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Heiko Maas: Aufstehen und Weggehen - Abschied einer Vaterfigur

Auch für die Energiewende setzte sich Heiko Maas ein Leben lang erfolgreich ein.

Er war nahbar, ließ seine Wählerinnen und Wähler tief in sein Leben hinein. Niemand sollte nichts wissen von seiner Partnerschaft, seiner Familie, seinen kleinen privaten Problemen, die doch nie hinderten, das ganz Große zu sehen, die Aufgabe, die zu erfüllen  ein sozialdemokratischer Gott ihn ins deutsch-französische Grenzgebiet gesandt hatte. Heiko Maas, Sohn eines Berufssoldaten und einer Schneiderin, schien körperlich nie ganz ausgewachsen zu sein. Doch im Geiste regierte der Jurist, der dennoch ein Leben lang Mitglied der IG Metall blieb, Städte, Länder und Staaten.

Ein Rückzug mit Rückgabe des Mandats

Zum Abschied vergilt ihm das kaum noch einer von denen, denen er über Jahre hinweg Anlass zum Schreiben gab. Lapidar  nur vermeldet der ihm eng verbundene Gemeinsinnfunk die Nachricht vom Ende  der "Karriere". Einen "Rückzug" nennt es sein Heimatverein. Die Rheinische Presse beschreibt hingegen die Rückgabe des Mandats, um das der 56-Jährige erste vor einem Jahr die Menschen draußen im Lande gebeten hatte. Nun schon keine Lust mehr auf Hinterbank. 

Da ist etwas zerbrochen in einem Mann, der immer davon ausging, dass er alles kann. Frieden stiften und die Arbeiter anführen. In andere Länder reisen und dort Bescheid geben, wie und was nun getan werden muss. Gerechtigkeit bringen, Frieden. Und das Rechtssein, das ihm ein Leben lang so viele Sorgen machte und zugleich so viele Erwähnungen in Presse, Funk und Fernsehen brachte, endlich "ausmerzen", wie es der andere große Sozialdemokrat Franz Müntefering am liebsten nannte.

Anzüge aus der Kinderabteilung

Heiko Maas kannte keine Verlegenheit. Er trug Anzüge aus der Kinderabteilung, bis alle Fernsehmoderatoren es auch taten. Er nahm jeden Job an, Hauptsache, er war Minister. Er schrieb Bücher, die niemand kaufte und keiner las, die ihm immerhin aber, und das war der Plan, wohlwollende Rezensionen in den großen Blättern einbrachten, die seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getreulich ausschnitten und ihm mit einem Lächeln vorlegten.

Ein Bild aus einem Flugzeug illustriert am besten, wie der Mann sich sah, der für die Öffentlichkeit "Minister Heiko Maas" war. Ein wenig erschöpft, aber in einem blütenweißen blauen Hemd sitzt Maas in einem Flugzeug, unterwegs zu neuen Taten am anderen Ende der Welt. Vor ihm auf dem Tisch eine Art Wasserbesteck, Becher, Kanne, gekühltes Desinfektionsmittel zum Gurgeln. Maas trägt Maske und wird durch diese Maske auch Trinken, denn er kann das, Schließlich war er es gewesen, der es in nur knapp zwei Jahren im Amt des deutschen Außenministers geschafft hatte, große Vorgänger wie Gustav Stresemann, Oskar Fischer, Ernst von Weizsäcker, Hans-Dietrich Genscher und Guido Westerwelle weitgehend vergessen zu machen.

Mit verbaler Gewalt

Seinen gesellschaftlichen Einfluss übte Deutschlands größter Sender von Zeichen und Symbolen mit Hilfe der modernen Diskussionsphysik aus. "Verbale Gewalt", so hat die herausgefunden, gleich echter Gewalt, nur anders. Maas also maßregelte, mahnte und forderte im Tagesrhythmus. Seinen Twitter-Account war für Liebhaber politischer deutscher Weltgeltung eine feste Adresse. Jüngere Demokratien und weniger erfolgreiche Regierungen schielten regelmäßig auf die Tipps und Anregungen aus Berlin, wo Maas den fortwährenden Anspruch Deutschlands auf moralische Führung nicht nur in Europa, sondern im gesamten bewohnten Bereich des bekannten Kosmos mit Leidenschaft lebte.

Sperren von Twitter und Facebook? Nicht unser Verständnis von Meinungsfreiheit. Eine "gutgemeinte Unterdrückung abweichender Meinungen kann daher keine Option sein, so schwierig das auch sein kann", stellte Maas fest. Eine Demokratie "lebt davon, dass man friedlich miteinander streiten kann", ließ er seine Redaktion aus ministeriellen Sockenpuppen tippen, die im und unter dem Namen des Verteidigers der Freiheit einen steten Strom an Nichtigkeiten ins amtlich beglaubigte Twitterprofil des Saarländern verklappte. "Demokratie ist Herrschaft durch Diskussion, hatte er sich von Hans Achtelbuscher, dem bundesweit bekannten Medientheorethiker und  Kommunikationsberater einbläuen lassen. So lange man selbst redet und der andere schweigen muss, hat man immer recht. 

Heiko Maas war einer aus der Saarland-Kompanie, die in den Jahren über Deutschland herrschte, von denen heute als die "bleiernde Merkel-Zeit" gesprochen wird. Das machte ihn selbstbewusst, aber auch unbesiegbar. Skandale wie jener um die von einem Sponsor bereitgestellte Möbelausstattung des gemeinsam mit einer erfolgreichen Schauspielerin bewohnten "stilvollen Zuhauses" in der Hauptstadt zwangen ihn so wenig in die Knie wie das Hantieren mit einer Unzahl an Maßstäben zur Bewertung der Weltlage. Maas, der erste Mensch weltweit, der öffentlich aus seiner Corona-Isolation berichtete, war gefühlt immer im Schützengraben, er bot Donald Trump Paroli, auch wenn der es nie bemerkt haben mag. Er ließ sich zeigen, wie er Terroropfern seine Trauer hinterhertwitterte. Und er war es auch, den den Begriff der "Abscheulichkeitstat" einführte, die aus einem Mord das macht, was heute als "genauso widerlich wie die Instrumentalisierung".

Mit Heiko Maas geht ein Stück Bundesrepublik, wie sie wurde, als sie nicht mehr sein sollte, was sie war. Der Satz des ehemals führenden Sozialdemokraten, dass "Sperren von Twitter und Facebook ist nicht unser Verständnis von Meinungsfreiheit" seien, ehe er es war, der bundesweite Hassmeldepflicht einführte, er klingt heute wie der zornige Ruf eines Rechtsabweichlers, der den Gang zu Mastodon scheut.  Die Bilder von ihm im Flugzeug, bei den Menschen draußen im Lande, im Büro beim Schmieden neuer Pläne gegen rechts, sie fehlten schon länger. Auch bei Twitter, dem Dienst, der ihm über Jahre Zepter und Reichsapfel gewesen war, machte sich Heiko Maas rar, seit er selbst tippen musste. Nun das endgültige Aus, der lange Marsch ins Private, ein Gang voller Dankbarkeit, so lange mit so wenig so viel bewirkt zu haben.

Aufstehen und weggehen

Und das Hauptwerk, es wird ja bleiben. "Aufstehen statt Wegducken", ein Handbuch, das Heiko Maas vor fünf Jahren vorlegte, entwirft eine "Strategie gegen rechts", die bis heute breit in die Gesellschaft wirkt. Beim Buchhändler Amazon zwar nur hinter Platz eine Million der Bestsellerliste geführt, zeigen Entwicklungen wie die Erfindung der "verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung" und die Ankündigung der Einführung einer anlasslosen Kontrolle der gesamten privaten Kommunikation aller Bürger, das Heiko Maas Empfehlungen, "verfassungsfeindliche Verunglimpfungen" und "landesverräterische Fälschungen" als Kapitalverbrechen zu betrachten, auf fruchtbaren Boden gefallen sind. 

Dass Heiko Maas nun geht, inmitten der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, und  die Wählerinnen und Wähler, die ihm noch vor 15 Monate ihre Stimme gaben, weil sie in ihm den richtigen Mann sahen, die Republik gegen Hetzer, Hasser, Zweifler, Rechtsextremisten und Reichsbürgernde zu verteidigen, sie bleiben allein zurück und sind darauf angewiesen, dass auch Nancy Faeser, eine von Maas' Nachfolgenden, alles richtig macht mit Chatkontrolle, Verschärfung des Waffenrechtes, Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, mehr Personal für die Geheimdienste und strengere Gesinnungsprüfungen vor Neueinstellungen im Dienstadel von Bund und Ländern. 

Heiko Maas wird es aus dem Privatleben heraus interessiert beobachten, weiterhin in der üblichen Sorge, wohin das alles geht. Aber  sicher auch froh, dass es vorüber ist. Die Menschen aber, die über Jahre und Jahrzehnte an seinen Lippen hingen, sich an dem orientierten, was er gerade als höchsten Ratsschluss zu verkünden hatte, sie müssen sich neue Leuchttürme suchen, neue Orientierungspunkte in einer unübersichtlichen Welt. Mit dem 56-Jährigen geht der Letzte aus dem Saarland, der Letzte der Altmaiers, Karmp-Karrenbauers, Honeckers, Lafontaine und Ottmar Schreiners, in der deutschen Spitzenpolitik so viele Weichen stellte.





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