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Entwalder im Visier: Wie die EU den Vernichtungsfeldzug stoppt

Überall im Harz  konnte in den vergangenen Jahren Platz für neue Bäume geschaffen werden. Doch die EU hat keine Nachsicht: Sie hat jetzt ein Verkaufsverbot für Waren aus Entwaldungsgebieten verhängt.

Bilder des Grauens, Schneisen der Verwüstung, Schlachtfelder des Klimauntergangs. Wo ehemals deutsche Wälder waren, dichte, teils düstere Forste, in denen zeitgenössischen Berichten zufolge Wölfe wüteten, die selbst Menschen fraßen, klaffen heute riesige Lücken im Landschaftsbild. Die Nacht auf dem kahlen Berge ist kein jammerndes Musikstück des Russen Modest Mussorgskis mehr, sondern eine Tatsache: Schon kleinen Hügeln lässt sich erstmals seit Jahrhunderten weit ins Land schauen. Auf andere Hügel, frei von Bäumen.  

Angriff der Borkenkäferzüchter

Vor allem im Harz, bis vor wenigen Jahren das schönste deutsche Mittelgebirge, haben es professionelle Borkenkäferzüchter geschafft, binnen weniger Jahren hunderte Hektar sogenannten Nutzwald zu vernichten. Die minderwertigen Baumbestände galten als hinderlich beim Aufbau eines regelkonformen Naturwaldes, wie er bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hier existiert haben soll. Erst danach wurde im Zuge der Reparationsleistungen abgeholzt. Und ersatzhalber mit minderwertigem Nadelholz eilig wieder aufgeforstet.

Den Borkenkäfer anzusetzen, um den falschen Harz-Wald auszumerzen, war eine grüne Idee. Anders könne man der "Harz-Mafia" nicht beikommen, verriet die zuständige Ministerin nach eine Welle von Kritik aus Kreisen von Waldbesitzern, denen der frei durch die Baumbestände ziehende Borkenkäfer die Erträge von Jahrzehnten Arbeit und Geduld vor den Augen wegfraß. Diese private Verzweiflung aus enttäuschter Profitgier aber war nur ein Aspekt. 

Gegen die Lobby aus Baumschützern

Gesellschaftlich viel wichtiger war das Durchhaltevermögen  der Nationalparkwächter: Den Schädling gewähren zu lassen, auch als er den Nationalpark hinter sich ließ und die Wälder ringsum angriff, obwohl eine mächtige Lobby aus Förstern, Baumbesitzer, Umweltschützern und Touristen nicht aufhörte, laut zu jammern, ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt der Geschichte. 

Dessen Erfolge heute überall im Harz zu sehen sind: Es ist Platz da, Platz für neue Wälder, für Bäume ohne Ende, für eine Zukunft, in der Holz klimafest gezüchtet wird. 50, 70 oder 100 Jahre Geduld braucht es noch. Dann könnte Deutschlands erster echter Klimawald die Harz-Hänge bedecken und als Teil der Sofortstrategie Klimaanpassung der Bundesregierung Hitzeflüchtlingen Platz unter einem kühlenden Blätterdach bieten.

Boykott für Entwaldungswaren

Wäre da nicht die EU. Ausgerechnet das Europa-Parlament, das deutschen Regierungen schon mit so vielen hilfreichen Richtlinien und Maßgaben  geholfen hat, einen Unmut in der Bevölkerung auf die "die da oben in Berlin" zu vermeiden, schießt nun quer und torpediert die Pläne, im Harz in den kommenden fünf bis zehn Jahrzehnten einen echten neuen Ur-Wald aufzubauen. Und das nicht einmal absichtlich, sondern aus falsch verstandener Solidarität: Mit einer rabiaten Verschärfung der Einfuhrregeln für  für viele Waren hatten die EU-Parlamentarier eigentlich die Regenwälder weltweit vor der Vernichtung bewahren wollen. 

Nun aber stellt sich heraus, dass das umfassende Produktions- und Vertriebsverbot für sämtliche Waren, die "mit der Abholzung im Zusammenhang stehen" (Tagesschau) auch im Inland gilt - und zwar schon in 20 Tagen, wenn die neue harte Regel für Produkte aus sogenannten "Entwaldungsgebieten" in Kraft tritt. Ein Schock für zahlreiche Firmen in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, aber auch in Sachsen, im Schwarz- und im Bayrischen Wald. Nach den geltenden neuen Vorschriften dürfen sämtliche Produkte künftig nicht mehr in der EU verkauft werden, wenn sie aus ehemals bewaldeten Gebieten stammen. Nach einer aktuellen Einschätzung aus dem Klimawirtschaftsministerium trifft das auf ganz Deutschland zu. "Unser Wald ist mehr oder weniger weg", hatte Robert Habeck zuletzt eingeräumt.

Wolfsburg und VW im Visier

Damit greifen die EU-Handelsverbote hierzulande relativ umfassend. Von Wolfsburg, einem Gebiet, das bereits vor 100 Jahren abgeholzt wurde, um Autofabriken zu errichten, bis zu den Weiden des harzen Höhenrinds, das sich dort gütlich tot, wo zu Rotkäppchens Zeiten noch dschungelartiger Wildwuchs herrschte, treffen die umfassenden EU-Maßnahmen gegen umweltschädliches Verhalten tausende, womöglich hunderttausende Unternehmen in Deutschland. 

Zwar hat das Europaparlament nur ein Importverbot für Waren, bei deren oder für deren Herstellung Wälder zerstört wurden. Doch das "Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten" gilt als so "dringend notwendiger Schritt im weltweiten Kampf gegen Entwaldung", wie Anna Cavazzini, die Vorsitzende des Binnen­markt­ausschusses im Europaparlament dem SPD-Redaktionsnetzwerk (RND) sagte, dass die EU gar nicht umhin kommen wird, die geplanten neuen Maßstäbe für den globalen Waldschutz auch auf sich selbst anzuwenden.

Die Verantwortlichen in Brüssel scheinen entschlossen zu sein, noch vor der irgendwann im kommenden Jahr anstehenden EU-Wahl Nägel mit Köpfen zu machen. "Wer unseren Planeten zerstört, darf in der EU keine Geschäfte machen", heißt es in Brüssel auch mit Blick auf die ehemals so grüne Harz-Region, in der in den letzten sieben Jahren etwa 23.000 Hektar entwaldet wurden.

Zehn Prozent in nicht einmal zehn Jahren

Das sind zehn Prozent der Gesamtfläche des Waldes dort. Der Harz konnte damit in kurzer Zeit aufschließen zum Durchschnittswerte der Waldfläche, die weltweit in den zurückliegenden 30 Jahren abgeholzt worden war. Weil die EU die Abholzung von Waldflächen etwa in Privatbesitz aber auch in gewinnorientiert arbeitenden staatlichen Forsten ebenso wenig verbieten kann wie die vom Nationalpark betriebene Borkenkäferzucht, setzt sie den Hebel bei den Lieferketten an. Künftig sollen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht  mehr mühsam nach Informationen darüber suchen müssen, welches Auto, welches Brot, welches Kleidungsstück oder welches Küchengerät aus welcher einst bewaldeten Weltgegend stammt. Als Grundregel gilt: Künftig müssen die Handelsunternehmen diese Recherche übernehmen, stoßen sie auf Hersteller, die in ehemals bewaldeten Regionen sitzen, dürfen sie deren Waren nicht mehr in der EU zum Verkauf anbieten. 

Zollbehörden soll die Einhaltung der Auflagen kontrollieren, über eine noch zu schaffende EU-Zoll-Satellitenpolizei auch aus der Luft, mit Drohnen und niedrigfliegenden Erdsatelliten. Alles ist recht, was hilft, das Schicksal der Welt zu wenden. "Wer unseren Planeten zerstört, darf in der EU keine Geschäfte machen“, hat die SPD‑Europaabgeordnete Delara Burkhardt festgestellt, die aus Schleswig-Holstein kommt und angesichts der Geschichte ihres ehemals dichtbewalteten Heimatbundeslandes bereit ist, den Preis für eine Wiederaufforstung zu zahlen, damit die Nordlichter eines Tages wieder am innereuropäischen Handel teilnehmen können. 

Deutschland in unterster Schadensklasse

Dafür gibt es im Norden im Augenblick kaum eine Chance, ebenso wenig wie in Mitteldeutschland oder am Rhein im Westen. Bei der vorgesehene EU-Klassifizierung der Schadensklassen der Länder je nach Grad der Entwaldung schneidet Deutschland aufgrund seiner jahrhundertealten Sünden denkbar schlecht ab.  Doch die EU‑Kommission dürfe sich dem Druck der Lobbyisten nicht beugen, die trotz der immer noch akuten Waldvernichtungskrise im Harz Besserung geloben, heißt es bei der grünen EU-Abgeordneten Michele Gavazzi. "Wir müssen bei der Einstufung objektiven Kriterien folgen." Nur so könne die zunehmende Entwaldung gestoppt werden. Die neuen Vorschriften gelten auch für Waren, die die gelisteten Rohstoffe enthalten oder aus ihnen hergestellt wurden.



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