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Heraklit und Charles Darwin haben recht: Alles fließt

„Am Anfang war die Küche!“ Der Philosoph Leon Joskowitz entfaltet in seinem Buch „Vom Kochen und Töten“ eine einfache Idee: Das Kochen hat uns zu Menschen gemacht. Das Kochen und die Küche sind nicht zum Menschen hinzugekommen wie das Rad, die Schrift oder andere Techniken. Im Gegenteil, sind die Zubereitung von Nahrung und das Leben am Feuer sowohl die Voraussetzung wie die grundlegendsten Elemente von menschlicher Kultur. Wir sind Teil einer kulinarischen Lebensform. Die ältesten Spuren von kochenden Menschen sind rund 800.000 Jahren alt und somit viel älter als der Homo sapiens. Dort – am Feuer – haben Menschen gelernt, ihre Nahrung zu teilen und einander Geschichten zu erzählen. Nicht zuletzt ihre eigene Geschichte: die Geschichte von einem sprechenden Tier, das sich von allen anderen Tieren unterschiedet.

Die Menschen stammen nicht von Göttern ab. Sie Sind aus anderen Lebewesen hervorgegangen. Aber wie?

Ich gehe in den Zoo und schaue mir die Affen an. Kein Zweifel: Wir stammen von Affen ab. Die Verwandtschaft ist offensichtlich. Wie sie sich umschauen, nach Dingen greifen, miteinander kommunizieren, sich jagen und spielen. Ihr Verhalten ist dem unseren zum Verwechseln ähnlich. Da fallen die kleinen Unterschiede kaum ins Gewicht. Menschen unterscheiden sich auch voneinander, und verändern mit jeder Generationen ihr Aussehen. Es ist leicht vorstellbar, dass wir im Laufe von drei, vier oder fünf Millionen Jahren den aufrechten Gang erlernt und das Fell verloren haben.

Aber was ist mit der menschlichen Sprache, der Technik, mit Kunst, Wissenschaft und Kultur? Wie sind die entstanden?

Derzeit wird der Homo sapiens auf eine Zeit vor 40.000 bis 300.000 Jahren datiert.

Noch vor 3,2 Millionen Jahren lebte ein Lebewesen, dessen Skelett 1974 in Ostafrika ausgegraben und als Lucy weltberühmt wurde. Die Evolutionsbiologen ordnen Lucy der Familie der Menschenaffen zu; nicht aber der Gattung Homo. Aus der Form des Beckenknochens von Lucy schließt man, dass sie schon aufrecht gehen konnte, doch lebte sie wohl ohne Werkzeuge und Feuer. Daher bringt ihr Gattungsname Australopithecus, übersetzt: südlicher Affe, zum Ausdruck, dass hier noch ein deutlicher Unterschied zu unserem heutigen Wesen angenommen wird.

Ich kann mir 3,2 Millionen Jahre nicht vorstellen. Mein Großvater ist Anfang des 20. Jahrhunderts geboren. Das Leben der Wiener Moderne um 1900 kann ich mir ausmalen, doch schon um 1800 wird es dunkel. Kein elektrisches Licht, keine Eisenbahn, keine Radios. Das Mittelalter ist schon eine völlig fremde Welt. Jesus huscht vorbei. Bei der hebräischen Bibel und den griechischen Philosophen verweile ich kurz. Sie grüßen vom Grund des europäischen Denkens. Ihre Kultur und ihr Wissen bauen auf den Kenntnissen der persischen Feuerpriester und der eurasischen Jagdvölker auf. Die alten ägyptischen und sumerischen Kulturen haben erste Schriften entwickelt. Vor gut 12.000 Jahren entstanden dauerhafte Siedlungen – der Anfang unserer sesshaften Kultur. Ehemals nomadische Völker lebten nun an einem Ort. Ackerbau und Viehhaltung ersetzten langsam das Jagen und Sammeln.

Ich habe längst jedes Zeitgefühl verloren. Die Zahlen bleiben abstrakt. Die Höhlenmalereien weisen noch mal zwanzigtausend Jahre weiter zurück. Dann werden die Spuren rar.

Nur die Nutzung von Feuer ist viel älter, mindestens 800.000 Jahre. Und die ältesten Werkzeuge aus Stein sind zwei bis drei Millionen Jahre alt. In diesem Zeitraum dazwischen sind die heutigen Menschen entstanden. Aber wie?

Wie Heraklit hat auch Charles Darwin, der Begründer der modernen Evolutionstheorie, angenommen, dass die Natur sich ständig verändert. Während mit Heraklits Alles fließt nur gesagt ist, dass sich alles im Wandel befindet, hatte Darwin eine konkrete Idee dazu, wie dieser Wandel abläuft. Er stellte sich die Natur als riesige Fressorgie vor, als ewiges Fressen-und-Gefressen-werden, und er nahm an, dass sich Tiere und Pflanzen dauerhaft verändern, wenn die Veränderungen vorteilhaft beim Erwerb von Nahrung, und dem Erhalt des eigenen Lebens sind.

Vielleicht sage ich einen Satz zu Charles Darwin. Ihn ereilte ein ähnliches Schicksal wie Karl Marx. Viele Vorurteile und Allgemeinplätze sind über ihre Ideen im Umlauf, aber wenige machen sich die Mühe, Die Entstehung der Arten und Die Abstammung des Menschen oder Das Kapital selbst zu lesen. Beider Theorien wurden schon zu ihren Lebzeiten, aber erst recht nach ihrem Tod aus politischen und ideologischen Gründen heftig missbraucht. Doch weder kann Marx für den real existierenden Sozialismus noch kann Darwin für den Rassismus verantwortlich gemacht werden. Beide haben durch ihre revolutionären Gedanken die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, massiv verändert. Sie haben der Menschheit neue Perspektiven ermöglicht, und die Lektüre ihrer Schriften schult bis heute das Verständnis für den Kapitalismus und die Natur, also für die Welt, in der wir leben. Für diese theoretischen Meilensteine, für diese Erneuerung des menschlichen Blicks auf die Welt, muss man ihnen dankbar sein, und man sollte erst selbst Darwins Texte lesen, bevor man zu einem Urteil über seine Idee der Evolution kommt.

Das habe ich gemacht, und ein eigenes Buch dazu geschrieben. Vom Kochen und Töten. Kulinarische Meditationen über den Anfang der Menschheit. In diesem Buch entfalte ich die Idee, dass das Kochen uns zu Menschen macht. Wir leben in einer kulinarischen Lebensform. In Küchen lernen wir sprechen, dort verhandeln wir über die Verteilung der Beute und stellen uns vor, dass die Welt eine andere, eine bessere sein könnte.

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