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Die Zukunft des Bäckers liegt in seiner Vergangenheit

Tags: mehr oder werden

Max Kugel ist Bäcker aus Leidenschaft. Mit unbehandeltem Mehl und ohne Zusatzstoffe backt er sein Brot in alter handwerklicher Tradition und in seiner einfachsten Form. Auf seiner #roadtobakery hat er sich von Bäckern aus aller Welt inspirieren lassen. In seinem Buch „Wie ich auszog, um mein Handwerk zu retten“ erzählt er nun, was ein gutes Brot ausmacht, warum das Bäckerhandwerk vom Aussterben bedroht ist und er mit seiner Philosophie vom „Weniger ist mehr“ genau auf dem richtigen Weg ist – denn die Frage, was wir eigentlich essen wollen, ist für uns alle essentiell.

Ich liebe meinen Beruf, weil er die Menschen ernährt, und ich möchte mit meiner Arbeit auch einen kleinen Beitrag dazu leisten, das Verständnis und den Blick auf unser tägliches Essen zu verändern. Denn so viel steht fest: Der Mensch ist, was er isst. Unsere tägliche Nahrung entscheidet maßgeblich über unser Wohlbefinden, über unsere Leistungsfähigkeit und unsere Gesundheit. Und hier stellt sich die entscheidende Frage: Wollen wir diese zentralen Aspekte unseres Lebens der Industrie überlassen, Oder vertrauen wir bei unserer Ernährung auf das Handwerk und die Handarbeit? Das ist in meinen Augen die große Konfliktlinie, über die wir uns ernsthaft Gedanken machen müssen. In allen industrialisierten Prozessen wird »Zeit« heute als ein Gegner betrachtet, den es zu minimieren gilt, denn Zeit ist bekanntlich Geld. Das gilt auch für die Backindustrie, wo es darum geht, in immer kürzerer Zeit immer Mehr zu produzieren. Und das hat Konsequenzen, die nicht nur den Backprozess beeinflussen, sondern schon die Produktion der dafür notwendigen Rohstoffe. In der konventionellen Landwirtschaft beispielsweise geht es heute um Massenproduktion und hohe Erträge zu möglichst günstigen Preisen. Ganz egal ob wir hier über Gemüse, Milch, Fleisch oder billiges Getreide reden. Dafür werden jede Menge synthetische Pestizide benötigt, ein giftiger Cocktail aus Chemikalien, die sich überall wiederfinden: in unserem Trinkwasser, im Gemüse, im Obst, in vielen Lebensmitteln, die daraus produziert werden, und damit in uns selbst: im Gewebe, im Urin, ja sogar in der Muttermilch.

Der globale Einsatz dieser Pestizide hat zu einem weltweiten Vernichtungsfeldzug geführt, der vielen Pflanzen und Tieren das Überleben unmöglich gemacht hat und auch auf unseren Organismus massive Auswirkungen hat, auf unseren Stoffwechsel, unseren Hormonhaushalt und unser Nervensystem. Im industrialisierten Backprozess werden dem Teig dann weitere Zusatzstoffe zugesetzt, die vom Marketing gerne als »Brotverbesserer« (sogenannte Clean-Label-Rohstoffe) bezeichnet werden, in Wahrheit aber nichts weiter sind als weitere chemische Hilfsmittel, die eine Qualität vorgaukeln, über die das Produkt längst nicht mehr verfügt. Die zugesetzten Backmittel ersetzen dann das oft fehlende Können des Bäckers, um Schwankungen im Rohstoff auszugleichen, damit die Produkte am Ende des Tages immer gleich aussehen, egal welche äußeren Einflüsse auf den Backprozess einwirken. Gerechtfertigt wird das mit dem kleinen Preis, den der Verbraucher für sein Brot im Supermarkt bezahlt, der aber, wenn man genau hinschaut, im Verhältnis zu einem ehrlich gebackenem Brot gar nicht mehr so klein ist. Diese Rechnung geht außerdem schon lange nicht mehr auf. Falsche Ernährung ist heute ein wesentlicher Grund für die epidemische Zunahme von ernährungsbedingten Krankheiten wie Adipositas und Typ-2-Diabetes, von der im wachsenden Maß schon Kinder und Jugendliche betroffen sind. Allein das kostet unser Gesundheitssystem pro Jahr rund 17 Milliarden Euro. Hinzu kommen die Umweltschäden, die von der industrialisierten Landwirtschaft verursacht werden, wie überdüngte Böden, nitratbelastetes Grundwasser oder das große Insektensterben. Mit einem Kilo Biobrot aus meiner Bäckerei sorge ich dafür, dass auf rund zwei Quadratmetern Ackerfläche Getreide ohne den Einsatz von Pestiziden angebaut wird und Böden wie Biodiversität geschützt werden.

Die Bäckerbranche hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, und mehr noch als die steigenden Energie- und Rohstoffpreise, macht mir die Entwicklung der Bäckereien große Sorgen. Ein paar Zahlen können vielleicht verdeutlichen, was ich meine: Vor 60 Jahren gab es im Gebiet der alten Bundesrepublik noch rund 55000 Betriebe im Bäckerhandwerk. Heute sind es in ganz Deutschland nur noch 9607 Betriebe. Analog dazu hat sich auch die Zahl der Auszubildenden stark reduziert und ist alleine zwischen 2014 und 2021 von 20 540 auf 12242 Azubis zurückgegangen. Eine Zahl ist dagegen interessanterweise im gleichen Zeitraum mit rund 45000 relativ konstant geblieben: die Anzahl der Verkaufsstellen. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Zahl der Filialen pro Betrieb weiter zunimmt und damit auch die durchschnittliche Betriebsgröße.[1]

Die Industrialisierung hält auch bei vielen Bäckern Einzug, die sich vielleicht selbst noch als »Handwerksbäcker« bezeichnen, aber dennoch mit Backmitteleinsatz arbeiten, weil sie diesen Expansionsweg eingeschlagen haben, zu dem sie keine Alternative sehen. Wir hören ja immer wieder von vielen Seiten und schlauen Wirtschaftsexperten, dass Stilltand Rückschritt ist und Wachstum der einzige Weg, der zum Erfolg führt. Kurzfristig mag diese Rechnung sogar aufgehen: mehr Filialen, mehr Umsatz, mehr Gewinn. Das hat in den letzten Jahrzehnten ja auch ganz gut geklappt. Doch kommt dann eine Krise, wie beispielsweise Corona, die teuren Energie- und Rohstoffpreise oder die allgemeine Wirtschaftslage und Inflation im Land, dann bricht die schöne und lukrative Wachstumswelt ganz schnell wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Jede junge Bäckerin und jeder junge Bäcker, die vielleicht gerade darüber nachdenken, eine Bäckerei zu eröffnen, müssen sich eine Sache ganz klar machen: Die handwerkliche Qualität verschwindet, wenn das Unternehmen größer wird. Man kann einfach keine drei, fünf oder noch mehr Filialen mit einem Vollsortiment oder auch nur mit Brot bespielen, ohne Kompromisse in der Backstube einzugehen und mehr Maschinen, mehr Backhilfsmittel und immer mehr Convenience- oder Tiefkühlprodukte einzusetzen. In Sachen Qualität kann das alles auf Dauer einfach nicht gut gehen.

[1]    Zentralverband Deutsches Bäckerhandwerk: https://www.baeckerhandwerk.de/baeckerhandwerk/zahlen-fakten/

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