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Ein Propagandamodell

Mit „Manufacturing Consent“ legten Edward S. Herman und Noam Chomsky im Jahr 1988 ein umfassendes Werk zur Funktionsweise der Massenmedien in kapitalistischen Demokratien vor, das heute als eine der meistgelesenen Studien zum Thema gilt. Nun erscheint dieser Klassiker unter dem Titel „Die Konsensfabrik. Die politische Ökonomie der Massenmedien“ endlich und erstmals auf Deutsch – und hat nichts von seiner Aktualität verloren. Fein und detailliert zeigen die Autoren, wie die Medien einen gesellschaftlichen Konsens herstellen, der den herrschenden wirtschaftlichen und politischen Interessen folgt. Diese Einflussnahme erfolgt aber nicht durch dunkle, verschwörerische Mächte im Hintergrund, sondern durch die ökonomischen Bedingungen der Medienlandschaft, die Chomsky und Herman analysieren und dabei Themen in den Blick nehmen wie: Eigentumsverhältnisse, Anzeigengeschäft, Quellenabhängigkeit, die Grenzen des Sagbaren und politische Einflussnahme sowie implizite gesellschaftliche Ideologien. Sie zeigen auf, wie Fragen formuliert und Themen ausgewählt werden, und machen die Doppelmoral sichtbar, die der Darstellung freier Wahlen, einer freien Presse und staatlicher Unterdrückung zugrunde liegt. Ein kurzer Auszug zum Propagangamodell.

Die Massenmedien fungieren als ein System zur Kommunikation von Botschaften und Symbolen an die Bevölkerung als Ganzes. Sie sollen belustigen, unterhalten und informieren sowie den Einzelnen die Werte, Meinungen und Verhaltensweisen vermitteln, die sie in die institutionellen Strukturen der Gesamtgesellschaft integrieren. In Einer Welt, in der der Reichtum bei Wenigen konzentriert ist und in der gravierende Interessenskonflikte zwischen den Klassen bestehen, können sie diese Rolle nur durch systematische Propaganda ausfüllen.

In Ländern, in denen die Macht in den Händen einer staatlichen Bürokratie liegt, ist durch den monopolistischen Charakter der Kontrolle über die Medien (zu dem oft noch eine offizielle Zensur hinzukommt) von vorneherein klar, dass diese den Zielen einer herrschenden Elite dienen. In Ländern, in denen die Medien sich im Privatbesitz befinden und in denen es keine formelle Zensur gibt, ist die Tatsache, dass auch dort ein Propagandasystem am Werk ist, wesentlich schwieriger zu erkennen. Das gilt ganz besonders dort, wo die Medien in aktiver Konkurrenz zueinander stehen, periodisch die Fehler und Missbräuche von Unternehmen und Regierung entlarven und so ein Bild von sich selbst als aggressive Vorkämpfer für Meinungsfreiheit und die Interessen aller zeichnen. Dabei sind jedoch einige Faktoren weniger evident und werden auch in den Medien selbst nicht diskutiert, nämlich der begrenzte Charakter der von den Medien geübten Art von Kritik, die enorme soziale Ungleichheit in der Kontrolle über mediale Ressourcen und die Auswirkungen von beidem auf den Zugang zu einem privaten Mediensystem und auf dessen Verhalten und Funktionsweise.

Ein Propagandamodell konzentriert sich auf diese Ungleichheit von Reichtum und Macht und die vielfältigen Auswirkungen, die sie auf die Interessen und Entscheidungen derer hat, die über die Massenmedien bestimmten. Es verfolgt die Mechanismen, mittels derer Geld und Macht in der Lage sind, die Nachrichten herauszufiltern, »die es wert sind, gedruckt zu werden«, abweichende Meinungen zu marginalisieren und es stattdessen den dominanten staatlichen und privaten Interessen zu ermöglichen, ihre Botschaften der Öffentlichkeit zu vermitteln. Unser Propagandamodell besteht im Wesentlichen aus einer Reihe von Nachrichten-»Filtern«, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

(1) Größe, Eigentumskonzentration, Eigentümervermögen und Profitorientierung der dominanten Firmen im Sektor Massenmedien,

(2) Werbung als Haupteinnahmequelle der Massenmedien,

(3) die Abhängigkeit der Medien von Informationen, die ihnen von Staat, Unternehmen und »Experten« (die von Staat und Unternehmen finanziert und für gut befunden sind) geliefert werden,

(4) »Flak« als Mittel zur Disziplinierung der Medien und

(5) »Antikommunismus« als nationale Religion und als Kontrollmechanismus.

Diese Elemente interagieren miteinander und verstärken sich gegenseitig. Das Rohmaterial der Nachrichten muss zuerst diese aufeinanderfolgenden Filter passieren, die dann einen gesäuberten Rest übriglassen, der »es wert ist, gedruckt zu werden«. Sie legen die Prämissen von Diskurs und Interpretation sowie die Definition dessen fest, was überhaupt als berichtenswert gilt, und sie erklären die Grundlage und Funk­tionsweise einer Berichterstattung, die häufig die Form von Propagandakampagnen annimmt.

Die Herrschaft der Elite über die Medien und die Marginalisierung von Vertretern abweichender Meinungen, die beide aus dem Operieren dieser Filter resultieren, ergeben sich auf so natürliche Art, dass die in den Medien tätigen Journalisten, die häufig vollkommen integer und guten Willens ihre Arbeit tun, sich einreden können, dass sie die Nachrichten »objektiv« und aufgrund rein professioneller Standards auswählen und interpretieren. Innerhalb der durch die Filter auferlegten Grenzen sind sie dann tatsächlich oft objektiv, aber die Beschränkungen sind so mächtig und so gut in das System integriert, dass alternative Kriterien der Nachrichtenauswahl oft nicht einmal vorstellbar sind. Wenn die Medien beispielsweise den Nachrichtenwert der dramatischen Behauptungen der US-Regierung vom 05.11.1984 über eine Lieferung von MiG-Flugzeugen nach Nicaragua bewerten, machen sie sich nicht erst einmal Gedanken darüber, dass es vielleicht voreingenommen sein könnte, den Verlautbarungen der Regierung Priorität einzuräumen – oder über die Möglichkeit, dass diese womöglich die Nachrichten manipuliert, den Medien ihre eigene Agenda aufdrängt und die Aufmerksamkeit bewusst von anderen Fakten ablenkt. Um das Muster der Manipulation und systematischen Parteilichkeit zu erkennen, bedarf es neben einer Mikroanalyse der Funktionsweise der Medien, die ihre Berichte und Veröffentlichungen im Einzelnen untersucht, eben auch einer Makroanalyse.

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