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Tempolimit in Deutschland: Automobilhersteller könnten überraschend dafür sein – Analyseansatz (Teil 2)

Ebenso wurde daraufhin die Strategie der E-Fahrzeuge zum Senken des Flottenverbrauchs besprochen und kritisch beleuchtet. Dabei wurde folgende Hypothese aufgestellt: „Früher oder später wird es sowieso ein Tempolimit geben, wahrscheinlich sogar maßgeblich getrieben durch die Autobauer selber?“

Im folgenden Teil möchte ich diese Hypothese nun dediziert beleuchten. Im ersten Teil haben wir besprochen, dass derzeit die Fahrer:innen für den Verbrauch ihrer Fahrzeuge verantwortlich sind. Doch stellen wir uns folgenden zukünftigen Nachhaltigkeitsansatz vor: Was wäre, wenn die OEMs für den realen Verbrauch der Kund:innen zur Rechenschaft gezogen würden. Jeder (unnötige) Kavalierstart würde den Flottenverbrauch der OEMs erhöhen und möglicherweise zu Strafzahlungen führen, wenn der Verbrauch überschritten wird.

Das mag unrealistisch klingen, aber bei genauerer Betrachtung der aktuellen Diskussionen zur Automotive Sustainability und der kommenden EU-Regulatorik erscheint dieses Szenario gar nicht mehr so unrealistisch. Die Grundlage für eine effiziente Klimaschutzstrategie ist die präzise Berechnung der eigenen CO₂-Emissionen und ein genaues Verständnis der verschiedenen Emissionsquellen. Hierzu gibt es den GHG Protocol-Standard1, der weiter drei Bereiche (Scopes) unterscheidet. Diesen können Emissionen zugeordnet werden. Eine ausführliche Beschreibung gibt es in folgendem Video. Zusammengefasst bedeutet das:

Scope 1

Alle direkten, d. h. aus Quellen innerhalb der Grenzen stammenden, Emissionen. Dazu gehören Emissionen aus Energieträgern an Ihrem Standort, wie Erdgas und Brennstoffe, Kühlmittel, sowie Emissionen durch den Betrieb von Heizkesseln und Öfen, die von Ihrem Unternehmen verantwortet oder kontrolliert werden.

Scope 2

Indirekte Treibhausgas-Emissionen aus eingekaufter Energie, wie Strom, Wasserdampf, Fernwärme oder -kälte, die außerhalb Ihrer eigenen Systemgrenzen erzeugt, aber von Ihrem Unternehmen verbraucht werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Geltungsbereich Scope 2 nur indirekte Emissionen umfasst, die durch die Erzeugung von eingekaufter Energie entstehen.

Scope 3

Alle sonstigen indirekten Emissionen, darunter die aus der Herstellung, Transport eingekaufter Güter oder Verteilung und Nutzung der eigenen Produkte oder der Entsorgung von Abfällen; auch Emissionen aufgrund von Geschäftsreisen gehören hierzu. Scope 3 umfasst alle indirekten Emissionen, die entlang Ihrer Wertschöpfungskette entstehen. Obwohl diese Emissionen nicht von Ihrem Unternehmen kontrolliert werden, können sie durchaus den größten Anteil an Ihren Treibhausgas-Emissionen ausmachen.2

Das bedeutet, Emissionen für ein Produkt fallen nicht nur innerhalb der Wände eines Produzenten an, sondern beziehen sich auf die gesamte vor- und nachgelagerte Lieferkette. Gemäß der Kategorisierung des Greenhouse Gas Protocol (GHG) fallen diese unter die sogenannten „Scope 3“ Emissionen und werden bei der Emissionsbilanz eines Produktes berücksichtigt.3

Doch was bedeuten die einzelnen Scope-Bezeichnungen jetzt konkret für die Automotive Industrie und den Flottenverbrauch?

Das zeigt die folgende Grafik aus der Studie: „Klimafreundliche Produktion in der Automobilindustrie Kurzstudie im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen“4 basierend auf Zahlen von Mercedes-Benz. Die Gesamtemission eines einzelnen Fahrzeugs liegt in der Größenordnung von 40 – 50 Tonnen CO₂ (bei einer Fahrstrecke von 150.000 km). Diese teilen sich folgendermaßen auf:

Abbildung 1: Scope 1-, 2- und ausgewählte Scope 3-CO2-Emissionen in Tonnen pro Fahrzeug Mercedes-Benz Cars, Quelle: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/mobilitaet/pdf/Kurzstudie_Klimaschutzstrategien_Automobilindustrie_Endfassung.pdf

Konkret in Zahlen definiert bedeutet dies, dass mindestens 2/3 der CO2-Emissionen aus der Nutzungsphase zu entnehmen sind.

Abbildung 2: Durchschnittliche Anteile von Lieferketten, Produktion und Nutzungsphasen an den Gesamtemissionen, Quelle: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/mobilitaet/pdf/Kurzstudie_Klimaschutzstrategien_Automobilindustrie_Endfassung.pdf

Noch ist Scope 3 freiwillig für die Automobilhersteller (und Zulieferer) und Das Thema ist aktuell stark in Bewegung. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass Scope 3 oder andere CO2 Bilanzierungsansätze früher oder später rechtlich relevant werden für die Unternehmen? Reminder: Der Flottenverbrauch wurde 1995 noch als freiwillige Maßgabe eingeführt und ist heute (wie im ersten Teil des Blogbeitrags dargelegt) einer der größten Faktoren bei der Entwicklung neuer Fahrzeuge.

Ein wegweisendes Urteil auch für die Automobilindustrie?

Bzgl. dem Thema Sustainability gab es 2022 ein Urteil, dass zwar nicht direkt auf die Berechnung der Scopes (1-3) bezogen ist, allerdings in die gleiche Kerbe schlägt und einen echten Präzedenzfall darstellt: das Klima-Urteil gegen Shell (lto.de). Das Gericht stellt fest, dass das Unternehmen eine eigenständige Verpflichtung habe, seine Emissionen auf ein Niveau zu drosseln, das kompatibel mit dem Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens sei und auch eine gewisse Verantwortung hinsichtlich der Nutzung durch den Kunden verantwortet. Das wäre ein kompletter Gamechanger.
Würden die OEMs wirklich verantwortlich gemacht werden für den Verbrauch des Kunden (zum Beispiel bei der Berechnung von Scope 3) und z. B. der Realverbrauch gerechnet werden würde und nicht der angegebene WLTP Verbrauch, könnte es für die OEMs durch CO₂ Abgaben sehr schnell kostspielig werden.
Und dann (hier kommen wir zur Hypothese) könnte es relativ schnell gehen, dass auch hinsichtlich der Autobauer eine starke Befürwortung Richtung Tempolimit stattfindet, um hohe Verbräuche durch einzelne Personen die den Flottenschnitt stark negativ beeinflussen zu deckeln. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass die Scope 3 Kosten (sofern sie für die OEMs verpflichtend werden) früher oder später an Kunden weitergegeben werden. Doch wie könnte so etwas in der Praxis aussehen?

Realverbrauch im Fokus: Das Tracking als Lösungsansatz

Spätestens seit der E-Call Einführung sind fast alle modernen Fahrzeuge auf dem deutschen Markt mit einer SIM-Karte ausgestattet. Seit über 10 Jahren senden Fahrzeuge Telematikdaten in die Cloud. Die regelmäßige Erhebung des Fahrverbrauchs im Fahrzeug sowie Speicherung und Breitstellung in der Cloud erscheint aus technischer Sicht durchaus machbar. Beim Datenverauskunftungsportal von BMW „CarData“ ist zum Beispiel ersichtlich, dass Kilometerstand und Tankinhalt gespeichert werden können. Auch bei Mercedes-Benz gibt es das folgende Projekt. Hier können Mercedes-Benz Fahrer:innen in der Mercedes Fahrzeug App seit 2020 freiwillig und anonym ihre individuellen Verbräuche zur Verfügung stellen und ihre Werte mit den Verbrauchswerten anderer Fahrern vergleichen.
Hier ein Beispiel wie unterschiedlich die Verbräuche sich darstellen anhand eins sehr leistungsstarken Fahrzeugs wie einem GLS 580.5

Abbildung 3: Screenshot Verbrauchsrechner von Mercedes-Benz, Quelle: https://www.mercedes-benz.com/de/fahrzeuge/wltp/individueller-verbrauch/

Z. B. im ISO-Normungsprojekt „Extended Vehicle“ erarbeitet die Automobilindustrie gegenwärtig eine webbasierte Schnittstelle, über die Drittanbieter sicher und standardisiert Fahrzeugdaten von Automobilherstellern abrufen können. Diese Schnittstelle könnte dann auch zur Überprüfung der Flottenverbräuche genutzt werden.6

Realverbrauch reduzieren: Diese Maßnahmen sind möglich

Sollte es wirklich so weit kommen, müssten sich die Autobauer etwas überlegen bzgl. der Einschränkung des Realverbrauchs der Kunden:innen, um unvorhersehbare Kosten zu vermeiden. Dabei erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die OEMs die Kundschaft in die Pflicht nehmen (auch bei starkem Missfallen der Kunden). Im Folgenden ein paar Gedanken, wie solche Szenarien aussehen könnten:

CO₂ Aufschlag auf den Listenpreis

Basierend auf dem WLTP Verbrauch und der angenommenen Lebensdauer wird ein Zuschlag auf den Kaufpreis addiert. Diese Maßnahme wird heute bereits bei der Kostenrechnung eines Fahrzeugs gemacht – weshalb teilweise PS-starke günstigere Kleinsportwagen bereits bei Herstellern aus dem Portfolio genommen oder alternativ mit Hybrid Technologie ausgestattet wurden (damit sie nicht in den Flottenverbrauch gerechnet werden). Diese Maßnahme könnte sich weiter verstärken und zu einer starken Verteuerung der Sportwagen führen.

Begrenzung Top-Speed

Fahrzeuge werden in Deutschland normalerweise bei 250 km/h abgeregelt. Bei Sportwagen kann ein Aufheben der 250 km/h Grenze erkauft werden. Bei Mercedes oder Audi werden mindestens 1.500 Euro mehr verlangt, wenn bei 250 km/h nicht Schluss sein soll. Es ist durchaus vorstellbar, dass dies in naher Zukunft schon deutlich früher beispielsweise über 150 km/h sein könnte. Das könnte einmalig bei der Konfiguration des Fahrzeugs sein (um zukünftige CO₂ Flottenverbräuche beim Verkauf über die durchschnittliche Lebensdauer re-zufinanzieren) oder bei einer Buchung und Freischaltung der Leistung over-the-air möglich sein. Volvo hat bereits 2019 angekündigt, den Fahrzeugen ein freiwilliges Tempolimit von 180 km/h aufzuerlegen. Hier verspricht man sich geringere Kosten durch die gesunkenen Anforderungen an das gesamte Fahrzeug hinsichtlich Top-Speed und weniger Testfälle in den Extremen.7  Auch bei anderen Herstellern wie Skoda ist zum Beispiel beim Fahrassistenz System Active Cruise Control der Top Speed von 160 km/h günstiger als wenn ein Top-Speed von 210 km/h möglich ist. Zur Limitierung einer Höchstgeschwindigkeit könnte auch einfach ein digitaler Fahrzeugschlüssel genutzt werden. Der Vorteil liegt hierbei an der einfachen Konfigurierbarkeit, der einfachen nachträglichen Änderung der Höchstgeschwindigkeit und dass dies personenbezogen definiert werden kann. Bei BMW gibt es z. B. ein Fahrprofil, das die Höchstgeschwindigkeit auf 145 km/h und die Beschleunigung begrenzen.

Verbrauchsabhängige Abschlagszahlung: Das Subscription Modell als Option

Auch heute schon gibt es das Thema Mileage-based Insurance, bei dem z.B. nach dem genauen gefahrenen Kilometerstand die Abrechnung der Versicherungspolice erfolgt. Analog zu der Abschlagzahlung, die bei Gas oder Stromproduzenten gängig sind, könnte eine CO2 Zahlung über ein monatliche Subscription Model gelöst werden. Die Subscription würde sich stetig basierend auf der aktuellen Flottenverbrauchslogik aktualisieren.
Das wird zwar nicht auf Kundenzustimmung treffen, doch könnte ein solcher Schritt eine Absicherung für den OEM vor unkalkulierbaren zukünftigen CO2 Flottenkosten werden. Positiv betrachtet müsste alternativ der Kunde den Risikopuffer für höhere Flottenverbräuche nicht bezahlen, wenn er einen ökologischen Fahrstill hat. Es gibt aber noch zwei weitere Themen, bei denen der Kunde nicht direkt zur Kasse gebeten wird: Routenplanung und autonomes Fahren.

Effiziente Routenplanung: Wie intelligente Software dabei hilft

Das Thema verbrauchsarme Routen gibt es schon lange. In den letzten Jahren hat sich die Anzahl an (Real-time) Datensammlern stetig erhöht und somit auch die Anzahl an Datenpunkten stark vervielfacht. Für Google Maps soll im Laufe dieses und nächsten Jahres verschiedene Features ausgerollt werden. Das Ziel: die Fahremissionen senken. Zu den neuen Features zähle laut Google eine neue Routenführung, die dank künstlicher Intelligenz den Kraftstoffverbrauch anhand von Faktoren wie Straßenneigung und Staus optimiert. Standardmäßig wählt Google Maps dann künftig die umweltfreundlichste Route aus – vorausgesetzt, diese hat in etwa die gleiche Ankunftszeit wie die schnellste Route.8

Autonomes Fahren: Wie es den Flottenverbrauch senken kann

Das Thema Autonomes Fahren könnte ein großer Game-Changer werden. Wenn der Kunde nicht selber fährt, kann er in der Zwischenzeit anderen Tätigkeiten wie Arbeiten oder Filme schauen nachgehen. Der neue Theater Screen aus der BMW 7er Reihe zeigt wo hier die Reise hingehen kann.9 Durch die alternative Zeitnutzung wird die Fahrzeit weniger relevant und das Thema Effizienz (durch eine geringere Höchstgeschwindigkeit) kann weiter verbessert werden. Durch die vernetzte Kommunikation der autonomen Fahrzeuge untereinander und mit der Verkehrsinfrastruktur können Verkehrsstaus und übermäßige Beschleunigungen und Bremsungen vermieden werden. Das reduziert den Kraftstoffverbrauch und senkt den CO2-Ausstoß.

Tempolimit auf deutschen Autobahnen: Handlungsbedarf für die deutsche Automobilindustrie

Ob und wie ein Tempolimit in Deutschland kommen könnte oder nicht, dass wird am Ende des Tages die Politik entscheiden. Es gibt unterschiedliche Perspektiven, die in aller Breite diskutiert wurden. Auch eine mögliche aktive Überwachung z.B. des Verbrauchs der Kunden ist kritisch zu bewerten. Am Ende wird das Thema Sustainability und damit das Thema Flottenverbrauch die Automobilindustrie in den nächsten Jahren begleiten und einen ganz erheblichen Faktor auf den Gewinn oder Verlust eines Automobilherstellers darstellen. Je nachdem wie die EU-Vorgaben oder der deutsche Gesetzgeber das Thema interpretiert, könnten die deutschen Automobilbauer in einen starken Handlungsdruck kommen und neben vielen anderen skizzierten Optionen schlussendlich die ursprüngliche Markteintrittsbarriere: „Kein Tempolimit für deutsche Autobahnen“, abschaffen wollen.

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Connected Mobility


[1] GHG Protocol – Wikipedia  ^

[2] Was sind Scope 1-, Scope 2- und Scope 3-Emissionen? | ClimatePartner  ^

[3] Die Automobilindustrie auf ihrem Weg zur Klimaneutralität – DFGE – Institute for Energy, Ecology and Economy  ^

[4] Klimafreundliche Produktion in der Automobilindustrie. Kurzstudie im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (gruene-bundestag.de)  ^

[5] Individueller Verbrauch (mercedes-benz.com)  ^

[6] BMW und MINI CarData (bmwgroup.com)  ^

[7] Meinung: Volvo fährt nur noch 180 km/h und rettet damit die Rendite | AUTO MOTOR UND SPORT (auto-motor-und-sport.de)  ^

[8] https://www.t-online.de/digital/handy/id_89761782/google-maps-zeigt-strecke-mit-geringstem-benzinverbrauch.html ^

[9] BMWs Theater-Screen für den neuen 7er | AUTO MOTOR UND SPORT (auto-motor-und-sport.de)  ^

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