Umgang mit den Maastricht-Kriterien, mit dem Kontrollverbot im Schengenraum oder auch mit der rechtlich lange für unmöglich gehaltenen Lieferung von Waffen in Kriegsgebiet, dass das alles nicht ernst zu nehmen ist. Die einen schreiben also danach von einem Durchmarsch rechter Positionen, die anderen finden, dass das alle nichts bringen wird, weil eine wirkliche Asylrechtsverschärfung gar nicht stattfinden wird. Danach gibt es dann noch das übliche Gerangel darum, Parteikonvents, Parteitage, Länderräte, allerlei Kompromisse, von denen niemand genau sagen kann, was sie eigentlich beinhalten. Allen Gesetzmäßigkeiten zufolge ist der Tross aber schon nach, vier bis sieben Tagen weitergezogen. 

PPQ: Aber die Beschlusslage, die bleibt doch? 

Hahnwech: Ich bitte Sie. Welche Beschlusslage? Ich würde sofort 100 Euro darauf wetten, dass nicht einmal ein Zehntel der Teilnehmer des grünen Weltgerichtes über den Asylrechtskompromiss heute noch sagen könnte, was die Zustimmung der Bundesregierung zur Einigung beim gemeinsamen europäischen Asylrecht genau beinhaltet und welche Verbesserungen die grünen Minister nun im Nachhinein noch hineinverhandeln sollen, damit die grüne Basis zufriedengestellt ist. Die Hybris, die sich darin zeigt, dass eine Partei mit gerade mal 126.000 Mitgliedern und um die 4,5 Millionen Wähler die Anhänger von 181 anderen Parteien aus 26 anderen Ländern glaubt veranlassen zu können, eine mit unglaublicher Mühe geschaffene Einigung über Bord zu werfen, ist zumindest beeindrucken. Und ja, ehe Sie fragen: In diesem Europa kann ihnen das gelingen.

PPQ: Wer soll denn dieses Paket mit den Vereinbarungen, das Spiel der SfD mitzuspielen, wie es Nancy Faeser geannnt hat, wieder aufschnüren wollen?

Hahnwech: Täuschen Sie sich nicht. Die Realität ist, dass immer um Zeit geht. Wer gewinnt, hat keine zu verlieren, aber wer verliert, der hat so lange nicht verloren, wie er es schafft, das niemand abpfeift. Sich auf eine Reform einigen und eine Einigung umzusetzen, dass sind zwei grundverschiedene Dinge. Bedenken Sie, dass die emsigen Schweden die sogenannte Ratspräsidentschaft schon  in ein paar Tagen an Spanien weitergeben, das seinerseits kurz vor Wahlen steht. Nach denen wird sich voraussichtlich erst einmal kein Rad drehen in Sachen Europa. Anschließend präsidieren Ungarn und Polen, die gar nichts weiter vorantreiben werden. Sind die fertig, ist auch schon Bundestagswahl. Und dann ist das natürlich auch noch das EU-Parlament mit mehr als 700 Vertretern aus 181 Parteien aus 27 Ländern, die sich alle nicht sonderlich grün sind. Schließlich noch die Kommission, 27 Kommissare, die alle Angst haben vor der nächsten EU-Wahl im kommenden Jahr. Da werden erst mal sicher keine grünen Festlegungen in Bausch und Bogen verworfen, aber auch die verkündeten sanften Asylrechtsverschärfungen nicht umgesetzt. 

PPQ: Aber wie stehen die Verantwortlichen denn dann da? Sie haben die Einigung doch nun schon verkündet?

Hahnwech: Aber doch mit Absicht direkt vor der Sommerpause. Wenn die Leute danach aus dem Urlaub kommen, erinnert sich nur noch eine ganz kleine Minderheit an diesen vermeintlich festgezurrten Kompromiss.Und der Rest wird ganz bestimmt nicht fragen, was denn nun genau umgesetzt werden von all diesen "verpflichtenden Grenzverfahren" und wie die "faire Verteilung" funktionieren wird, nachdem irgendwer irgendwelche sicheren Drittstaatskonzepte ausgedacht und die Verträge mit zweifelhaften Potentaten in den Hauptlieferländern der Schutzsuchenden ausgehandelt sind. Frau Merkel hat denselben Effekt dreimal erzielt, indem sie das von der Bekämpfung der Fluchtursachen immer wieder neu erfunden hat. Medien lieben das, ihnen erscheint es jedes Mal neu und unglaublich einfallsreich.

PPQ: Das heißt also, es bleibt alles, wie es ist, es gibt kaum noch Zugang zu Schutz in Europa, aber jeder kann kommen, wenn er es schafft?

Hahnwech: Das ist der Kompromiss, vorsorglich in Deutschland schon mit dem Beschluss zum sogenannten Spurwechsel abgefedert, den die Ampel beschlossen hat, falls es doch anders kommt. Auf die Art ist es gelungen, ein Papier zu fertigen, das die eben noch als Postfaschistin bezeichnete Italienerin Meloni und die deutsche Sozialdemokratin Faeser unterschreiben konnten, dass Annalena Baerbock falsch findet, aber richtig, und das die grüne Basis beklagt, ohne dagegen auf die Straße zu gehen. Die Reform, die verkündet wurde, macht nichts besser, aber auch nicht schlechter, sie  verschlimmert die Lage, weil sie eine Lösung vertagt, aber sie stabilisiert sie auch, weil sich alle darauf geeinigt haben, dass es so am besten ist. Bei großen Gruppen sind solche Vertagungsentscheidungen die Regel, weil sie alle Optionen offenhalten: Die eine Seite tröstet sich damit, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die andere vertraut ihrer Führung, die sagt, dass noch viele Entscheidungen getroffen werden müssen und man da überall noch Knüppel in die Naben stecken kann.

PPQ: Aber viele, die sich für eine menschenwürdige Asyl- und Geflüchtet*innenpolitik einsetzen, sind entsetzt. Ihre Deutung ist doch, dass nun selbst Grünen einknicken und Lager an den Außengrenzen befürworten und die SPD die Menschen, die neu zu uns kommen, wiedereinmal verraten hat, im Auftrag derer, die schon hier sind

Hahnwech: Dass man in solchen Situationen immer an Glaubwürdigkeit verliert, ist sicherlich beinahe allen bewusst. Aber auf Glaubwürdigkeit ist Politik unterwegs auch gar nicht angewiesen. Glaubwürdigkeit ist so gesehen ein Kapital, das nachwächst, so lange Sie nicht die Nerven verlieren und in einer Kurzschlussreaktion persönliche Konsequenzen ziehen. Wer sich mit dem, was er will, nicht durchsetzen kann, der beschwört einfach, noch Schlimmeres verhindert zu haben. So kann man relativ problemlos die Menschenrechte von Geflüchteten verraten, aber andererseits auch ohne große Umstände die enttäuschen, die darauf gesetzt haben, dass man nun mal endlich wirklich zu Verschärfungen kommt, die die Lage entspannen. Man wird sich dann immer damit entschuldigen, dass der Kompromiss der König der Realpolitik ist und man Minderheitenrechte eben nicht gegen eine widerstrebende Mehrheit durchsetzen kann. Das akzeptieren Menschen immer, weil ihnen diese Prozesse aus dem eigenen Leben bekannt sind.



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