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Monstermann aus Mecklenburg: Mein Herz, die Mördergrube

Das Herz als Mördergrube: Till Lindemann gilt im Moment als Inbegriff des Bösen.

Der Film "Till – Kampf um die Wahrheit 2.0" beginnt mit Aufnahmen, die in ihren strahlenden Farben an das Donner und Doria der Live-Auftritte des Mannes erinnern, der früher als Korbflechter in den verlassenen Weiten Mecklenburgs hauste. Till Lindemann war auch dort ein Fremder, als gebürtiger Sachse lebt er neben seinen Nachbarn, aber ohne sie. Menschen, die ihn damals kannten, erinnern ihn als fröhlich und unbeschwert; ein fingerfertiger Kerl von imposanten Körpermaßen, dem bei Tageslicht keineswegs anzusehen gewesen sei, was in ihm schlummerte. Ein Dichter, ein Wagner-Tenor, eine Medienfigur, die ihr Umfeld mit rollendem R verzaubert.

Bratwurst auf dem Metal-Teller

Dass dieser Mann, der eigentlich hatte Olympiasieger werden wollen, dann aber schlagzeugerte, bei einer Rockband landet, die die einen als das Panzerschiff des deutschen Pop, die anderen aber als die Bratwurst auf dem globalen Metal-Teller sehen, war nicht zu erwarten. Als es geschah, muss Lindemann selbst am verblüfftesten gewesen sein. Wenn sich die Kamera in späteren Jahren auf sein oft verzerrtes Gesicht fokussierte, blieb kein Zweifel daran, dass Ruhm harte Arbeit bedeutet und den ruhmreichen Rockrecken unheilvolle Vorahnungen nicht verschont hatten. All das Getöse, das die zackige Rammsteinmusik ausmacht, es füllt die Leere in einem Herzen, das von innen betrachtet schwarz ist.  

Nach uns wird es vorher geben, aus der Jugend wird schon Not, wir sterben weiter, bis wir leben, sterben lebend in den Tod", reimte Till Lindemann für "Zeit", dieses große Epos, das Goethe zitiert, aber auch Pink Floyd ("Time") und Lindemanns Großmutter ("Aufhören, wenn es am Schönsten ist"), zudem aber auch als harsche Absage an alle gelesen werden kann, die wie die Mächtigen von Lindemanns Kindheit und Jugend ein Himmelreich im Morgen versprechen. "Zukunft kann man nicht beschwören" singt Till Lindemann da nach dem Muster des Grundgesetzartikels, der behauptet "Die Würde des Menschen ist unantastbar".

Die Illusion von der Menschenwürde

Beides ist unwahr, wie das Tagesgeschäft zeigt. Kein Moment auf dieser von den Boomern der Lindemann-Generation zerstörten Welt, in dem nicht Menschenwürde angetastet wird. Kein Augenblick, in dem nicht Hohepriester von Ideologien, abstrusen Religionen und randständigen Überzeugungen versichern, man müsse nur auf sie hören und das Paradies werde sich unaufhaltsam nähern. Immer haben solche Versprechen zum Gegenteil geführt. Von Willy Brandts Sexzugfahrten über John F. Kennedys legendären Frauenverbrauch bis zu Bill Clintons Zigarrenaffäre, Daniel Cohn-Bendits "pädophile Träume" (FAZ), Rainer Brüderles Dirndl-Fantasien und Michael Jacksons dunklen Geheimnissen zieht sich die Tradition der ungleichen Geschlechterkommunikation durch die Geschichte von Rock, Pop und politischer Poesie. 

Niemand hat von nichts gewusst, aber keiner konnte ahnen, dass das Herz als Mördergrube solches Marketingpotenzial hat. Längst hat Till Lindemann, der ehemalige Korbflechter aus Wendisch Rabow, selbst Wladimir Putin und Donald Trump als reinste Inkarnationen des Bösen weit hinter sich gelassen. Der Monstermann Aus Mecklenburg, dem "Frauen im Rahmen einer gemeinsamen Recherche" des Gemeinsinnsenders NDR und der "medienkapitalistischen Heuschrecke" (ARD) "Süddeutsche Zeitung" vorwarfen, es sei "auf mindestens einer für Lindemann organisierten After-Show-Party zu Geschlechtsverkehr gekommen" (Deutschlandfunk) dominiert. Wellen wie aus Donnerhall laufen seitdem um den deutschen Erdball.

Verquere Fronten

Wie verquer sich selbst die Fronten dort darstellen, wo noch an das Beste geglaubt und für dessen rasche und bedingungslose Durchsetzung gekämpft wird, zeigen die Reportagen aus der Furche der verderbten Welt des "Gottes" (Spiegel) am Rammstein-Mikrofon. Natürlich geht es um "Betroffene und Zeugen des perversen Groupie-Systems". Doch im dreizehnköpfigen Aufgebot der Aufarbeiter dominiert die männliche Sicht: Im immer noch maskulin dominierten früheren Nachrichtenmagazin müssen gerade mal vier Frauen gegen eine Übermacht von neun Männern anschreiben, um den Vorwürfen "mehrerer junger Frauen" Gehör zu verschaffen. 

Ein Herrenwitz. Der Diskurs, der sich über andere Erörterungen legt, die nur vom Wesentlichen ablenken würden, hat dadurch eine geschlechtliche Schlagseite. Die Männer bleiben selbst in dem Augenblick an der Deutungsmacht, in dem es darum geht, einen mutmaßlichen Maskulinisten und Prediger popkulturell stets umkulteter Promiskuität  des Festhaltens an falschen Ritualen und ablehnenswerten Sitten zu überführen.

Für die Opfer der Machenschaften rund um die rammsteinsche Marschmusik, die nur die Spitze eines Eisberges aus kaltem Kalkül auf schnelle Befriedigung von Sexualtrieb und der Sehnsucht der "Groupies" (Spiegel) darstellt, bedeutet dieses männlich dominierte Aufarbeitungsritual nichts Gutes. Die Opfer, von den Medien gern lüstern "junge Frauen" genannt, finden sich hier auf traditionelle Weise vergegenständlicht wieder. 

Sie sind nun wieder Menschen, allen Bemühungen des Feminismus zum Trotze, ohne freien Willen, den Launen eines enigmatischen Poeten ausgeliefert, dessen ganzes Trachten dem Übergriff und dem Machtmissbrauch gilt. Er, der Mann, bestimmt in dieser Darstellungsform allein, wo es langgeht. In einer dunklen Kammer unter der Bühne müssen sie vor ihm niederknien, und "selbst wenn es wegen der Vorfälle nicht zu einer Verurteilung kommen sollte", wie die NZZ urteilt, soll das "moralische Empfinden nicht aussetzen" dürfen. "Junge Frauen", "Groupies", hin oder her, wer sich auf die Verlockungen des Rocker-Glamours einlässt, wird nicht nur, er "bleibt" (NZZ) sogar Opfer einer ungleichen Beziehung.



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