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Nutztiere – mehr als eine Frage der Haltung

Tierhaltung und Tierwohl – geht das überhaupt zusammen? Immer wieder gelangen Informationen und Bilder von schlimmsten und schockierenden Zuständen auf industriell ausgerichteten landwirtschaftlichen Betrieben an die Öffentlichkeit. Aber zum Glück gibt es schon viele Bauernhöfe, Landwirtinnen und Landwirte, die zeigen, dass diese unakzeptable und tierquälerische Tierhaltung nicht sein muss. 13 renommierte Autorinnen und Autoren kommen in dem Buch „Nutztiere“ anhand einer eingehenden Bestandsaufnahme gegenwärtiger Missstände und der Darstellung möglicher Alternativen insbesondere, aber nicht nur im biologischen Landbau zu dem Schluss: Ja, es geht zusammen – wenn sich die Tierhaltung konsequent am Tierwohl ausrichtet.

Die Herausforderungen, denen tierhaltende Betriebe sich jetzt stellen müssen, Werden immer größer. Zu Recht stellen sich gerade jüngere Tierhalter:innen nun die Frage, ob und wie sie den Betrieb ausrichten oder weiter betreiben sollen. Über Jahrzehnte hat die Agrarindustrie mit leider breiter politischer Unterstützung dafür gesorgt, dass sich die Tierhaltung an erzielbaren Preisen auf dem Weltmarkt ausrichtet, statt sich – zumindest auch – an tier- und artgerechter Tierhaltung und damit an ernsthaften Qualitätskampagnen zu orientieren. Die Betriebe wurden deshalb immer größer, die Gewinnmargen immer kleiner. Das Trimmen auf Wachstum für den Weltmarkt und die ökonomische Abhängigkeit auch bei den Preisen, hat sich als ökonomischer Irrweg herausgestellt. Viele Bäuerinnen und Bauern wissen im Moment nicht, wie ihre Zukunft aussehen wird.

Gleichzeitig zeichnet sich langfristig eine immer geringere Nachfrage nach tierischen Produkten ab. Pflanzliche Alternativen wie Haferdrinks und Bohnen-Burger sind keine Nischenprodukte mehr und Präzisionsfermentation sowie selbst Fleisch aus Zellkulturen keine ferne Zukunftsvision mehr.

Weitere Entwicklungen machen die Herausforderungen für die Tierhaltung noch größer. Die Ausdehnung des Futtermittelanbaus in Südamerika vernichtet Regenwald und heizt damit die Erderwärmung weiter an. Zudem sind inzwischen die Anbaugebiete für Futter großer Trockenheit ausgesetzt. Rund 50 Prozent der weltweiten Landfläche ist für die Produktion von Nahrungsmitteln belegt. Allein in Europa werden auf diesen Ackerflächen zu 70 Prozent Futtermittel für Tiere angebaut. Die Herstellung von tierischen Produkten verursacht rund 17 Prozent aller Treibhausgase der EU. Die Notwendigkeit einer Umkehr ist klar vorgezeichnet: Wenn wir die Tierzahlen nicht reduzieren, werden wir die Ziele des Klimaabkommens nicht erreichen. Und dass diese Ziele eingehalten werden, ist ein herausragendes Interesse der Landwirtschaft.

Die Corona-Pandemie legte zudem die Schwächen langer Lebensmittelketten und Transportwege auch für die Versorgungssicherheit mit Futter und Lebensmitteln offen. Der voranschreitende Verlust von Artenvielfalt und Ökosystemen kommt dazu. Dies und die Klimakrise zwingt uns, Ernährungssicherung neu zu denken.

Deshalb ist eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung für alle tierischen Erzeugnisse im Handel und in der Gastronomie notwendig. Niemand soll sich verstecken können, niemand soll mit unzutreffenden Werbebildern einen unfairen Wettbewerbsvorteil haben. Die Kundinnen und Kunden – egal ob Endverbraucher:innen oder Gastronomie– sollen erkennen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Wer am Markt teilnimmt, soll sich entsprechend dem tatsächlichen Aufwand darstellen können und informiert sein, um durch eigenes Handeln Einfluss nehmen zu können für eine bessere Tierhaltung.

Bei der Einführung des Codes auf Frischeiern hat es damals funktioniert. »Kein Ei mit Drei« (also Käfighaltung) hieß damals die Kampagne von Tierschützern.

Die andere Seite der Medaille ist die anstehende Novelle des Tierschutzrechtes: Ausnahmen sind zu streichen, Mindeststandards zu normieren und der Strafrahmen bei gewerblicher Tierhaltung muss erhöht werden. Ein Zeichen, damit Staatsanwält:innen und Gerichte wahrnehmen, dass es sich nicht um Kavaliersdelikte handelt. Die heutige Höchststrafe von drei Jahren ist bei Delikten mit Tausenden toten Tieren nicht angemessen und lässt zu wenig Differenzierung zu. Denn leider muss man heute noch feststellen: Wer in Deutschland in der Nutztierhaltung oder beim Schlachten Tiere quält, kann leider immer noch recht sicher sein, dass er oder sie dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Die Kontrollen sind zu dürftig. Handlungen und Unterlassungen gegen Tiere in der Tierhaltung werden oftmals als etwas Hinzunehmendes begriffen, dabei ist es eindeutig eine Form von Wirtschaftskriminalität. Denn es geht ausschließlich um Profite unter Missachtung von Recht. Wenn heute kein ernsthaftes Risiko besteht, entdeckt oder verurteilt zu werden, findet eine Abwärtsspirale durch systematischen Mangel an Normbefolgung statt.

Monatlich hören oder lesen wir von massiven Verstößen gegen den Tierschutz. Ein Beispiel sind Stallbrände. Es gibt jährlich circa 5000 Brände in landwirtschaftlichen Betrieben, Hunderttausende von Tieren sterben. Im März 2021 sind bei einem Großbrand in der Anlage Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern etwa 55 000 Schweine elendig erstickt und verbrannt. Eine Evakuierung war unmöglich. Im Verwaltungsgerichtsverfahren gegen diese Anlage hatte ein Brandsachverständiger aus baulichen Gründen genau eine solche Brandentwicklung vorausgesagt. Das Verfahren wurde jahrelang nicht terminiert, aber die Stallanlage gebaut und in Betrieb genommen.

In der 19. Wahlperiode hatte ich einen Gesetzentwurf zur Verschärfung auch der Strafvorschrift in den Bundestag eingebracht. Die parlamentarische Debatte dazu konnte einem Tränen vor Wut in die Augen treiben, weil sich in einigen Redebeiträgen eine massive Missachtung der Durchsetzung des Tierschutzes zeigte.

Hätten wir nicht die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz und darauf basierend die schon erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zum Verbot des Kükentötens, wäre der Weg noch mühevoller. Der Verfassungsrang der Tiere schafft immerhin die Aufgabe, eine Abwägung zwischen dem Staatsziel Tierschutz und Grundrechten zu treffen. Aber erst mal muss jemand geklagt haben.

Dem Verfassungsgericht liegt zurzeit noch eine Klage des Landes Berlin zur Schweinehaltung vor. Das könnte ein Beben für das Tierschutzrecht auslösen, denn das Bundesverfassungsgericht könnte in Fortsetzung alter Rechtsprechung ehrgeizige Schutzvorschriften vom Gesetzgeber einfordern.

Aber nicht nur die politische Debatte und juristische Entscheidungen, auch der wissenschaftliche Diskurs kann nicht länger ignorieren, dass die Gesellschaft ein deutliches Mehr an Tierschutz erwartet. Es fehlen systematisierte, verlässliche und umfassende Daten zur Situation des Tierschutzes in der Landwirtschaft. Konkrete Missstände müssen aber erkannt werden, um gezielt beendet zu werden. Dafür braucht es die Zusammenfassung aller Daten, ein betriebsgenaues Tierschutz-Monitoring bis zur Erfassung der Daten auf Schlachthöfen und Tierkörperbeseitigungsanlagen. Es ist Aufgabe des Landwirtschaftsministeriums, dieses Monitoring zu installieren. Wer genaue Daten hat, kann klar rechtliche Änderungen begründen. Betriebe, die keine negativen Daten auslösen, sollen endlich auch im Vorteil sein.

Denn werden Tiere monoton und beengt gehalten, führt das zu Verhaltensstörungen. Es kann in der Schweinehaltung zu Schwanzbeißen und in der Hühnerhaltung zu Federpicken kommen. Bessere Haltungsbedingungen und entsprechende Zuchtziele müssen Schnäbelkürzen, Schwanzkupieren und Enthornung überflüssig machen.

Unser Ziel sind gesunde Tiere, nicht einseitige Züchtungsziele für besonders viel Fleisch, Milch oder Eier zu legen. Sauen sollen nicht gezielt mehr Ferkel gebären, als sie Zitzen zum Säugen haben. Qualzuchten wie bei Mastputen mit einer hohen Anfälligkeit von Knochen- und Gelenkproblemen oder Milchkühe mit Mastitisanfälligkeiten müssen der Vergangenheit angehören. Besser fördern wir Robust- und Zweinutzungsrassen.

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