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Sicherheitskrise im Sahel – neuerlicher Anstieg bewaffneter Angriffe

Die westlichen Streitkräfte ziehen ab, der russische Einfluss nimmt zu, die von Militärjunten regierten Länder Mali, Niger und Burkina Faso wenden sich von Frankreich ab und beschließen ein Militärbündnis: Die Sahelzone ist in Aufruhr. Der bekannte nigrische Menschenrechtsaktivist Moussa Tchangariwill mit seinem Buch „Sahel. Warum die Krisenregion auch ein europäisches Problem ist“ aufklären und aufrütteln: Was sind die großen politischen Herausforderungen in der Sahelzone? Wie kam es zu der aktuellen, dramatischen Sicherheitskrise? Warum gelang es den Vereinten Nationen mit dem UN-Aktionsplan nicht, die Krise zu stoppen? Wie entstand das strukturelle Demokratiedefizit in der Zone? Tchangari betont, dass diese Krise die schwerwiegendste ist, die die Länder der Region seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1960 erlebt haben. Die Sahelzone ist für viele ein weit entferntes Land, das sich nun plötzlich mit aller Wucht ins Bewusstsein gedrängt hat. Diese Tragödie betrifft zuallererst die Menschen im Sahel, sie ist aber auch ein europäisches Problem.

Laut den Statistiken des Africa Center for Strategic Studies hat sich in Der Sahelzone die Zahl der Gewaltakte, an denen militante islamistische Gruppen beteiligt waren, seit 2021 verdoppelt – insgesamt wurden 2912 derartige Vorfälle verzeichnet; dabei haben diese im Ganzen bis zu 9818 Todesopfer gefordert. Des Weiteren geht aus den Daten hervor, dass sich 87 Prozent der Gewaltakte in der Sahelzone auf Burkina Faso und Mali konzentrierten, zwei Länder, die von Militärjunten regiert werden. Auf Niger hingegen, das wesentlich widerstandsfähiger ist als seine Nachbarn, entfielen nur 8 Prozent der Gewaltakte in der Sahelzone, wobei die Zahl der Todesfälle, die größtenteils mit den Kämpfen zusammenhingen, im Vergleich zum Referenzjahr um 54 Prozent zurückging. Diese Statistiken machen deutlich, wie sehr sich die Sicherheitslage in der gesamten Region verschlechtert hat. Gleichzeitig zeigen sie, dass die Militärputsche in Burkina Faso und Mali bislang zu keiner Verbesserung der Situation geführt haben.

Tatsächlich muss man feststellen, dass die nationalen Armeen trotz der beträchtlichen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, gegenüber den Bewaffneten Gruppen, die heute große Teile dieser Länder kontrollieren, einen schweren Stand haben. Dabei ist die Gefahr sehr groß, dass sich die Lage noch weiter verschlechtern wird, insbesondere durch die jüngste Wiederaufnahme der Feindseligkeiten zwischen der malischen Armee und den bewaffneten Gruppen, die das Friedensabkommen von Algier aus dem Jahr 2015 unterzeichnet haben. Informationen aus Mali deuten darauf hin, dass der von der herrschenden Junta geforderte Abzug der MINUSMA-Truppen zwischen Juli und September 2023 von einer Reihe gewalttätiger Ereignisse begleitet wurde: der Blockade von Timbuktu sowie den Angriffen auf ein Transportschiff und das Militärlager in Gao und Bourem. Diese Gewaltakte, die dschihadistischen und irredentistischen Gruppen zugeschrieben werden, wecken Befürchtungen in Niger; denn auch dort ist seit dem Militärputsch eine Zunahme der Angriffe bewaffneter Gruppen zu verzeichnen.

Heute, da die nigrische Militärjunta mit der drohenden Intervention der ECOWAS beschäftigt ist, befürchten viele Beobachter ein Erstarken der bewaffneten Gruppen, obwohl die regierenden Militärs in Niamey zu versichern bemüht sind, dass diese Gefahr durch eine bessere Koordination mit ihren Kollegen in Burkina Faso und Mali abgewendet werden könnte. Die Militärjunten dieser drei Länder, die vor kurzem ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet haben, sind sich in mindestens zwei entscheidenden Punkten einig: erstens in der Ablehnung der französischen Militärpräsenz und zweitens im Anstreben einer militärischen Lösung für die Sicherheitskrise in der Sahelzone. Sie lehnen also, wie die von ihnen gestürzten zivilen Regime, einen politischen Dialog mit den bewaffneten Gruppen ab. Unterschiede sind derzeit einzig in Bezug auf den Einsatz der Gruppe Wagner festzustellen, die im Zentrum der Strategie der malischen Junta steht.

Nachdem die Sicherheitskrise in der Sahelzone nun ein volles Jahrzehnt angedauert hat, könnte die Rückkehr des Militärs an die Macht die Hoffnung auf einen Ausweg aus dieser Krise durch einen politischen Dialog mit den bewaffneten Gruppen noch weiter in die Ferne rücken. Und das, obwohl kurzfristig nichts auf einen militärischen Sieg der Armeen der Region über diese Gruppen hindeutet, die bei den jüngsten Anschlägen gezeigt haben, dass sie dazu imstande sind, großen Schaden anzurichten. Der Dialog mit den bewaffneten Gruppen, insbesondere den dschihadistischen, bleibt für das Militär in der Sahelzone ein Tabuthema, wie es auch für die zivilen Regime während der jahrelangen Sicherheitskrise ein Tabuthema war.  Auch die politische Klasse, die Zivilgesellschaft und die Intellektuellen in der Sahelzone scheinen kein großes Interesse an diesem Thema zu haben, denn die meisten Akteure fragen sich noch immer, wie man mit fundamentalistischen Gruppen diskutieren kann, deren ideologisches Bezugssystem und politisches Projekt so weit von dem eigenen entfernt ist.

Die meisten Akteure sind sich indes sehr wohl darüber im Klaren, was politisch wie auch gesellschaftlich bei der andauernden Krise in der Region auf dem Spiel steht: Man ist sich des Umstandes bewusst, dass die Agenda der wichtigsten bewaffneten Gruppen, gegen die die regulären Streitkräfte kämpfen – seien es dschihadistische oder irredentistische –, auf die Errichtung einer neuen politischen und gesellschaftlichen Ordnung abzielt. Bekanntlich wollen die bewaffneten dschihadistischen Gruppen, die in zwei große Fraktionen (JNIM und EIGS) aufgesplittert sind, islamische Staaten errichten, die auf der Anwendung der Scharia beruhen, während die irredentistischen bewaffneten Gruppen, die bereits einen Großteil des malischen Nordens kontrollieren, für die Unabhängigkeit dieses Landesteils kämpfen. Bei der aktuellen Krise steht also nichts Geringeres auf dem Spiel als die Wahrung der territorialen Integrität und Souveränität der Staaten, die Achtung der Grundfreiheiten und der republikanischen Werte sowie die Bewahrung der Vielfalt und des sozialen Zusammenhalts.

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