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Raus aus dem Ego-Kapitalismus

Ob Krisen, Armut oder die zunehmende Verrohung und Spaltung der Gesellschaft, von der nach aktuellen Umfragen vor allem die AfD zu profitieren scheint: Die beängstigende Entwicklung der letzten Jahre ist das Ergebnis einer Politik, die im rücksichtlosen Gegeneinander von Menschen, Unternehmen und Staaten den Motor des wirtschaftlichen Fortschritts sah. Das sagt der Entwicklungsökonom Patrick Kaczmarczyk in seinem neuen Buch. Seine Suche nach möglichen Auswegen aus dem drohenden sozio-ökonomischen wie ökologischen Desaster führt Kaczmarczyk bis in die katholische Soziallehre. Diese weist einen überraschenden Reichtum an Prinzipien und Leitbildern auf, die dem wirtschaftspolitischen Egoismus in fundamentaler Weise entgegenstehen. Für Kaczmarczyk steht fest: Ohne eine Abkehr vom Ego-Kapitalismus sind die gegenwärtigen Krisen bloß ein Vorgeschmack auf all das, was uns in Zukunft noch droht.

Während der Klimakonferenz 2022 stellte der UN-Generalsekretär António Guterres die Staatengemeinschaft vor die Wahl: „Kooperation oder Untergang.“ Es war ein weiterer, fast schon verzweifelter Hilferuf, dem wirtschaftspolitischen Egoismus in dieser Welt ein Ende zu setzen, um die globalen Herausforderungen gemeinsamen zu bewältigen.

Dass uns dieser Turnaround gelingen sollte, ist derzeit nicht absehbar. Zu sehr hat sich das Gegeneinander als wünschenswerter Status Quo in unsere Köpfe gebrannt. Jeder gegen jeden. Alle gegen alle. Das war seit den 1980er Jahren das Mantra in der Wirtschaftspolitik. Diesem Ego-Kapitalismus lag die Annahme zugrunde, dass sämtliche Akteure in einer Wirtschaft unabhängig voneinander agieren und lediglich ihren Nutzen beziehungsweise ihre Profite maximieren. Sofern der Staat nicht dazwischen geht, bringt uns dieser Antrieb in die beste aller möglichen Welten.

In der Praxis rechtfertigte dieses Mantra die Umverteilung von unten nach oben, hielt Weite Teile Der Welt in Armut, und blieb blind für die Folgen der Klimakrise. Jedes ökonomische Phänomen wurde bequem auf Eigenverantwortung heruntergebrochen. Menschen in Armut und Arbeitslosigkeit hatten nun lediglich eine zu geringe Produktivität oder zogen einen höheren Nutzen aus der Freizeit. Selbst schuld! Der Milliardär erlangte seinen Wohlstand durch Genie und Leistung. Besteuerung wäre der Weg in die Knechtschaft! Krisen in diversen Ländern wurden zum Ergebnis der lokalen Politik. Was können wir schon dafür?

Für diejenigen mit den längsten Hälsen in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, war dies eine willkommene Geisteshaltung. Sie löste die Solidarität der Menschen untereinander auf, da fortan jeder für sein Wohlergehen selbst verantwortlich war. Sie ließ die Rolle von Macht unsichtbar werden, sodass extreme Ungleichheiten als „natürliches“ Ergebnis legitimiert wurden. Und sie entließ die Politik aus der Verantwortung für die Gestaltung der Wirtschaft, denn der „freie Markt“ würde schon am besten dafür sorgen.

Während eine Minderheit auf der Welle dieser Ideologie unvorstellbaren Reichtum akkumulierte, wurden unser Planet sowie der Großteil der Menschen zu den Verlierern des Ego-Kapitalismus. Auch die Demokratie trug schwere Schäden des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit davon. Aus dem Prinzip „one person, one vote“ wurde „one dollar, one vote“. Kapital und Netzwerke gaben Macht, Gesetze zu gestalten, sodass die Wirtschaft auf die Bereicherung der wenigen, anstatt auf den Wohlstand der vielen programmiert wurde.

Allerdings hat auch dieses System seine Kipppunkte. Solange man alle paar Jahre einen Wahlzettel abgeben kann, wird auf diese Weise ein fruchtbarer Nährboden für radikale Parteien bereitet. Dort, wo weite Teile der Gesellschaft von den Früchten der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen werden, wo Unsicherheit und Prekarität zum Alltag werden und ein Gefühl des Kontrollverlustes sich breitmacht, da werden Demagogen ideale Bedingungen zur Verführung der Massen finden, ohne selbst auch nur einen Lösungsvorschlag parat zu haben. Die Politik muss schleunigst lernen, dass das Abwenden einer katastrophalen sozialen, ökologischen und ökonomischen Abwärtsspirale nur mit einer neuen Wirtschaftspolitik möglich ist. Dies betrifft sowohl die nationale wie auch die internationale Ebene.

Eine neue Wirtschaftspolitik muss dabei nicht zwangsläufig einen radikalen Systemwechsel bedeuten. Wie wäre es denn, wenn wir dies mit einer genuin „konservativen“ Politik erreichen wollten? Wenn wir unsere Werte, von denen wir so gerne sprechen, wirtschaftspolitisch etwas mit Leben füllen? Werfen wir einen Blick auf das Wertefundament, auf das sich vor allem konservative Parteien berufen – nämlich das Christentum –, so stellen wir fest, dass die Bibel in der Tat eine wunderschöne, ganzheitliche Antwort auf die vielen Krisen unserer Zeit bietet. Die Prinzipien, die in der Soziallehre der Kirche ausgelegt werden, bilden eine alte und dennoch erstaunlich moderne Grundlage für eine Neuordnung unserer Wirtschaft.

Der Clou dabei ist allerdings, dass „christliche“ Parteien, sofern sie den Prinzipien ihres Glaubens folgen wollen, ihre Politik der letzten 50 Jahre ändern müssen – und zwar radikal. Sie müssten fortan die stärkste Lobby für die Armen bilden, anstatt, dass sie mit Fakenews und Hasskampagnen (wie in der Bürgergelddebatte) Reformen zugunsten der Armen torpedieren. Sie müssten ihre Rolle als Bodyguard der Reichen aufgeben, da das Recht auf Privateigentum in der Soziallehre nicht von dessen Gebrauch getrennt werden darf. Das Privateigentum wird der „allgemeinen Bestimmung der Güter“, das heißt, der Orientierung am Gemeinwohl, sowie der „vorrangigen Option für die Armen“ untergeordnet. Zudem müssten konservative Parteien in Zukunft alles daransetzen, zu genuinen „Arbeiterparteien“ zu werden, da in der Kirche das Prinzip des Vorranges der Arbeit gegenüber dem Kapital gilt. Der Faktor Arbeit ist nämlich untrennbar mit dem Menschen und damit seiner Würde verbunden, während das Kapital nur eine Summe von Dingen umfasst. Die Kampagnen gegen den Mindestlohn und bessere Arbeitsbedingungen würden damit der Vergangenheit angehören. International wären die Konservativen an vorderster Front, wenn es um eine Reform des Währungs-, Finanz- und Handelssystem ginge, welches dem globalen Süden Raum zur Entwicklung gibt. Und schließlich würden sich christliche Parteien auch an das Gebot halten, den Garten der Erde nicht nur zu „bearbeiten“, sondern auch „zu behüten“, wie es die Bibel vorschreibt. Kurz: konservative Politik würde das Gegenteil von dem tun, wofür sie in den letzten 50 Jahren einstand.

Angesichts der dramatischen sozioökonomischen und ökologischen Entwicklung Der Letzten Jahre dürfen sich jedoch nicht nur die konservativen, sondern alle Parteien ernsthaft hinterfragen, ob sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht geworden sind. Gerade im Falle der „christlichen“ Parteien würde man eine christliche Wandlung sehr begrüßen.

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