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Zerstörerische Folgen der Entgrenzung von Macht in kapitalistischen Demokratien

Macht drängt nach mehr Macht und Reichtum nach mehr Reichtum, eine Dynamik, die den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährdet und sie zu zerstören droht: Dies ist eine der frühesten Einsichten der Zivilisationsgeschichte. Macht bedarf daher stets einer robusten Einhegung. Das bedeutendste Schutzinstrument für eine Zivilisierung von Macht stellt die egalitäre Leitidee der Demokratie dar. Der Psychologe Rainer Mausfeld zeigt in seinem neuen Buch „Hybris und Nemesis. Wie die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt“ entlang historischer Linien auf, dass der Begriff der Demokratie seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt worden ist und heute als Demokratierhetorik für Herrschaftszwecke missbraucht wird. Dadurch ist es in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Entzivilisierung von Macht gekommen, deren psychische, gesellschaftliche und ökologische Auswirkungen die menschliche Zivilisation insgesamt bedrohen.

Die USA, oft als »älteste Demokratie der Welt« bezeichnet, haben unter den kapitalistischen Demokratien die Entzivilisierung Von Macht am rigorosesten betrieben, innen- wie außenpolitisch. Wollte man Bill Clintons Charakterisierung der USA als »die größte Kraft der Welt für Frieden und Freiheit« an die Realitäten anpassen, könnte man sie als die größte Kraft für eine Entzivilisierung von Macht bezeichnen. Die Konsequenzen sind, wenig überraschend, auch im Land erkennbar. Die USA gehören unter den Industrienationen zu den Ländern mit der niedrigsten Lebenserwartung, die zudem seit mehreren Jahrzehnten kontinuierlich sinkt, und zu denen mit den höchsten Suizidraten. Sie weisen 2016 weltweit den höchsten Anteil der Bevölkerung auf, der im Gefängnis sitzt, und mit 25 Prozent der erwachsenen Bevölkerung eine der höchsten Quoten an mentalen Störungen in kapitalistischen Demokratien. Von 2010 bis 2015 erhielt das reichste Prozent der amerikanischen Bevölkerung zwanzig Prozent des Einkommens des Landes. Diese Einkommensungleichheit ist größer als im Römischen Reich, wo Mitte des 2. Jahrhunderts das oberste Prozent sechzehn Prozent des Gesamteinkommens kontrollierte. Die Vermögensungleichheit ist in den USA noch stärker ausgeprägt als die Einkommensungleichheit: Das oberste Prozent der Amerikaner besitzt vierzig Prozent des Vermögens des Landes, während die unteren vierzig Prozent mit 0,2 Prozent praktisch besitzlos sind. Das Ausmaß der in den vergangenen Jahrzehnten beschleunigten Entgrenzung von Macht ist in seinen konkreten zerstörerischen Folgen in allen Bereichen der Gesellschaft qualitativ wie quantitativ klar zu erkennen.

Ein weiterer Aspekt gezielter gesellschaftlicher Zerstörungen kommt hinzu: Im Zuge der neoliberalen Revolution einer gezielten Umverteilung von unten nach oben, von Süd nach Nord und von der öffentlichen in die private Hand wurden diejenigen gesellschaftlichen Instanzen systematisch geschwächt oder zerstört, die auf wechselseitiger Anerkennung und Solidarität beruhen und dadurch gesellschaftlichen Zusammenhalt stiften. Zentrale Institutionen der Gesellschaft – vor allem jene, in denen es um Schutz von Menschen in ihren Lebensphasen hoher Verletzlichkeit geht, also Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altenheime – wurden ökonomischen Einflüssen ausgesetzt und damit in ihrer gesellschaftlichen Funktion beschädigt. Die Prekarisierung von Lohnarbeit und die Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche haben berufliche und soziale Unsicherheit und gesellschaftliche Ängste zu einem Massenphänomen gemacht. Dies sind von den Nutznießern dieser Umverteilung geradezu gewünschte Effekte, denn sie verhindern Partizipation, erzeugen politische
Apathie und disziplinieren gerade diejenigen gesellschaftlichen Gruppen, die eigentlich das größte Interesse an einer gesellschaftlichen Änderung haben sollten. Noam Chomsky stellt im Hinblick auf diese gewaltigen gesellschaftszerstörenden Folgen fest: »Sobald die kapitalistische Demokratie ihre Form gefunden hast, erweist sie sich als ausgesprochen stabil, welche Leiden auch immer sie hervorruft.«

Die mit extremer gesellschaftlicher Ungleichheit, mit sozialer Spaltung und Fragmentierung der Gesellschaft und mit der Zerstörung sozialer Identitäten einhergehende Bedrohung zivilisatorischer Substanz wird durch eine weitere Bedrohung gravierend verstärkt, und zwar durch die weltweit erstarkenden rechtsextremen Strömungen. Eine radikal antiegalitäre und antipluralistische Politik von oben muss unvermeidlich affektive Gegenreaktionen von unten erzeugen. Diese Gegenreaktionen teilen oftmals die antiegalitären und antipluralistischen Haltungen neoliberaler Ideologie, nur eben im Dienst eines ethnisch aufgeladenen Volksbegriffs.

Die für kapitalistische Demokratien charakteristische Verbindung eines – in das Gewand eines selektiven Hypermoralismus gekleideten – moralischen Nihilismus und einer Ideologie der Alternativlosigkeit mit der damit einhergehenden Zerstörung des Raumes des Politischen wurde im Zuge der neoliberalen Globalisierung ebenfalls globalisiert. Die Entleerung des politischen Raumes und die Zerstörung kollektiver Identitäten bilden zwangsläufig eine gesellschaftliche Atmosphäre, in der nationalextremistische, rassistische und fundamentalistische Bewegungen einen Nährboden finden können. Diese Bedrohungen werden dadurch massiv vergrößert, dass kapitalistische Demokratien derartige Strömungen in anderen Ländern bedenkenlos fördern, wenn es ihren militärischen oder ökonomischen Bedürfnissen dient.

Diese Bedrohungen werden weiter wachsen, da die bislang erfolgreichen Methoden zur Sicherung der Kapitalrentabilität zunehmend an ihre natürlichen Grenzen stoßen. In Zukunft ist daher mit einer weiteren Intensivierung der Ausbeutung in Verbindung mit einem zunehmenden Rückgriff auf autoritär-repressive Mittel zu rechnen. Das lange für die Entwicklung des Kapitalismus förderliche Gewand einer Demokratierhetorik ist damit verschlissen und hat ausgedient. Gegenwärtige und zukünftige Entwicklungsformen des Kapitalismus werden den autoritären Kern des Kapitalismus immer offener zum Ausdruck bringen. Und den intellektuellen Schichten zusammen mit den großen Medien kommt dabei die dämonische Aufgabe zu, einer Transformation zum autoritären Sicherheitsstaat die Zustimmung der breiten Massen zu sichern.

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