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Stern-Stunden: Von Menschen und Monstern

Die "Stern"-Welt gleicht dem Marvel-Universum: Es gibt finstere Bösewichter und strahlende Heldengestalten.

Mit Rechten reden ist natürlich verboten, seit das gleichnamige Fachbuch vor Jahren abschließend regelte, mit wem anständige Deutsche noch in den Gedankenaustausch gehen dürfen und mit wem sie dies tunlichst vermeiden müssen. Rechts kontaminiert wie Weihwasser oder japanischer KKW-Ausfluss. Rechte haben - wie russische Trollfabriken - geheime Rezepte, mittels derer es ihnen Untersuchungen zufolge mit zirka zweiundsiebzigmal wirkungsvoller als ARD, ZDF, "Spiegel", "BZ" und "FR" gelingt, Andersdenkende mit falschen Narrativen zu füttern und sie umzudrehen. Nur Abstand halten hilft gegen die Infektion mit kruden Thesen und verkehrten Gedanken. Schon professionelle Nähe kann und darf unmittelbar als Infektion und der Infizierte nachfolgend als gesamtgesellschaftliche Gesundheitsgefahr betrachtet werden.

Wagemut mit Weidel

Wagemut gehört dazu, gegen diesen breiten Konsens in den Bionadevierteln zu verstoßen. Andererseits hat das Magazin "Stern" profunde Expertise im Umgang mit alten und neuen Rechten: Die Hamburger Illustrierte wurde weltweit bekannt durch ihre Dokumentation der Hitlertagebücher, "Stern"-Reporter führten bereits Interviews mit Markus Söder und Helmut Kohl und "Stern"-Kolumnisten lebten über Jahre hinweg von den Untaten des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Nun da der "Stern" sinkt wie ein Kleinst-U-Boot auf dem Weg zur "Titanic" ist es überdies auch egal, wer mit wem. Nur knallen muss es, ein Wumms, der selbst dort noch zu hören ist, wo allenfalls noch Bilderbücher gelesen werden.

Also Alice Weidel auf den Titel, die bürgerliche Fratze der Höcke-Partei, eine Frau ohne Eigenschaften, der schon auf dem Cover die entscheidende Frage gestellt wird: "Was können Sie eigent­lich außer Hass, Frau Weidel?". Die Logik der Fragestellung folgt der des Thüringer Treuetests für Wahlsieger: Entweder, Weidel pariert, indem sie vor den Augen der Reporter ein paar Socken stopft, ein Haus baut oder spontan Faust I und II in voller 4,5-Stunden-Länge als Solo spielt. Oder sie gesteht kleinlaut. Nichts. Ich kann nichts. Es ist wirklich nur Hass. Ich bin gar kein Mensch. Nur eine Beule aus fleischgewordener Hetze, sich tief drinnen sehnend nach einem scharfen Messer und einem entschlossenen Chirurgen, der mich aufsticht und die Gesellschaft von meinem Gift erlöst.

Beipackzettel statt Cover

Zu jeder Medizin, so schreibt es auch die vor Jahren als "Projekt Hera" angekündigte EU-Gesundheitsunion vor, gehört ein Beipackzettel, der je warnender gestaltet sein muss, je kreuzgefährlicher der Inhalt ist. Der "Stern" setzt diese Vorgabe seit Jahrzehnten mit traumwandlerischer Sicherheit in Aktivismus um, der nie Zweifel lässt, wer in welchem Gesinnungsbunker sitzt und aus welchem Schützengraben auf wen schießt. Helmut Kohl, der verachteten "Birne", dichtete die Redaktion an, Chef eines "CDU-Staates" zu sein, der verlachte und verhöhnte Pfälzer bekam eine Pickelhaube verpasst und die Zeile spendiert, er sei der "hässliche Deutsche" und "gefährde die Einheit". Kohls CSU-Kollege Franz-Joseph Strauß war hier der "Puppenspieler", der die ganze Republik an Stricken führte, US-Präsident Ronald Reagan war "gefährlich" bis zum "Totlachen".

Die Stern-Sympathien sind stets klar verteilt. Chinas Despot Mao war der "Vorsitzende" und seine unveröffentlichten Worte wichtig genug für eine Titelseite. Die DDR war das "Deutschland, das den Krieg gewann". Der Chef eines konkurrierenden Medienunternehmens wurde zum "Querdenker", der Präsident eines Nato-Partnerstaates zum "Brandstifter" und die Präsidentin eines schon vor 90 Jahren eng verbündeten EU-Mitgliedes zur "gefährlichsten Frau Europas". Sternstunden der Aufklärung, Sternstunden der Menschheit. Denn wenn der "Stern" erst auszieht, für klare Verhältnisse zu sorgen, dann tut er das nach dem Arbeitsprinzip kanadischer Holzfäller: Der Baum wird nicht nur von einer Seite gehackt, sondern stets von beiden.

Menschenmonster aus dem Stern-Universum

Und so gibt es nicht nur Feinde in dieser Welt, Menschenmonster, von denen sich jeder fortschrittlich, friedlich und freiheitlich gesinnte Geist möglichst fern hält. Sondern auch die anderen Figuren, Kameraden wie aus dem Marvel-Universum. Da war "Die Kämpferin" Angela Merkel und die bibbernde Vorfreude auf Annalena Baerbock, die "endlich anders" sein würde. Es gab den "Eroberer" (Stern) Martin Schulz, einen drögen SPD-Hinterbänkler, der zeitweise als "St. Martin" berufen war, die Welt zu retten. Die USA kam in Person von Joe Biden als liebevoller und besorgter "großer Bruder" zurück, endlich wieder, nach Jahren ohne Barack Obama, der der "Erlöser" und der "Retter in der Not" gewesen war, mit einer "lässigen First Lady" an seiner Seite.

Hoffnung für Amerika, Hoffnung für die Welt, vor allem anderen aber klare Rollenzuschreibungen. Verglichen mit den Hochzeiten der Hass-Titelbilder, als der "Spiegel", die andere große Illustrierte aus Hamburg, Woche für Woche neue Bilder für die Beschreibung des Unerträglichen fand, mutet das Gesicht des "Stern" zwar geradezu subtil an. Die innere Überzeugung aber ist da, sie ist unübersehbar, eine frohe Botschaft. Robert Habeck war fast "unser nächster Kanzler", dann aber wenigstens "Der Steuermann". Die Ampel trompetete "Wir schaffen das", für die britische Queen, Erbverwalterin eines unter hohem Blutzoll zusammengeraubten Imperiums, wurde gebetet,  der alten Kanzlerin eine Plattform geboten, um sich für all das zu rechtfertigen, was man ihr nach dem Ausscheiden aus dem Amt endlich als Fehler und Versäumnisse anzukreiden wagt. 

Grausame Grübchen

Angela Merkel lächelt auf diesem, ihrem vielleicht schon vorletzten Titelbild sanft, aber verschmitzt, sie hat nicht die betonartigen Gesichtszüge wie Alice Weidel, die nur vermeintlich offen in die Kamera schaut, mit den kleinen, tiefen, grausamen Grübchen in den Mundwinkeln aber unwillentlich verrät, wes Geistes Kind sie wirklich ist. Zehn Jahre nach der Gründung der Schwefelpartei, die ganz rechts außen startete und seitdem immer weiter nach rechts rückte, während sie sich radikalisierte und immer erweisen extremistischer wurde, hat es die 44-Jährige dorthin geschafft, wo bisher nur CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP auftreten durften.

Weidel steht nun auf einer Stufe mit Grönemeyer, Westernhagen und Dieter Bohlen, so wie Sachsen es als "dunkelstes Bundesland" (Stern) schon vor sieben Jahren aufs Titelblatt schaffte, platziert sie sich dort als finsterster Star. Fast sind sie erschrocken vor der eigenen verwegenen Idee. Die Teufelin auf dem Titelblatt. "Darf man das – ein Gespräch mit Alice Weidel aufs Cover heben, Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) und bald womöglich deren erste Kanzlerkandidatin?", stellte sich Chefredakteur Gregor Peter Schmitz quälende Fragen. Was wird passieren? Gibt es Demonstrationen?  Proteste? Verliert der "Stern" seine im Juli 1948 von der britischen Militärregierung ausgestellte Lizenz. Oder fällt die beliebteste deutsche Warteraumpostille der Feme ihrer letzten paar Leser anheim? Wenden sich die Anzeigenkunden ab? Oder ist der Aufmerksamkeitseffekt das Risiko wert? 

In einem freien Land mit freien Medien mögen das Fragen sollen sein, die sich niemand stellen würde. Im besten Deutschland aller Zeiten aber verlangen sie nach Antworten, Argumentation und Begründung. Die "Strategie der Nicht­beachtung" der AfD, heißt es im Risikohinweis des "Stern" über eine öffentlich bisher nie bestätigte Verabredung unter den großen Verlagen und Gemeinsinnsendern, habe keine Erfolge gezeitigt. Deshalb sei es nun "die Aufgabe der Medien, mit allen zu sprechen, die an die Macht wollen".



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