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Wärmeschutzverordnung: Wer friert, arbeitet nicht

Arbeiter der Faust wissen, dass Frieren eine Funktion zu geringer Anstrengung ist. Gemälde: Kümram, Asche in Öl, eloxiert

Außen dunkel, innen kalt, der Gürtel eng und der Warmwasserhahn mit einer Knebelkette blockiert:  Mit seinen Gassparplänen hat Bundesklimawirtschaftsminister Robert Habeck Deutschland aufgeschreckt. Ein Land, der sich derzeit noch mit dem Gedanken tröstet, es werde am Ende doch wieder alles nicht ganz so schlimm kommen, reagiert verstört, erschrocken und ein wenig auch verunsichert auf die klare Ansage, dass das kommende Deutschland keines sein wird, in dem jeder immer alles haben kann. Dafür, so haben sowohl Habeck als auch der liberale Finanzminister Christian Lindner und der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz klargemacht, ist einfach nicht mehr genug da.

Wärme für die Nützlichen

Es kömmt nun nicht mehr darauf an, die Welt verschieden zu interpretieren oder sie zu verändern. Sondern darauf, das bisschen, was noch da ist, unter denen zu verteilen, die der Gesellschaft den größten Nutzen versprechen. Aus einer solidarischen Arbeitsgemeinschaft, die sich seit den 70er Jahren aus einer Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Orientierung über Maß und Mitte für alle ihre fleißigen Mitgliederinnen und Mitglieder holte, wird eine Klassengesellschaft, die ihre Gunst nach Gusto vergibt. Mutig nimmt Habecks Notverordnung für den Energiekrieg Anleihen bei der mittelalterlichen Ständewirtschaft, um Bürgerinnen und Bürger in verschiedene Wärmeanspruchsgruppen zu sortieren.

Wer im Sitzen verwaltet, etwa bei der Planung des Energieausstieges hilft, die Logistik des Ausbaus des Wärmepumpennetzes organisiert oder die Lohn- und Gehaltsabrechnungen in Unternehmen, Ministerien und großen, gemeinsinnorientierten Radio- und Fernsehsendern abwickelt, hat danach künftig einen Anspruch auf 19 Grad Wärme im Büro - zwei Grad kühler als von der ArbStättV festgelegt, aber im Einklang mit der ihr zugrundeliegenden EU-Arbeitsstätten-Richtlinie 89/654/EWG, die "Angemessenheit" der Raumtemperatur für den menschlichen Organismus fordert, ohne sie zu definieren.

Unterkühle Rumpfarbeiter

Aus den Großraumbüros und Verwaltungsstuben, den Glaspalästen der Gewerkschaftsführer und den größten und meisten Ministerien, die das demokratische Deutschland jemals hatte, geht es abwärts. Wer sich bei seiner Tätigkeit nicht bewegt, kuschelt sich in 19 Grad Arbeitstemperatur, wer im Stehen denkt, plant und sich in seinem Job engagiert, darf das bei 18 Grad tun, wer im Sitzen Leiterplatten bestückt oder Meißner Porzellan bemalt, dem stehen 17 Grad zu.

Viel gesellschaftliche Wärme ist damit schon weg, so dass körperlich mitarbeitende Monteure, Bauarbeiter und Installateure der Bundesregierung im kommenden Winter viel werden verzeihen müssen. Wer hart arbeitet, so sieht es der Notverordnungsentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium vor, braucht es am Arbeitsplatz nämlich nicht warm, denn er soll einen kühlen Kopf behalten. Bei "mittelschweren Tätigkeiten" sind 16 Grad ausreichend, bei "schwerer Hand-/Arm-, Bein- und Rumpfarbeit im Gehen oder Stehen" (ASR 3.5A) darf sich der derart Tätige weiterhin darauf verlassen, dass es nie kälter als bekömmliche 12 Grad wird.

Einordnung in Wärmeanspruchsgruppen

Die Klassifizierung der jeweiligen Beschäftigung in die einzelnen Wärmeanspruchsgruppen ergibt sich aus bestehenden Vorentscheidungen. Eine leichte körperliche Belastung liegt danach bei Büroarbeiten vor, handwerkliche Tätigkeiten dagegen gelten als mittlere Belastung für den Körper, während eine schwere Arbeitsbelastung vorliegt, wenn Beschäftigte "mit dem ganzen Körper dauerhaft hart arbeiten müssen - das Tragen und Heben schwerer Lasten gehört hier dazu". 

Angesichts der Lasten, die Kanzler, Klimaminister, Innenministerin und Finanzminister in diesen Tagen der schmerzhaften, aber auch nötigen Entscheidungen zu schultern haben, sind das ermutigende Nachrichten von hohem Signalgehalt. Führende wie die Ampelminister oder der Bundespräsidierende, die ihre Tätigkeit überwiegend "im Stehen oder Gehen" (ASR 3.5A), immer wieder aber auch in Kabinettssitzungen und Talkshows  alle Formen üblicher Büro- und Öffentlichkeitsarbeit erledigen, erfüllen alle Einstufungskriterien der Notverordnung Gas, die auch als "deutscher Energiesparplan" (Badische Zeitung) bezeichnet wird. 

Deutliche Zeichen setzen

Welches Zeichen die Bundesregierung mit ihrer eigenen Einstufung aussenden wird, ist offen, wird aber entscheidend sein im Ringen um die Zukunft des Landes. Belässt es das politische Berlin beim beiläufigen Abschalten von Durchlauferhitzern, dem Verzicht auf das Händewaschen und abgedrehte Heizungen im Flur? Oder schränkt sich die Ampel auch selbst ein - durch einen Verzicht auf die bisher übliche enorme Energieverschwendung und das störrische Residieren in ungedämmten Gebäuden, Heizwärme "unkontrolliert entweichen"lassen, wie Robert Habeck kritisiert hat. Der Arbeiter der Hand, Der Arbeiter Der Faust, sie wissen seit Jahrhunderten: Wer friert, arbeitet einfach nicht genug. Die Arbeiter der Stirn aber, sie müssen nun zeigen, dass auch sie lernen wollen und lernen können: Frieren ist nur eine Funktion zu geringer Anstrengung.



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