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Transhumanismus als Abschied vom Individuum

Der Transhumanismus verfolgt das Ziel, die Grenzen der menschlichen Natur zu überschreiten – körperlich wie geistig. Durch den Einsatz verschiedener Technologien sollen die Leistungsfähigkeit erhöht, verlorene Fähigkeiten ersetzt oder gar neue erfunden werden. Aber ist diese Erweiterung des Menschen tatsächlich eine Verbesserung oder nicht viel eher eine Abkehr vom gerade Menschlichen und als solche eine Hinwendung zur Maschine? Ist der Transhumanismus eine Dystopie oder die letzte Hoffnung? Um diese Frage geht es in dem neuen Streitfragen-Band „Transhumanismus“ von Stefan Lorenz Sorgner und Philipp von Becker. Wir veröffentlichen als Antwort auf den Beitrag von Stefan Lorenz Sorgner vom 20.8. nun die Gegenposition von Philipp von Becker, der vor den Gefahren eines technologiegetriebenen Transhumanismus warnt als letzter großer Traum eines sinnentleerten, autoritären Kapitalismus, der Überwachung und Entmenschlichung auf die Spitze treibt.

In Platons Version des antiken griechischen Mythos von Epimetheus und Prometheus fällt Epimetheus bei Schaffung der Lebewesen die Aufgabe zu, diese mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten auszustatten. Doch als er zuletzt zum Menschen gelangt, hat er »unvermerkt schon alle Kräfte aufgewendet für die unvernünftigen Tiere«. Prometheus besieht das Werk von Epimetheus und findet den Menschen deshalb »nackt, unbeschuht, unbedeckt und unbewaffnet« vor. Und so stiehlt Prometheus von Hephaistos und Athene die »kunstreiche Weisheit« und das Feuer und bringt sie den Menschen. Aus dem wehr- und schutzlosen Menschen wird damit ein »Kulturwesen«, das sich fortan durch die Schaffung von Artefakten, von Kleidung, Waffen und Werkzeugen in der Natur behaupten kann.

Auf dieser Anschauung Des Menschen als von Natur aus defizitärem, mit Wissenschaft und Technik jedoch besonders anpassungsfähig und dominant gewordenem Wesen baut der Transhumanismus sein Menschen- und Weltbild auf. Genuine Eigenschaft und (evolutionäre) Aufgabe des Menschen sei es, sich selbst und die Natur mit technologischen Mitteln zu transformieren und zu kontrollieren. Will man in diesem Sinne zugestehen, dass der Mensch mittels Technologie seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten erweiterte und insofern tatsächlich immer schon ein ›Cyborg‹ war, kann der Transhumanismus als die radikalste Form eines alten, insbesondere seit der Neuzeit an Dominanz gewinnenden Strebens nach der Ausdehnung von Grenzen und Beherrschung der (menschlichen) Natur verstanden werden.

Die Radikalisierung dieses Strebens steckt in der Vorsilbe trans – also dem Über-etwas-hinaus – und speist sich vor allem aus den imaginierten wie realen Möglichkeiten des Instruments, in dem die techno-logische Entdeckungsreise des Menschen im vergangenen Jahrhundert vorerst gipfelte: dem Computer. Mit seiner Hilfe sollen nun alte Träume wie Unsterblichkeit und Aufhebung des Alterns materielle Wirklichkeit werden. Für Transhumanisten ist der Mensch nur eine (mangelhafte) Zwischenstufe der Evolution: Mittels neuer Technologien soll er nicht mehr nur optimiert, sondern gleich ganz überwunden werden. Final würden dann intelligente Maschinen an seine Stelle treten und das Universum mit »Superintelligenz« kolonisieren.

Dies relativierend, muss angemerkt werden, dass es den Transhumanismus als einheitliches Gedankengebäude nicht gibt und nicht alle seiner Anhänger postulieren, der Mensch könne oder solle in eine neue Lebensform überführt werden. Was transhumanistische Positionen jedoch eint, ist das Streben nach einer maximalen Steigerung menschlicher Fähigkeiten durch technische Eingriffe. Im Folgenden wird nicht der Platz dafür sein, jegliche Denkrichtungen und Argumente der unter dem Begriff ›Transhumanismus‹ zusammengefassten Positionen sowie seine Ideengeschichte zu diskutieren. Stattdessen möchte ich anhand einiger zentraler Motive des transhumanistischen Denkens zeigen, dass es sich bei den Vorstellungen des Transhumanismus nicht um bloße Spekulationen über eine ferne Zukunft handelt, sondern um eine zugespitzte Form der ganz gegenwärtigen, (westlich-)modernen Art und Weise, sich auf die Welt zu beziehen. Diese basiert auf einer reduktionistischen, szientistisch-technokratischen Sicht auf Mensch und Gesellschaft und ist durch ein (absolutes) Streben nach Wachstum, Kontrolle und Beschleunigung sowie den Modus des Wettbewerbs gekennzeichnet, welche allesamt durch die Computerisierung eine Ausdehnung und Intensivierung erfahren.

Blind ist der Transhumanismus dabei gegenüber dem dialektisch-ambivalenten Charakter menschlicher Erfahrung und Existenz sowie den möglichen Konsequenzen der eigenen Vorstellungen. Das Verfolgen der transhumanistischen Agenda könnte deshalb in eine Welt führen, in der wir keineswegs unsere Gattung hinter uns gelassen, sondern weiterhin Menschen aus Fleisch und Blut sein werden, uns aber von den Voraussetzungen für ein individuell wie kollektiv selbstbestimmtes und (auch deshalb) gelingendes Leben noch mehr entfremdet haben, als es gegenwärtig ohnehin schon der Fall ist.

Die Mittel, mit denen der Mensch technisch transformiert werden soll, lassen sich grob in drei Felder unterteilen: biotechnische und gentechnische Eingriffe sowie die Verschmelzung von Mensch und Maschine durch Implantate, Prothesen oder Mensch-Computerschnittstellen. Hinzu kommen die extremsten, nicht zuletzt aus der Science-Fiction gespeisten und von ihr wiederum popularisierten Phantasien, in denen der Mensch nicht nur mit Computern verbunden und aufgerüstet, sondern gleich ganz auf sie übertragen wird. In solchen Szenarien wird von einem »Gehirn- oder Mind-Upload« fabuliert: Das angeblich (nur) im Gehirn repräsentierte Wesen einer Person soll auf einen Computer übertragen werden. So lasse es sich dann vom organischen – und als solchem sterblichen – Körper befreit, in vermeintlich unsterblicher Materie weiterleben.

Die Vorstellung des Mind-Uploads beruht auf der Fiktion, dass das Wesen des Menschen unabhängig von der spezifischen Materie seines Körpers sei und lediglich aus Daten bestehe, die auf eine beliebige Materie transferiert werden könnten. Auch die Vorstellung zur gentechnischen Umgestaltung des Menschen beruht auf der Fiktion des Menschen als einer formalisierbaren, berechenbaren, von der Umwelt abgeschnittenen Entität. Der »Code der DNA« müsse nur entschlüsselt werden und könne dann gezielt umprogrammiert werden. Allgemein gilt, dass die Möglichkeiten technischer Körpertransformation in transhumanistischen Schriften maßlos übersteigert, simplifiziert oder schlicht falsch eingeschätzt werden. Trotz bereits Jahrzehnte andauernden massiven Forschungsanstrengungen unter Einsatz des Computers ist es bis heute nicht gelungen, auch nur annähernd zu verstehen, wie Genom und Gehirn funktionieren. Und auch eine sogenannte »starke KI« oder Artificial General Intelligence – eine künstliche Intelligenz, die Bewusstsein besitzt und in transhumanistischen Szenarien mit dem Menschen fusioniert oder gar an seine Stelle tritt –, existiert nach wie vor nur in der Science-Fiction.

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