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Die Verschmelzung von Mensch und Maschine

Für viele von uns ist Krieg immer noch etwas sehr Physisches, eine Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld. Bei den politisch Verantwortlichen rückt jedoch eine weitere Komponente immer stärker in den Fokus: die Psychologie. So treibt auch die NATO seit dem Jahr 2020 eine neue Form der psychologischen Kriegsführung voran: die sogenannte „Kognitive Kriegsführung“ („Cognitive Warfare“), die von der NATO selbst als die „fortschrittlichste Form der Manipulation“ bezeichnet wird. Diese nimmt die Psyche jedes Menschen direkt ins Visier, mit einem ganz bestimmten Ziel: unseren Verstand wie einen Computer zu „hacken“. Der Propagandaforscher Jonas Tögel erläutert in seinem Buch „Kognitive Kriegsführung“ die Hintergründe und Entstehungsgeschichte der Kognitiven Kriegsführung: vom Beginn moderner Kriegspropaganda vor 100 Jahren über die Militarisierung der Neurowissenschaften bis hin zu Zukunftstechnologien wie Nano-Robotern oder Neurowaffen. Und er zeigt, dass der Gedankenkrieg über sogenannte „Soft-Power-Techniken“ bereits heute meist unbemerkt stattfindet.

In der Kognitiven Kriegsführung geht es einerseits darum, einem potentiellen Gegner durch modernste Manipulationstechniken Schaden zufügen sowie die Gedanken und Gefühle der Bevölkerungen bestmöglich kontrollieren zu können. Andererseits ist die „Verbesserung“ der eigenen Soldaten immer wieder ein Thema. Ähnlich wie bei bekannten Science-Fiction-Filmen wie Terminator oder den Superheldenfilmen von Marvel möchte man in der Kognitiven Kriegsführung besonders starke, widerstandsfähige oder kluge Kämpfer heranzüchten, die im Krieg den „normalen“ Menschen überlegen wären.

Bereits 2018 meinte der bekannte Historiker Yuval Noah Harari daher, dass die Menschheit im Begriff sei, durch „Verbesserungen“ am Menschen, „göttliche Schöpfungskräfte zu bekommen“ und gar selbst zu „Göttern zu werden“[1]. Noch hat sich seine Ankündigung nicht erfüllt und wir werden auch in Zukunft keine gottgleichen Kräfte erhalten. Dennoch stimmt es, dass die Wissenschaft vor allem im Bereich der NBIC (Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationswissenschaften und Kognitionswissenschaften) daran arbeitet, den Menschen „von den Einschränkungen des Körpers zu befreien“[2], wie Francois du Cluzel vom Innovation Hub schreibt.

Ein Beispiel, wie man den Menschen durch Technik „erweitern“ kann, sind sogenannte RFID-Chips. Mit den reiskorngroßen Mikrochips, welche direkt in die Hand implantiert werden, kann man die Funktionen einer Kreditkarte, eines Autoschlüssels oder auch eines Personalausweises miteinander kombinieren.[3] In Schweden, dessen Bevölkerung besonders gerne solche RFID-Chips nutzt, hat das Unternehmen TUI seinen Mitarbeitern angeboten, sich chippen zu lassen – rund 100 der 500 Mitarbeiter haben angenommen. Der Geschäftsführer Alexander Huber erklärte dem Spiegel, dass die Mitarbeiter mit dem Chip ihren Spind öffnen, die Drucker aktivieren oder die gesicherten Kühlschränke in der Küche öffnen können. „Ich schätze es sehr, dass ich damit die Türen am Eingang und im Gebäude öffnen kann. Das ist eine echte Erleichterung“[4], fügte Huber hinzu.

Seit 2021 werde die Nutzung der Mikrochips als Impfpass vor allem im Zuge der Covid-19 Impfungen ebenfalls „immer beliebter“[5].

Die Funktion der RFID-Chips ist dabei auf einige vorher festgelegte Aufgaben beschränkt – nicht so bei einer anderen Form der Verschmelzung Von Mensch und Maschine: den Gehirnchips von Neuralink. Das Unternehmen von Elon Musk arbeitet an einer direkten Verbindung zwischen dem menschlichen Gehirn und einem Computer.[6] Dafür müsste man sich einen winzigen Chip direkt ins Gehirn implantieren lassen, der die Aktivitäten des Gehirns lesen und auswerten kann.

Wenn die Forschung Erfolg hat, wären damit bisher unvorstellbare Dinge möglich: „Jeder, der möchte, könnte sich so einen Chip in einem einfachen Eingriff implantieren lassen, und so Rechner steuern oder Gedanken teilen“[7], so der Spiegel im Januar 2022 über Musks Ambitionen.

Diese Forschungsansätze aus dem zivilen Bereich werden zunehmend auch für das Militär interessant. Eine Möglichkeit, wie die NATO diese neue Forschung für ihre Zwecke nutzen könnte, ist, nicht nur menschliche Körper, sondern auch Krankheitserreger mit Computer- und Nanotechnologie verschmelzen zu lassen. In ihren Überlegungen für das nächste Jahrzehnt werden im Zusammenhang mit diesen Zukunftstechnologien in den Dossiers zum Cognitive Warfare beispielsweise kleine Nano-Waffen beschrieben. Diese würde man über die Nahrung unbemerkt aufnehmen, und sie würden mit dem Nervensystem im Körper interagieren, womit sich die Gedanken und Gefühle ganzer Bevölkerungen durch eine neue Form von Gedankenkontrolle lenken ließen. Das mag abgehoben und unrealistisch klingen, jedoch wird Manipulation in dieser Form bereits heute diskutiert.[8]

„Auf lange Sicht gibt es kaum Zweifel, dass die Informationstechnologien das Gehirn verändern werden und daher […] Verwundbarkeiten schaffen, die man genau überwachen muss, um sie zu neutralisieren und sich gegen sie zu verteidigen und um sie am besten auszunutzen“[9], schreibt du Cluzel über die Möglichkeiten der Zukunftstechnologien.

Die NATO greift auch die Idee, Menschen durch Mikrochips mit dem Computer zu verbinden, auf und führt die Überlegungen weiter. So gibt es ein Szenario, welches eine Art futuristischen Ganzkörperanzug erwähnt, der mit dem Internet und einer künstlichen Intelligenz verbunden ist und es Menschen ermöglichen könnte, praktisch durch das Internet zu „spazieren“ – so zumindest die fiktive Vorstellung in einer der ersten Veröffentlichungen zum Cognitive Warfare von NATOs Innovation Hub.[10] Dadurch könnte man auch die biologischen Daten für jeden einzelnen Menschen auswerten und von einem Computer die perfekte Mahlzeit für die individuellen Bedürfnisse zusammenstellen lassen.

Wichtig wären diese „hybriden Systeme“ und die Verbindung zwischen Mensch und Computer, die als HAT (human-autonomy-teaming) bezeichnet wird, vor allem auch wenn es darum geht, die Schwächen von künstlicher Intelligenz durch die Stärken des Menschen (und anders herum) auszugleichen.

Obwohl die NATO zugibt, dass es sich bei dieser Mischung aus künstlicher und menschlicher Intelligenz um eine „ungewöhnliche Zusammenarbeit handelt“, ist der Oberstleutnant Gilles Desclaux von ihren Vorteilen überzeugt: „Die Komplexität des Krisenmanagements erfordert heute die Verarbeitung einer großen Menge von Daten und das Treffen kritischer Entscheidungen in immer kürzerer Zeit und unter immer engeren Rahmenbedingungen. Die Entscheidungsträger an der Spitze von Krisenmanagement-Organisationen müssen sich daher zunehmend auf hybride Systeme verlassen. Die Hilfe von intelligenten Systemen ist unverzichtbar geworden.“[11]

Sollten Projekte wie Neuralink von Elon Musk Erfolg haben, dann könnten Mensch-Computer-Hybride in Zukunft auch in der digitalen Kognitiven Kriegsführung eingesetzt werden.

Die Bestrebungen, Menschen mit Technologie zu verschmelzen, werden noch weiter vorangetrieben und führen schließlich zu einer Form von „Mensch-Maschinen-Symbiose“ oder „Mensch-Maschinen-Hybridität“[12], deren Beschreibung teilweise unwillkürlich an die Figur des Terminators aus den gleichnamigen Kinofilmen denken lässt. Somit werden wir zwar nicht zu „Göttern“, wie Harari meint, die Möglichkeiten „verbesserter“ (und damit noch stärkerer bzw. tödlicherer) Soldaten und neuer, hybrider Waffensysteme durch gefährliche Symbiosen von Mensch, Maschine und dem Internet sind jedoch erschreckende Möglichkeiten, welche in der Kognitiven Kriegsführung bereits heute mit Hochdruck vorangetrieben werden.

[1] Harari, Yuval Noah (14. Mai 2018). Nationalism in the 21st Century – Yuval Noah Harari at the India Today Conclave 2018 [Video]. YouTube.

[2] Du Cluzel, François (2021). Cognitive Warfare. Innovation Hub, S. 19.

[3]  Weiß, René-Pascal (7. März 2020). Mikrochips unter der Haut: Mit der Hand bezahlen – sieht so unsere Zukunft aus? stern; Bundesverband Sicherheitstechnik (August 2020). Die RFID-Technologie – eine kurze Einführung. BHE-Info.

[4] Läsker, Kristina (20. Oktober 2019). „Der Chip ist Teil meines Körpers geworden“. Der Spiegel.

[5] Roos, Meghan (12. März 2021). People Get Microchips Implanted That Include Vaccine Records Amid New COVID Restrictions. Newsweek.

[6] Spiegel Wissenschaft (17. Juli 2019). Elon Musk will in Ihren Kopf. Der Spiegel.

[7] Spiegel Wissenschaft (24. Januar 2022). Elon Musks Unternehmen Neuralink kündigt Tests mit Menschen an. Der Spiegel.

[8] Cole, August & Le Guyader, Hervé (2020). NATO’s 6th Domain of Operations. Innovation Hub, S. 21.

[9] Du Cluzel, François (2021). Cognitive Warfare. Innovation Hub, S. 17.

[10] Cole, August & Le Guyader, Hervé (2020). NATO’s 6th Domain of Operations. Innovation Hub, S. 19–20.

[11] Buchler, Norbou (2022). Technical Maturity of Human Network Cognitive Systems. In Claverie, Bernard; Prébot, Baptiste; Buchler, Norbou & Du Cluzel, François (Hrsg.), Cognitive Warfare: The Future of Cognitive Dominance. NATO-STO Collaboration Support Office (S. 65–76), S. 59, 63.

[12] Claverie, Bernard & Kowalczuk, Barbara (2022). Cyberpsychology. In Claverie, Bernard; Prébot, Baptiste; Buchler, Norbou & Du Cluzel, François (Hrsg.), Cognitive Warfare: The Future of Cognitive Dominance. NATO-STO Collaboration Support Office (S. 89–94), S. 91.

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