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Die Kuh als Klimakiller? Wider die Narrative

Die Kuh ist ein Klimakiller, weil sie das hochwirksame Treibhausgas Methan ausstößt. Bei der Produktion eines Kilos Rindfleisch werden 15.000 Liter Wasser verbraucht. „Wirklich? Ist das so?“, fragt der Journalist Florian Schwinn und unternimmt mit seinem neuen Buch „Die Klima-Kuh“ den Versuch der Ehrenrettung unseres wichtigsten Nutztieres. Denn es gibt viele Narrative über die Landwirtschaft, die schlicht falsch sind, oder die gerne mal falsch verstanden werden. Das bisweilen auch absichtlich: Gezieltes Missverstehen ist eine Form der politischen Auseinandersetzung. Entsprechend schwer sind solche Erzählungen als Märchen zu entlarven oder gar aus der Welt zu schaffen.

„Ein Narrativ“, sagt Wikipedia, sei „eine sinnstiftende Erzählung, die Einfluss auf die Art hat, wie die Umwelt wahrgenommen wird. Es transportiert Werte und Emotionen, ist in der Regel auf einen Nationalstaat oder ein bestimmtes Kulturareal bezogen und unterliegt dem zeitlichen Wandel. In diesem Sinne sind Narrative keine beliebigen Geschichten, sondern etablierte Erzählungen, die mit einer Legitimität versehen sind.“

Was ist aber, wenn ein solches Narrativ eher Unsinn stiftet und eher keine Legitimität besitzt? Dann muss man vielleicht fragen, wer dahintersteckt. Wem nutzt eine gesellschaftlich akzeptierte Erzählung, die Dinge als Fakten transportiert, die sachlich falsch sind? In dem Bereich Umwelt und Landwirtschaft, mit dem ich mich seit Jahren journalistisch beschäftige, gibt es viele solcher modernen Sagen. Aber: „Neunzig Prozent der sogenannten Narrative über die Landwirtschaft stimmen nicht, oder sie stimmen so nicht. Der Fakt als solcher stimmt, aber die Schlüsse, die daraus gezogen Werden, sind falsch oder unsinnig.“ Das hat mir der hessische Biobauer Dieter Euler einmal gesagt, als wir darüber nachdachten, wer solche Sagen, Mythen, Narrative wohl in die Welt setzt und wer dafür sorgt, dass sie sich in ihr halten.

Letztlich hat mich die Suche nach den Ursprüngen einiger dieser Narrative dazu gebracht, ein ganzes Buch zu schreiben.

Angefangen hat es damit, dass uns in und von den Medien, aus denen ich selbst ja komme, immer und immer wieder erzählt wurde, die Kuh sei ein Klimakiller. Weil sie doch das Treibhausgas Methan ausstößt, und das ja um ein vielfaches klimawirksamer sei, als Kohlendioxid. Dann tauchte die Geschichte auf, dass die Produktion eines einzigen Kilos Rindfleisch über 15.000 Liter Wasser verbrauche.

Fleischkonsum war auf dem Weg, das neue Rauchen zu werden. Dass wir Wohlstandsbürger zu viel Fleisch essen, ist längst eine Binse, die – was den Durchschnitt angeht – übrigens ausnahmsweise auch mal wahr ist. Ich lasse die Bürgerinnen mal weg, weil die viel weniger davon zu sich nehmen.

Gleichzeitig nahm die Diskussion um Teller oder Trog Fahrt auf: Sechzig Prozent der Nahrungsmitteln von den Äckern seien Tierfutter. Statt die Menschen direkt zu ernähren, wähle man den Umweg über das Tier, dass die Nahrung sehr schlecht verwerte. Es gehen also Lebensmittel für Menschen verloren. Als Illustration zu dieser Geschichte zeigte zum Beispiel das hr-Fernsehen, ausgerechnet der Sender, für den ich Jahrzehnte gearbeitet habe, Bilder von Kühen, die was fraßen? Grassilage und Rapsstroh. Der Mensch, der sich davon ernähren kann, ist von der Evolution noch nicht entwickelt worden. Und das in einer Wissens-Sendung, also einer mit wissenschaftlichem Anstrich. Was da illustriert wurde war eigentlich die Tatsache, dass auch 95 Prozent des Getreides Tierfutter ist, weil wir nämlich den Halm und die Spelzen nicht essen können.

Was war da los? Sollten wir verarscht werden oder glaubten die das, was da verbreitet wurde? Übrigens nicht nur von diversen Medien, sondern auch von Umwelt- und Naturschutzverbänden. „Rotes Fleisch“, sagten parallel dazu die Ernährungswissenschaftler, sei ungesund. Viel besser sei helles Fleisch. Also Hühnchen? Na toll: Wer ist der erste Nahrungskonkurrent zum Menschen unter den Nutztieren? Das Geflügel! Hühner sind Omnivoren, Allesfresser wie wir, werden aber hauptsächlich mit Getreide gepäppelt.

Rinder hingegen können ganz ohne die Nahrungsmittel auskommen, von denen Menschen satt werden. Und zwei Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Erde sind Grünland, und können auch nicht in Äcker umgewandelt werden. Dieses Land können wir nur für die menschliche Ernährung nutzen, wenn wir Wiederkäuer halten. Wenn ich gerne Verschwörungstheorien entwickeln würde, dann wäre hier eine hübsche Möglichkeit: Da gibt es eine dunkle Macht, die uns die Rinderhaltung verbieten will und das mit Umwelt und Gesundheit begründet. In Wahrheit sollen Millionen von Menschen verhungern. Nicht bei uns natürlich, denn in unseren Breiten gibt es genug Ackerland.

Stimmt natürlich nicht. Auch in Deutschland ist ein Drittel der Landwirtschaftsfläche Grünland. Kann auch nicht in Acker umgewandelt werden, also geht auch hier nichts ohne Wiederkäuer. Auch die kleineren sind gefragt: Ohne Schafe keine sicheren Deiche. Sie sind die Tiere, die das Gras kurzhalten und mit ihrem Tritt die Schutzwälle festigen und sichern − gegen die Fluten, die schon da sind und noch kommen werden. Und ohne Rinder gibt es übrigens auch keinen Biolandbau mehr, weil dann der Dung fehlt, der die Äcker fruchtbar hält. Biobetriebe können ja nicht auf Kunstdünger ausweichen. Der übrigens mit ungeheuren Mengen fossiler Energie hergestellt wird, zumeist mit Erdgas.

Apropos Erdgas: Wären wir damit vielleicht angekommen beim Urheber all dieser Narrative über die klimaschädlichen Rindviecher? Woher kommen sie, wer hat sie in die Welt gesetzt? Worauf stützen sich diese Erzählungen und wer hat Interesse daran, dass sie verbreitet werden und immer weiter erzählt? Cui bono?

Das war der Punkt, an dem ich mich aufgemacht habe − zur Suche nach den Ursprüngen der modernen Mythen, der Sagen über unser wichtigstes Nutztier, über unsere Begleiterin seit der Neolithischen Revolution, über das Tier, auf dessen Rücken wir unsere Kultur aufgebaut haben, und das uns seit Jahrtausenden den Karren aus dem Dreck zieht: über die Kuh.

Manches war schon recherchiert, zum Beispiel von Anita Idel, die mit ihrem Buch „Die Kuh ist kein Klimakiller“ schon vor Jahren den ersten Pflock eingerammt hat. Manches musste ich noch herausfinden, Forschungsergebnisse vergleichen, Verbreitungswege nachvollziehen. Am Ende kann ich sagen, dass Dieter Euler schlicht Recht hatte mit seiner Aussage zu den Narrativen über die Landwirtschaft. Nur dass es schlimmer ist: Die falschen Schlüsse aus den Fakten werden bisweilen bewusst gezogen. Gezieltes Missverstehen ist eine Form der politischen Auseinandersetzung. Es gibt nichts, was der fossilen Industrie gelegener kommt, als das Narrativ von der klimaschädlichen Kuh. Es ist gelungen, die Aufmerksamkeit immer auf die Rindviecher zu lenken, wenn es um das Klimagas Methan geht. Dabei ist nachweisbar, dass das Methan, das sich in den vergangenen Jahrzehnten zusätzlich zum natürlichen Methankreislauf in der Atmosphäre angesammelt hat, nicht von den Rindern, sondern von der Öl- und Gasindustrie stammt, vor allem aus dem Fracking. Woher bezieht Deutschland nochmal das Flüssiggas seit Ukrainekrieg? Genau!

Wer besonderes Interesse daran hat, dem Kilo Rindfleisch einen so immensen Wasserverbrauch anzudichten, dass ein Bulle täglich 11.000 Liter Wasser trinken müsste (in Worten: elftausend), ist mir nicht klar geworden. Der irrsinnige Wert entsteht, weil dem Rind alles Wasser zugerechnet wird, was auf seine Weide regnet, auch wenn diese Weide völlig virtuell ist, weil die Tiere leider im Stall stehen. Weshalb verbreiten die grüne Heinrich-Böll-Stiftung und der BUND diesen Unsinn in ihrem „Fleischatlas“? Und warum tun sie das trotz Hinweis auf die Unsinnigkeit der Behauptung weiter?

Auf dem Weg der Recherche zu den negativen Narrativen bin ich dann aber auch noch auf eine ganz und gar positive Geschichte gestoßen: auf die Menschen, die mit Kühen die Welt retten wollen. Na gut, nicht gleich die ganze Welt, aber doch viele kleine Welten. So heißt dann auch der Untertitel des Buches „Die Klima Kuh“ nicht ohne Grund „Von der Umweltsünderin zur Weltenretterin“. Die Kühe können uns helfen bei der Bekämpfung zweier großer Krisen, die uns derzeit heimsuchen – bei der Klima- und der Biodiversitätskrise. Insektensterben ade und Überschwemmungen übrigens auch, zumindest lokal. Kein Boden kann mehr Kohlenstoff speichern als der einer Weide und keiner mehr Wasser aufnehmen. Aber Achtung: Weide ist nicht Wiese. Raus müssen die Rinder aus den Ställen, wenn sie uns helfen sollen. Und Gras fressen, nicht Kraftfutter aus Übersee, wo dafür Regenwald abgeholzt wird. Und das bedeutet einen großen Umbau der Landwirtschaft. Wenn der gelingt, wird allerdings vieles besser: das Klima, die Biodiversität, die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln. Damit das bewusst wird, muss man halt manchmal ein ganzes Buch schreiben.

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