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Alltag und Absurdität der Repressionen gegen die kurdische Diaspora in Deutschland

Jahrzehntelang wurden sie als „Terroristen“ verunglimpft und ihre Organisationen als „Hauptfeind der inneren Sicherheit“ diffamiert: Kurdinnen und Kurden in Deutschland. Obwohl diese Menschen einst aus ihrer Heimat geflohen sind, um Schutz vor Krieg und Verfolgung zu finden, kriminalisiert der Westen und insbesondere Deutschland fast alle Organisationen der kurdischen Diaspora. Diese Politik wird bis heute mit dem PKK-Verbot von 1993 gerechtfertigt. Jede Bundesregierung, gleich welcher Farbkonstellation, hat diese antikurdische Politik bisher fortgeführt. Erstmals zeigen Alexander Glasner-Hummel, Monika Morres und Kerem Schamberger, mit welch autoritären Methoden Kurdinnen und Kurden hierzulande mundtot gemacht werden. Sie stellen fest: Die Repression gegen die kurdische Bewegung ist ein deutsches Demokratiedefizit. Ein Auszug.

Schätzungen zufolge leben zwischen einer und anderthalb Millionen Kurd:innen in Deutschland. Das sind 1,2 bis 1,8 Prozent der Bevölkerung. Nach Russlanddeutschen und Türk:innen sind sie damit die hierzulande drittgrößte Bevölkerungsgruppe mit Migrationsgeschichte. Nirgendwo sonst leben derart viele Kurd:innen außerhalb Kurdistans. Nur die Hälfte von ihnen besitzt allerdings einen deutschen Pass. Für die Art, wie der Staat mit ihnen umgeht, macht dies einen gewaltigen Unterschied.

Anstatt das Engagement der hier lebenden Kurd:innen anzuerkennen und zu fördern, sind für Aktivist:innen Der Kurdischen Bewegung die unterschiedlichsten Formen staatlicher Diskriminierung Alltag. […]

Immer wieder versuchen staatliche Behörden öffentliche Versammlungen oder Demonstrationen Der Kurdischen Bewegung zu verhindern. Sobald diese auf der Straße in Erscheinung tritt, sieht sie sich mit zahlreichen einschränkenden Auflagen konfrontiert. So ist etwa das Zeigen von Flaggen mit dem Abbild Abdullah Öcalans, des in der Türkei inhaftierten Vordenkers der kurdischen Bewegung, bis auf wenige Ausnahmefälle in Deutschland verboten. Gleichgültig, wie man zu dem Menschen steht, den manche auch den »Nelson Mandela des kurdischen Volkes« nennen, ist eine solche Politik absurd: Nur das öffentliche Zeigen des Bildes Adolf Hitlers unterliegt in Deutschland ähnlich drastischen Restriktionen.

Auch das Zeigen von Flaggen der syrisch-kurdischen YPG und YPJ und damit der Kräfte, mit denen Deutschland und die USA im Kampf gegen die IS-Terrormiliz im Rahmen einer internationalen Koalition verbündet sind, hat man hierzulande versucht zu kriminalisieren. Allein in Bayern wurden deshalb bereits mehrere Hundert Strafbefehle in Höhe von bis zu 1000 Euro verschickt. Das Bundesinnenministerium, welches die YPG- und YPJ-Symbolik per Rundschreiben an die zuständigen Behörden im März 2017 verboten hatte, argumentierte, dass es sich dabei unter Umständen um PKK-Ersatzsymbole handeln könne: Wer diese Flaggen öffentlich zeige, drücke häufig nicht seine Solidarität mit dem Freiheitskampf der syrischen Kurd:innen gegen die IS-Terrormiliz aus, sondern tatsächlich seine Sympathie mit der verbotenen PKK.

Seit der Feststellung des Bayerischen Obersten Landesgerichts im Dezember 2020, dass man die YPG- und YPJ-Flaggen nicht als Ersatzsymbol der PKK werten könne, werden zwar in der Regel keine Strafbefehle mehr verschickt, trotzdem nimmt die Polizei vielerorts das Zeigen der Symbole zum Anlass, Versammlungen zu kriminalisieren. Diskussionen mit den Ordnungshütern, ob diese nun erlaubt seien, sind somit bei Protesten der kurdischen Bewegung noch immer keine Seltenheit. Teils kommt es in der Folge zu erheblichen Demonstrationsbehinderungen durch die Polizei. Selbst nach der höchstrichterlichen Feststellung, dass das Zeigen von YPG- und YPJ-Symbolik rechtens ist, betrachtet das Innenministerium weiterhin Dutzende kurdische Embleme als PKK-Ersatzsymbole. Ihr öffentliches Zeigen ist für Protestierende mit der Gefahr von Strafbefehlen und Demonstrationsbehinderungen verbunden.

Immer wieder finden zudem in kurdischen Vereinen Razzien statt, bei denen oftmals große Teile der Vereinsunterlagen beschlagnahmt werden. Die Polizei tritt bei den einschüchternden Durchsuchungen häufig martialisch und in voller Kampfmontur auf. Meist wirft man den legalen kurdischen Vereinen dabei vor, Vorfeldorganisationen der verbotenen PKK zu sein, obwohl sich diese lediglich für die Bewahrung der kurdischen Kultur einsetzen. Zwar kommt es gerade im Vorfeld von Wahlen dort auch zu politischen Diskussionen, doch ist an solchen, in aller Regel öffentlichen Debatten nichts illegal. Sie sind zumal nur ein Teil der vielfältigen Arbeit zur Pflege des kurdischen Lebens in Deutschland.

Wie passt dieses Vorgehen gegen Kurd:innen zu einem Rechtsstaat wie Deutschland, dessen Grundgesetz in Artikel 3 festschreibt, dass hierzulande niemand aufgrund »seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden« darf – ein Land, in dem seit Jahren über Antidiskriminierung diskutiert wird, das entsprechende Gesetze verabschiedet hat und in dem sogar eine explizit dafür zustände Bundesbehörde existiert?

Vor diesem Hintergrund stellt sich außerdem die Frage: Ist der Begriff der Diskriminierung überhaupt angemessen, um das Verhältnis des deutschen Staates gegenüber der kurdischen Bewegung zu beschreiben? Unser bisheriger Gebrauch dieses Ausdrucks war nur als erste Annäherung an das hier diskutierte Problem gedacht. Gemäß der in der Gesellschaft vorherrschenden liberalen Perspektive handle es sich bei der Diskriminierung um ein Phänomen, das zwar nicht zu leugnen und in jeder Form zu bekämpfen sei, aber leider selbst in den besten Demokratien vorkomme. Diskriminierung gehe demzufolge auf rassistische, sexistische oder in sonstiger Form menschenfeindliche Einstellungen zurück. Manche meinen, dass dies nicht weiter verwerflich sei, denn Vorurteile hätten wir schließlich alle. Es bedürfe lediglich einiger Aufklärungskampagnen und schon ließe sich das Problem der Diskriminierung, die unmittelbar aus dem Lateinischen übersetzt »Unterscheidung« bedeutet, in den Griff kriegen. In jedem Fall könne der Staat seinerseits wirksame Maßnahmen dagegen ergreifen.

Doch wie erklärt diese Perspektive, dass das Innenministerium die Symbole einer politischen Bewegung verbietet? Wie erklärt sie, dass ein internationaler wissenschaftlicher Kongress beinahe nicht stattfindet, weil ein staatlicher Geheimdienst interveniert? Und wie erklärt sie, dass bei Razzien in kurdischen Kulturvereinen immer wieder Inventar beschlagnahmt wird?

Die Wahrheit ist: Sie kann es nicht. Denn die geläufige Auslegung des Diskriminierungsbegriffs sieht weder die systematisch kalkulierte Benachteiligung einer Menschengruppe vor noch, dass diese vom Staat selbst zur Verfolgung abstrakter politischer Interessen vorangetrieben wird. Unter anderem deshalb halten wir jenen Ausdruck für ungeeignet, wenn wir den Umgang des deutschen Staates mit der kurdischen Bevölkerung beschreiben. Statt von Diskriminierung werden wir daher in diesem Buch von Repression sprechen.

»Repression« ist ein Begriff, der auf ein Verhältnis von Über- und Unterordnung verweist. Sie kann explizit gewaltvoll sein, etwa wenn eine Tür eingetreten oder ein Mensch hinter Gitter gesteckt wird, oder aber subtile Formen annehmen: So erscheint ein Versammlungsbescheid, der eine Demonstration verbietet, zunächst einmal lediglich in der Gestalt eines harmlosen Briefes. Hält man sich jedoch nicht daran, so folgen teils robuste, teils auch brutale polizeiliche Praxen zur Auflösung einer ungenehmigten Versammlung. Nicht selten verbirgt sich die Gewalt im Kontext der Repression somit hinter impliziten Drohungen und sachlich erscheinenden Zwängen.

Vor allem passt diese Praxis aber nicht zum Selbstverständnis Deutschlands als einem demokratischen Rechtsstaat. Repression sei demnach etwas, das es hierzulande eigentlich gar nicht geben dürfte – etwas, das, sobald es auftritt, als Einzelfall heruntergespielt oder verdrängt werden müsse. Doch für die in ihrer eigenen Community politisch aktiven Kurd:innen in Deutschland ist staatliche Repression keine Ausnahme, sondern Alltag.

Folglich wirft dieses Phänomen beunruhigende Fragen vor allem über uns, die nicht betroffene Mehrheitsgesellschaft, auf: Warum bekommt die Repression gegen die politisch aktiven Kurd:innen in Deutschland bisher so wenig Aufmerksamkeit? Wie demokratisch ist eine Demokratie, in der die Partizipationsmöglichkeiten einer Bevölkerungsgruppe derart massiv eingeschränkt werden? Und vor allem: Warum verstößt der deutsche Staat gerade im Falle der kurdischen Bewegung gegen seine eigenen Grundprinzipien?

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