Get Even More Visitors To Your Blog, Upgrade To A Business Listing >>

Nach dem Fall

Mumia Abu-Jamal sitzt seit über 40 Jahren im Gefängnis – zu Unrecht zum Tode verurteilt, wie seine Unterstützer sagen. Denn die ihm vorgeworfene Tat kann so, wie vor Gericht behauptet, nicht stattgefunden haben. Wurde an ihm ein Exempel statuiert? Doch Abu-Jamal lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Seit über 30 Jahren verfasst er Beiträge für die Gefangenenplattform PRISON RADIO zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen wie der Todesstrafe, den regressiven Tendenzen der US-Strafjustiz, Rassismus, dem Trump-Mob, Kapitalismus, Krieg und Klimakrise oder der Beziehung indigener Gesellschaften zur Ökologie. Der folgenden Essay schrieb Abu-Jamal im Januar 2021.

Jetzt, wo sich die ganze Aufregung um die US-ameri­kanischen Wahlen zu legen beginnt, ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, was da eigentlich passiert ist. Was es für die USA selbst und den Rest der Welt bedeutet, Dass ein moderner kapitalistischer Staat mit dem Neofaschis­mus flir­tet, der dann aber von einer Mehrheit der Wähler abgelehnt wird.

Ich lasse mich in meiner Analyse von dem im Juni 2017 erschienenen Artikel »Das ist kein Populismus« leiten – Autor ist der Herausgeber der Monthly Review, John Bella­my Foster. Er liefert darin eine historische, ideologische und ökonomische Einordnung des Wiederauftau­chens neo­faschistischer Bewegu­ngen und politi­scher Tendenzen im Westen und erläutert, warum es gerade jetzt dazu kommt.

Foster stellt fest, Dass Der Faschismus sich aus simplen Elementen zusammensetzt: gesteigerte Fremdenfeindlichkeit, Ultranationalismus, Wurzeln in der unteren Mittelschicht und privilegierten Sektoren der Arbeiterklasse sowie ein Bündnis mit dem Monopolkapital.

Obwohl sein Essay nur einige Monate nach Beginn der Trump-Administration erschien, liefert Foster darin wichti­ge Einblicke in das Wesen des Faschismus und seiner geistigen Ursprünge und zeigt, wie der Faschismus den Trumpismus durchzieht. Dabei nennt er zwei Haupt­quellen: den italienischen Philosophen Julius Evola (1898–1974), der eine Reihe einflussreicher Texte schrieb, und den französischen Schriftsteller Jean Ras­pail, Verfasser des wichtigen Romans Das Heerlager der Heiligen, in dem er die Bedrohung Europas durch den massenhaften Einfall schmutziger Horden aus der ehemaligen Dritten Welt beschreibt.

Foster schreibt, dass bedeutende Figuren der extremen Rechten (für die wahrscheinlich Steve Bannon das prominenteste Beispiel ist) bei Trump ein offenes Ohr fanden, weil dieser so begierig Verschwörungstheorien konsumiert wie andere Menschen ihr Mittagessen. Evola war der Meinung, der Faschismus könne nur aufgebaut werden, indem er durch die Ausnutzung »unterhalb des Intellekts angesiedelt[er]« Leidenschaften »Einfluss auf die Massen« gewinne. Diese »unterintellektuellen« Kräfte, so Evola, könnten faschistische Revolten gegen die Demokratie, moderne Vorstellungen von Fortschritt und sogar die Wissenschaft antreiben. Weiter zitiert Foster folgende Aussage aus Evolas 1961 erschienenem Nachkriegswerk Den Tiger reiten: »Keine der modernen Wissenschaften hat auch nur den geringsten Erkenntniswert.«

Evola war kein weltabgewandter Philosoph, der einfach so in den Tag hineinschrieb, sondern er kannte Italiens Duce Benito Mussolini, Deutschlands Führer Adolf Hitler und ihre jeweiligen politischen Parteien und arbeitete mit ihnen zusammen. Tatsächlich war er sogar der Ansicht, Mussolini sei ideologisch gesehen nicht faschistisch genug.

Seine Ideen haben in den neofaschistischen Bewegu­ngen im Europa und den USA von heute eine Wiedergeburt erlebt. Sie scheinen bei einem rechten Publikum großen Anklang zu finden, außerdem bei vielen, die sich Trump angeschlossen und seine wissenschaftsfeindlichen Ideen geschluckt haben … zum Beispiel, dass das Coronavirus nur ein »Schwindel« sei und mit dem warmen Sommerwetter verschwin­den würde (da sind sie wieder, die »Leidenschaften, die unterhalb des Intellekts angesiedelt sind«).

Und ungeachtet der »unterintellektuellen« Leidenschaften bei den Trump-Anhängern gibt es bei ihnen sehr wohl auch ein Bewusstsein darüber, dass die neoliberalen Kräfte, die jetzt in der Demokratischen Partei an der Spitze stehen, die »weiße« Arbeiterklasse betrogen haben, als sie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) unterzeichneten. Es war ein Geschenk an die Finanzhaie der Wall Street und ein Dolch im Rücken der amerikanischen Arbeiter.

Mit seinem Wettern gegen NAFTA (und damit gegen die Demokratische Partei) sammelte Trump Punkte bei US-Neofaschisten wie Bannon, die diesen Verrat der Demokraten nutzten, um Unterstützung für die »alternative Rechte« zu gewinnen, indem sie argumentierten, »die Globalisierer« hätten »die amerikanische Arbeiterklasse kaputtgemacht und dafür eine Mittelklasse in Asien geschaffen«. Die wirkliche Zielscheibe dieser Zeilen Bannons war die neoliberale Politik, die »die amerikanische Arbeiterklasse kaputtgemacht« habe und die in der Tat den Transfer von Kapital aus dem Westen in alle Ecken und Enden Asiens bedeutete, wo eine riesige Quelle billiger Arbeitskräfte auf es wartete.

Während die wirtschaftliche Krise – sichtbar gemacht durch das Coronavirus – über die Städte im Westen hereinbricht und das wirtschaftliche Leben gravierend untergräbt, sehen wir in den Bevölkerungen dieser Länder neofaschistische Bewegungen auftauchen, die zum Teil ein Schrei nach Erlösung sind, der sich an das Großkapital und die mit ihm verbündeten repressiven Regierungen richtet.

Foster erinnert uns daran, dass Nazideutschland um 1938 herum Vollbeschäftigung erreicht hatte – allerdings mit einem System der Massenunterdrückung, dessen Ausmaß sich dann als ungeheuerlich herausstellte. Ferner ruft er uns ins Gedächtnis, dass der Faschismus seinem ureigenen Wesen nach immer mit dem Kapitalismus selbst konform ist.

Aus einer Analyse der Entwicklung des Neoliberalismus in den USA lernen wir, dass seine Begierde, dem Kapital zu dienen, nur durch den gleichzeitigen Verrat an der Arbeiterbewegung (der an der Propagierung von NAFTA besonders deutlich wird) gestillt werden konnte, eine Entwicklung, die unvermeidlich und in Reaktion darauf zum Neofaschismus führt. Das heißt, dass der Neoliberalismus aufgrund seiner Ergebenheit gegenüber dem Kapital in seiner politischen Ausrichtung grundsätzlich konservativ ist. Indem er sich gegen die Interessen der Arbeiterklasse stellt, verleiht er neofaschistischen Alternativen mit ihrer gesteigerten Fremdenfeindlichkeit, ihrem Ultranationalismus, ihrer Ansprache an die unteren Mittelschichten und ihrem Appell an »unterintellektuelle Leidenschaften« einen unverdienten neuen Glanz. .

Also sind Neoliberalismus und Neofaschismus, obwohl sie scheinbar politische Gegensätze darstellen, in Wirklichkeit letztlich enge Verwandte, die bloß in verschiedenen Kostümen auftreten. Wann immer wir an den Neoliberalismus denken, sehen wir den Verrat durch NAFTA und den Aufbau brutaler Institutionen wie der Masseninhaftierung. Während für die eine Variante von Politik wüste rassistische Ausbrüche und Klans-Fackeln charakteristisch sind, flüstert die andere Variante den Menschen süße Worte ins Ohr, vernichtet aber zugleich Arbeitsplätze und greift ebenfalls zu rücksichtsloser Unterdrückung. Denn beide dienen nun einmal ein und demselben Herrn: dem Monopolkapital.

Diesen Text verfasste Mumia Abu-Jamal als Beitrag zur Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar 2021.

Der Beitrag Nach dem Fall erschien zuerst auf Westend Verlag GmbH.



This post first appeared on Westendverlag, please read the originial post: here

Share the post

Nach dem Fall

×

Subscribe to Westendverlag

Get updates delivered right to your inbox!

Thank you for your subscription

×