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Klimakrise und Trigger

Seit dem 30. November findet in Dubai eine weitere Klimakonferenz statt, genauer gesagt die jährliche Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention. Es ist die 28. Konferenz ihrer Art, Abgeordnete aus der ganzen Welt verhandeln in Dubai – was an konkreten Maßnahmen letztlich herauskommt, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt. Denn wenn es konkret wird, formiert sich Widerstand. Die Autorin und Energiemanagerin Marie-Luise Wolff erklärt in ihrem neuen Buch „2,8 Grad! Endspiel für die Menschheit“, warum dies so ist. Die Weltgemeinschaft wird die Klimaziele von Paris verfehlen, stattdessen steuern wir ungebremst auf eine globale Erwärmung von +2,8 Grad zu – mit verheerenden Auswirkungen. Es muss endlich anerkannt werden, dass die bisher vereinbarten Regelungen nicht genügen. Für eine wirksame Klimapolitik ist es dringend notwendig, die Dinge endlich beim Namen zu nennen. Marie-Luise Wolff entwirft einen konkreten Plan für eine rasche und radikale CO2-Senkung, der nicht weniger als eine Renaissance des Freiheitsbegriffs einschließt. Ein Auszug.

Einige Ingenieure, die ich seit Langem kenne, haben an die Klimakrise erst geglaubt, als sie vom Tempo der Abschmelzvorgänge an den Polkappen Kenntnis erlangten. Vorher haben sie sich diese Krise nicht vorstellen können. Die Schnelligkeit, mit der das Eis der Gletscher abschmilzt, und die Nachweise, die die Klimaforscher da­rüber erbracht haben, war für sie der Trigger, um sich das ganze Bild einer Klimakatastrophe vorstellen zu können. Ein anderer Trigger für die Vorstellbarkeit des Klimarisikos wurde für viele Menschen ausgelöst, als sie jemand darauf aufmerksam machte, dass heutzutage auch nach langen Autofahrten kaum noch Insektenleichen an den Windschutzscheiben kleben. Erst dann haben sie sich plötzlich vorstellen können, was das Artensterben überhaupt bedeutet. Auch wenn Insekten immer zu den lästigsten Wesen in ihrem Leben gehörten, vermissten sie sie plötzlich. Für eine mit mir verwandte Biologin wurde die Klimakrise vorstellbar, als sie die Massen an »toten Äckern« nicht nur in Deutschland wahrnahm, auf denen in Reih und Glied, wie mit dem Lineal gezogen, nichts anderes mehr wächst als eine einzige Nutzpflanze. Der Rest der Vegetation wird regelmäßig durch eine Flut an Pestiziden abgetötet.

Die nur abstrakte Erkenntnis über das gewaltige Klimaproblem, vor dem wir stehen, führt offensichtlich nicht zu freiwilliger Veränderung. Das bemerkt jeder Mensch an sich selbst. Lange Zeit habe ich geglaubt, dass die bittere Einsicht in die Schwere der Krise von allein ausreichen würde, um aus sich selbst heraus ein emissionsärmeres Leben zu führen. Dies ist nicht der Fall. Man isst eine Zeit lang weniger Fleisch, kauft weniger ein, fährt mit dem Zug, dann wird man rückfällig, alte Gewohnheiten schleichen sich wieder ein. Aber diese privaten Maßnahmen reichen ohnehin allein nicht aus. Sie sind nicht konsequent genug und sie beseitigen nicht die strukturellen Gewohnheiten einer Gesellschaft, die an die Droge der fossilen Verbrennung seit Langem gewöhnt ist. Um von der Droge wegzukommen, sind stärkere Trigger notwendig. Sie könnten in extrem hohen Preisen für Energie bestehen oder in der Aufstellung neuer, radikalerer Emissionsvermeidungsregeln oder im Beiwohnen eines verheerenden Klimaereignisses vor der eigenen Haustür. Ein Universitätsprofessor sagte mir dazu: »Emden muss erst untergehen, bevor wir etwas tun.«

Ein furchtbares Klimaereignis, das als Trigger ausreichen würde, um uns wie von selbst zu einem radikal veränderten Handeln zu bringen, kann man sich jedoch nicht wünschen. Das Warten auf ein Fallbeil, ein Zuschlagen des Risikos, das uns unausweichlich lehrt, was zu tun wäre, ist keine wünschbare Situation für unsere Zukunft. Sie ist für den Eintritt der Klimakatastrophe auch nicht unbedingt der wahrscheinlichste Fall. Diese Katastrophe wird sich erst einmal eher langsam vollziehen, man muss ihre Vorzeichen lesen lernen. Die Charaktermerkmale dieser Krise, ihre Latenz, ihre teilweise Unsichtbarkeit, wenn ich sie nicht sehen will, ihre nicht lineare Entwicklung, wiegen die Menschheit lange in einer seltsamen Sicherheit, die empfänglich macht für trügerische Hoffnungen. Ulrich Becks Ermahnung, dass die Vorstellbarkeit eines Weltrisikos wie der Klimakatastrophe ein gewisses Maß an Inszenierung vonseiten der Politik erzwingt, erscheint auch in dieser Hinsicht treffend. Es braucht Momente der Vergegenwärtigung des Risikos, die ermessen lassen, was auf dem Spiel steht. Sonst wird jede neue Regel als willkürliche Maßregelung des Staates empfunden.

Die Notwendigkeit einer Inszenierung meint dabei nicht die Verfälschung der Wirklichkeit oder die Übertreibung oder das Erzeugen von Katastrophismus. Gemeint ist die Inszenierung in einer redlichen Form der Darstellung der Klimakrise, mit dem Ziel der Vergegenwärtigung, damit das abstrakte Risiko in einen Wirklichkeitsrahmen der Gegenwart unserer Lebenszeit eintreten kann. Neben der ehrlichen Beschreibung der Gefahr der großen Kipppunkte des Klimas könnte es dafür hilfreich sein, die Klimaveränderungen an einem Ort, den man kennt, weiter in die Zukunft zu denken und zu beschreiben: die bleierne Hitze in einer Großstadt, die sich doppelt so stark erwärmt wie das Land, die Schwere der Luft, der Geruch nach schmelzendem Asphalt, nach Verbranntem durch die ständigen Feuer in der Umgebung, die durch Unterspülungen beschädigten Straßen, die vertrockneten Bäume und Pflanzen, der fehlende Schatten, die Müdigkeit, die über allem liegt, die durchwachten tropisch heißen Nächte, die wegen der abscheulichen Hitze längst abgesagten Wochenmärkte, die fehlende Außengastronomie, die durstenden Hunde und Katzen, die Verwüstungen durch Unwetter, die häufigen Ausfälle nicht nur von Bahnen, sondern auch von Wasser, Strom, Telekommunikation und so manch anderer Güter des täglichen Bedarfs. Genau das sind ja die nicht mehr fern liegenden Katastrophenszenarien für Deutschland – und es wäre notwendig, diese auch als solche zu vermitteln.

Dagegensetzen könnte man, was in den nächsten Jahren in Städten und Gemeinden passieren muss: die rasche Beendigung von fossilem Kraftwerksbetrieb, die starke Begrenzung von fossilem Individualverkehr, die Umstellung der Beheizung auf regenerative Wärmequellen, die Vergrößerung der Abflusskanalisation, um die Wassermassen schnell aufzufangen, die Entsiegelung von Böden durch offenporige Steine, lockere Böden und Bepflanzung bis an die Bürgersteige, die Vermehrung beschatteter Ruhezonen und öffentlicher Trinkwasserquellen, die starke Begrenzung städtischer Durchfahrten, die Wiederbelebung öffentlicher Brunnen und großer Wasserbecken zur Abkühlung der Luft, der Erhalt von städtischen Bädern statt ihrer Schließung, die Eröffnung von kühlenden öffentlichen Klimasälen und Schlafräumen zur Erfrischung.

Für die Politik erzwingt die Klimakatastrophe ihre Antizipation als vorstellbare, von Wissen untermauerte Spekulation, die sie als adäquate Herangehensweise an das Weltrisiko wählen muss. Ziel ist dabei, ehrlich gesagt, gerade nicht die Beruhigung, sondern die Beunruhigung. Denn Beunruhigung ist ein Affekt, der den Willen zum Handeln impliziert. Wir müssen beunruhigt werden – aber auf positive Weise, mit einem Auftakt zum Handeln und mit der gleichzeitigen Vermittlung von Tatkraft. Es gilt, den Dingen sprichwörtlich ins Auge zu sehen, daraus den Mut zur Handlung zu gewinnen und die Empfänglichkeit für Veränderungen zu stärken, statt nur Beruhigungspillen zu verteilen oder lähmende Angst einzuflößen. Vor Hitze und Fluten kann man eine Stadt, eine Gemeinde, ein Land, einen Globus schützen. Oder man kann die Schäden abmildern. Aber man muss jetzt mit einem globalen Schutzprogramm dringend beginnen.

Als »Politik der letzten Minute« beschreibt Beck einen gesellschaftlich gefährlichen Zustand, bei dem mit einem antizipativ angemessenen Handeln im Angesicht eines Risikos wie der Klimakrise zu lange gewartet wurde. In der Antizipationsphase einer Katastrophe lägen enorme Mobilisierungskräfte verborgen, die jedoch auch zusätzliche politische Risiken beinhalten. Die Blüten des Extremismus würden wachsen, dieser würde eine abwehrende Haltung für jede Veränderung verstärken. Im Abwarten würde jedoch irgendwann die »Politik der letzten Minute« einsetzen. Diese habe einen chaotischen, panikartigen Charakter, neige zu Flickschusterei und münde insgesamt in eine schwierige und für die Demokratie extrem bedrohliche Phase des Managements unter den dann realen Vorzeichen der nahen Katastrophe. Allein in einer frühen und bewussten Antizipation läge die Chance für eine Hoffnung gebende Utopie.

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