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(Re-)Lektüre | Arno Camenisch: Goldene Jahre

2020 in einem Handlungspielraum, der nur in der Literatur möglich ist: Weder grassiert das Virus noch sind Nachrichten über die waltende Pandemie im graubündischen Weltwinkel, in welchem Arno Camenischs Goldene Jahre situiert sind, präsent. Beides ist (selbstverständlich) niederschrifts- respektive produktionsbedingt. Das Fehlen dieser katastrophalen Realdimension in diesem Text, der historische Ereignisse, wie die Mondlandung oder den Fall der Berliner Mauer miteinbezieht, bei aller Ferne also gewissermassen realitäts- und geschichtsnah zu sein vorgibt, macht ihn erst recht zum Idyll.

Diese schöne ‚Kleineweltliteratur‘ konstituiert sich aus Plaudereien der beiden Kiosk- und Tankstellenbetreiberinnen Margrit und Rosa-Maria, die an einen Dokumentarfilm, ja gar an ein langes Interview erinnern, wobei sich die Erzählinstanz weitestgehend zurückhält: Als Stimmengeber, Fragesteller und Kommentator im Off bleibt, sich aufs Protokollieren beschränkt, und den zwei Protagonistinnen das Wort überlässt. Diese tragen sich gegenseitig Erinnerungen, Episoden aus der 51 Jahre dauernden (Geschäfts-)Geschichte ihres „Kiosks mit Zapfsäule“ vor. Man hat über weite Strecken den Eindruck, dass sie ihre Erzählungen an einen unsichtbaren Dritten – eben die Erzählinstanz, den Interviewer/Zuhörer – richten. Denn obgleich die beiden Kioskverkäuferinnen, was ihr Alter betrifft, beide sind um die Siebzig (und möglicherweise etwas vergesslich), wirkt es doch eher unwahrscheinlich, dass sie sich die ihnen beiderseits bekannten Geschichten – auf die Weise, die im Text dominiert – alleine vortragen.

Allerdings, Zeit genug um in Erinnerungen zu schwelgen haben sie, denn aufgrund einer unlängst gebauten Umfahrungsstrasse sind sie vom grossen geschäftsbringenden (Automobil-)Verkehr abgeschnitten worden.

Die Goldenen Jahre gewähren uns durch die Plaudereien, deren Resultat man auch als Selbstporträt bezeichnen könnte, einen Einblick in eine kleine Geschäftswelt, die nicht durch Profitmaximierung entstellt, sondern vielmehr von Herzlichkeit geprägt ist. Von Dorfbewohnern – darunter einige bekannte aus dem Camenischen Figurenfundus – und unbekannten Passanten wird in bündnerisch gefärbter Sprache berichtet. Obgleich die Klatschpresse zum festen Kioskinventar gehört und die Lektüre derselben eine alltägliche Tätigkeit der beiden Frauen zu sein scheint, kommt das nie bösartig daher.

Was das Virus betrifft – das Gespräch darüber – so könnte Camenisch dieses in einer revidierten Fassung mit geringem Aufwand in den Text einweben; in den Lesungen performativ ergänzende Gesprächsfetzen präsentieren (inklusive Downloadlink). Oder aber: Dem intakten Idyll zuliebe, es ganz einfach bleiben lassen.

Arno Camenisch: Goldene Jahre. 102 Seiten. Kartoniert. Engeler-Verlag, 2020.
Preis: 26,00 CHF
ISBN: 978-3-906050-36-2

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