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Neue Weltmacht Indien – eine tief gespaltene Nation

Indien ist seit diesem Frühjahr das bevölkerungsreichste Land der Erde und die neue, noch recht unbekannte Supermacht auf der politischen Bühne. Geostratege, Wirtschaftsriese, Wissenslabor, Partner für den Westen? An Indien scheiden sich die Geister, obwohl oder gerade weil kaum jemand im Westen dieses widersprüchliche Land versteht. Der Indologe Oliver Schulz, der das Land sogar schon zu Fuß durchquert hat, liefert in seinem neuen Buch „Neue Weltmacht Indien“ einen tiefen Einblick in die verschiedenen Facetten der indischen Gesellschaft und Kultur und gibt uns einen Überblick über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsperspektiven der neuen Supermacht, die immer deutlicher ihre Ansprüche auf eine Führungsrolle in der Welt erhebt. Wie tickt dieses Land wirklich? Was hält es zusammen? Wie verlässlich ist es als Partner? Und wie bedrohlich könnte sein Aufstieg für die Weltgemeinschaft werden?

Seit Jahrzehnten nehmen  Autoritarismus und Menschenrechtsverletzungen in Indien zu. Die hindunationalistische Zentralregierung wie auch die Regierungen einzelner Bundesstaaten gehen massiv gegen Minderheiten vor. Mit neuen Gesetzen werden Minderheiten ausgegrenzt, Verschwörungstheorien und Hassreden kursieren. Besonders Muslime, aber auch Christen und andere Minderheiten leben in Angst vor der Staatsmacht und Attacken hinduistischer Fundamentalisten.

Anfang Juli hat das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der es vor dem „Hindu-Majoritarismus“ in Indien warnt. Die Resolution fordert die indische Regierung auf, die “anhaltende ethnische und religiöse Gewalt“, insbesondere im Bundesstaat Manipur, unverzüglich zu beenden. Seit Mai ist der nordöstliche Bundesstaat Manipur Schauplatz Gewalt zwischen Milizen verschiedener indigenen Völker. Bisher sind mehr als 120 Menschen getötet und 50.000 vertrieben worden. Die Konflikte zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in Indien, vor allem zwischen Muslime und Hindus sind so massiv, wie seit der Unabhängigkeit 1947 nicht mehr.

Doch die deutsche Außenpolitik ficht diese Entwicklung kaum an. Ende 2022 reiste Annalena Baerbock nach Indien. Die deutsche Außenministerin fuhr mit der Autorikscha durch Delhi. Sie verteilte barfuß vor Gandhis Gedenkmal Rosenblätter und buk in einer Tempelküche mit den Frauen traditionelles Fladenbrot.

Bei einer Pressekonferenz unterzeichneten die Länder eine Vereinbarung über eine Migrations- und Mobilitätspartnerschaft. Damit sollen hochqualifizierte Fachkräfte leichter nach Deutschland kommen. Dann sprachen die beiden Minister. Baerbock duzte ihren indischen Amtskollegen in ihrer auf Deutsch gehaltenen Rede. Es gebe ein enges Band zwischen den beiden Demokratien, sagte sie: „Ein Band, das uns auf der Grundlage geteilter Werte verbindet.“ Und sie zählte auf: „Menschenrechte, Freiheit, Demokratie. Das Vertrauen in eine Ordnung, basierend auf dem Recht.“

Baerbock verwies auf konkrete Projekte, die vereinbart wurden, um Indien dabei zu unterstützen, seinen Energiebedarf auf sozial und ökonomisch nachhaltige Quellen umzustellen. Die beiden Länder wollten die Zusammenarbeit etwa bei der Energiewende ausbauen. Deutschland stehe dafür als Partner zur Seite. Auch gemeinsame Verteidigungspolitik war ein Thema. Kooperationen im indopazifischen Raum sollten verstärkt werden, im Bereich der Sicherheit wie auch der Klimapolitik. Insgesamt gebe es ein großes Potenzial für weitere Zusammenarbeit. Das beziehe sich auf die Wirtschaftsbeziehungen wie auf die Verteidigung. Man habe in der Bundesrepublik erlebt, wie es sei, sich von einem Land abhängig zu machen, dessen Werte man nicht teile, sagte die Außenministerin mit Blick auf Russland. Deswegen wolle man in diesen Bereichen stärker mit Indien kooperieren.

Diese bereits mehrfach zitierten gemeinsamen Werte blieben auch ihr Schwerpunkt, als eine Zeit-Journalistin sie fragte, ob Indien jetzt ein Ersatzpartner für China werden solle. Baerbock antwortete mit einem klaren Nein. Indien sei schon immer Partner für Deutschland und Europa gewesen. Diese Partnerschaft solle jetzt erweitert werden. Denn, und da war es wieder: „Uns verbindet eine Wertepartnerschaft. Insbesondere die wollen wir weiter ausbauen.“ Als größte Demokratie der Welt stehe Indien beispielhaft für viele Länder in der Welt.

Auch Bundeskanzler Scholz, der im Februar 2023 das Land besuchte, unterstrich die Bedeutung der bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Und das, obwohl Indien sich kurz zuvor bei einer neuen Resolution zur Verurteilung des Einmarschs Russlands in die Ukraine in der UN-Generalversammlung erneut der Stimme enthalten hatte. Scholz‘ Lob für Indien war zwar weniger euphorisch, ging aber in dieselbe Richtung wie das der Außenministerin. Auch ihm ging es um Werte: „In der Tat bin ich fest davon überzeugt, dass unsere Länder eng verbunden sind, weil wir ähnliche Vorstellungen haben – ganz besonders, was die Demokratie betrifft und was die Bedeutung betrifft, die sie für unser Leben und für die Zukunft hat“, sagte er in New Delhi gegenüber Premier Modi.

Tatsächlich ist die Lage eine andere. Indien ist heute eine Tief Gespaltene Nation. Um ein zuverlässiger Partner für Deutschland und den Westen zu sein, muss das Land seine Menschenrechtspolitik neu ausrichten. Auch wenn deutsche Politiker dies bisher – anders als etwa gegenüber China – nicht anmahnen. Egal, ob es um die Rechte von Muslimen oder Christen oder auch um Frauenrechte geht: Nur wenn die indische Regierung einen anderen, komplett neuen Weg einschlägt, sind dauerhaft Konflikte in dem Land zu vermeiden. Nur dann ist der Frieden im Land sicher.

Außenpolitisch sind vor allem die guten Beziehungen New Delhis zu Moskau ein Widerspruch zu der immer enger werdenden Verteidigungs-Partnerschaft mit dem Westen. Denn trotz aller Annäherung an Washington und Brüssel in den vergangenen Jahren: Es ist kaum zu erwarten, dass das Land in den kommenden Jahren seine Ambivalenz zwischen den USA und Russland komplett überwindet. Geostrategisch ist New Delhi auch heute nur insofern ein verlässlicher Verbündeter für den Westen, als es nichts tun wird, was die nationalen Interessen der EU-Länder oder der USA verletzt. Doch das gilt eben auch für die Interessen Russlands und sogar Chinas.

Und auch das viel zitierte wirtschaftliche Potenzial ist zwar gewaltig – aber bisher taugt Indien auch ökonomisch nur bedingt als neuer Partner für den Westen. Denn allem Wachstum zum Trotz: Die sozioökonomische Schere klafft weit auseinander.

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