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Kunst und Kochen

Rudolf Rach versteht Kochen als Widerstand. Widerstand sowohl gegen die Nahrungsmittelindustrie mit ihrem Convenience-Food als auch gegen den Sterneköche-Zirkus. Rach hat nicht vergessen, wie es früher einmal geschmeckt hat, als das Obst aus dem Garten und das Huhn aus dem Stall kam. Er kocht für Familie und Freunde. Auf kleiner Flamme, das ist das Geheimnis. Damit der natürliche Geschmack erhalten bleibt, vielleicht mit ein paar Kräutern und Gewürzen verfeinert wird. In seinem neuen Buch schlägt er den Bogen von der Steinzeit bis heute, philosophisch und praktisch. Und verpackt sein Wissen in Geschichten, die sich so gut lesen, weil sie das Leben geschrieben hat.

Im Jahre 1822 erschien in Deutschland ein Buch mit dem Titel Vom Geiste der Kochkunst. Sein Autor war ein den Künsten gewogener Freiherr namens Carl Friedrich von Rumohr, der in einem Vorwort erklärte, es handele sich um das Werk seines Leibkochs Joseph König; dieser brauche die Einnahmen aus dem Verkauf des Buchs, um die Erziehung seiner heranwachsenden Söhne zu finanzieren. Offenbar schämte sich der Freiherr, ein Kochbuch geschrieben zu haben, ja sich überhaupt für Fragen des Kochens zu interessieren. Für einen deutschen Adligen war das zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein heikles Unterfangen. Ein deutscher Mann, zumal ein Freiherr, hatte anderes zu tun als sich mit dem Kochen zu beschäftigen. Das war Sache der Frauen.

Ins Auge springt, dass Rumohr über den »Geist« der »Kochkunst« schreibt. Er liefert keine Rezeptsammlung, wie möglichst viel Suppe aus einem Stück Fleisch herauszuholen ist oder wie man schnell ein Menü für zwanzig Personen auf den Tisch zaubert. Es geht ihm nicht ums Produzieren, sondern um den Geist, der gutes Essen möglich macht. Der Geist, der in der Küche des Freiherrn herrschte, ging über das alltäglich Praktische hinaus und band Das Kochen in ein historisches Ganzes ein, in die Geschichte des europäischen Kochens.  Sagen wir ruhig: in die Geschichte der Kochkunst.

Der Freiherr verfügte über genügend Dukaten, um sich längere Reisen erlauben zu können. Er kannte nicht nur den Norden Deutschlands, aus dem er stammte, auch der Süden war ihm vertraut. Er wusste, dass die Italiener der Natur und ihren Produkten näher geblieben waren als die Franzosen mit ihrer Vorliebe für komplizierte Saucen und kulinarische Arrangements, die nur ahnen ließen, woraus sie eigentlich hergestellt wurden.

Rumohr nannte das Kochen eine Kunst, weil er wusste, was zur Kunst dazugehört. Er war mit vielen Künstlern befreundet, insbesondere den Nazarenern, einer Gruppe von deutschen Malern, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Rom ausgewandert waren und deren handwerkliches Können, deren Formen- und Farbensinn Rumohr bewunderte. Gewiss waren die Maler und Bildhauer keine Kostverächter und Rom auch damals schon ein Ort, an dem sich vorzüglich tafeln ließ.

Was verbindet das Kochen mit den Künsten? Es ist der Sinn für Proportionen. Ohne diese Eigenschaft und ein gewisses Maß an Einfallsreichtum bringt ein Künstler es nicht weit, und in der Küche ist das ähnlich. In der Malerei nennt man die, die ein Werk nachbilden, Kopisten. Auch die Köchin oder der Koch sollten sich von Maßen und Gewichten befreien und sich auf den eigenen Geschmack verlassen. Im Übrigen: Wenn das Essen gut schmeckt, sieht es auch gut aus. Das Umgekehrte gilt leider nicht.

Rumohr konnte sich umso besser mit dem Geist des Kochens auseinandersetzen, als er mit den verschiedenen Küchen Europas, der italienischen und französischen vor allem, bestens vertraut war. Er wusste, wo gut gekocht wurde, kannte die einschlägigen Adressen.

In meinen Regalen haben sich im Laufe der Jahre die verschiedensten Kochbücher versammelt, und ich will nicht abstreiten, dass der eine oder andere Blick in die oft dicken Wälzer auch geholfen hat. Doch in der Küche steht keines; ich spiele nicht vom Blatt. Die meisten der hier beschriebenen Rezepte gehen auf Besuche in Restaurants zurück. Wenn etwas gut geschmeckt hat, habe ich es mir gemerkt und zu Hause »nachgekocht«.

Ein Buch über das Kochen zu schreiben, wäre mir allerdings kaum in den Sinn gekommen, wenn es in den kulinarischen Folianten um etwas anderes als um Rezepte gegangen wäre. Gewichte und Mengenangaben sind jedoch etwas sehr Abstraktes. Rezepte sind eine Art Gebrauchsanweisung. Das Kochen, wie ich es verstehe, ist eine geistige – und natürlich physische – Anstrengung; verlangt eine höllische Konzentration und setzt Spontaneität voraus, die sich unabhängig von der Vorlage macht. Wenn der Herd angeworfen wird, muss man das Essen, das auf den Tisch kommen soll, im Kopf haben, und während der Arbeit darf man nicht aus der Balance geraten. Wenn Leute in die Küche schlendern und ihre Nasen in die Töpfe stecken, werde ich nervös.

Weil sich die zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel täglich ändern, setzt das Kochen Improvisationsgabe voraus. Und weil die Zusammensetzung des Essens variiert, schmeckt es immer etwas anders. Da die Ausgangsmaterialien nie dieselben sind und nie dieselben sein können, muss der Koch seine Fantasie spielen lassen, seinen Sinn für Proportionen beweisen. Meist sind nur geringe Anpassungen nötig, um trotz veränderter Umstände ein Essen auf den Tisch zu bringen, das die Gäste und ihn selbst erfreut. Es kann nicht immer gleich schmecken, warum sollte es auch?

Der Vergleich mit einer künstlerischen Tätigkeit zielt schon in die richtige Richtung. Kochen ist ein schöpferischer Vorgang, dessen Ergebnis nicht aufbewahrt und in Museen ausgestellt wird – wie die Eat-Art von Daniel Spoerri, der selbst ein begeisterter Koch war und viele Jahre in Düsseldorf ein Restaurant führte –, sondern alsbald verzehrt wird. Dafür beißt es sich, wenn es gut ist, in die Erinnerung der Gäste. Setzt sich in ihren Köpfen fest, und noch Jahre später erzählen sie davon. Die Erinnerung spannt sich wie eine Brücke zum vergangenen Genuss. So nährt ein Essen noch viele Jahre danach. Deshalb ärgerte es mich, wenn meine Mutter stöhnte: So viel Arbeit für so wenig (sie meinte damit die kurze Dauer des Essens). Diese Behauptung ist grundfalsch, weil sie eine Trennung von Körper und Geist voraussetzt, die eine gute Küche täglich widerlegt. Die Heidenarbeit wird belohnt, weil gutes Essen nicht nur unserem körperlichen Wohlbefinden zugutekommt, sondern auch unserem seelischen, und als Erinnerung unser geistiges Erbe bereichert.

Selbst mit feinsten Pinseln und besten Farben ausgestattet, wird niemand zum Maler. Dazu gehört eine Leidenschaft für die Suche nach Formen und Farben, die erste und vielleicht wichtigste Voraussetzung; hinzu kommen Talent und viel Training. Immer wieder Training. Ohne Talent und Training geht nichts, bleibt alles im Ungefähren. Und selbst mit Talent und Übung ist das Ergebnis nicht garantiert. Und wenn etwas danebengeht oder nicht wirklich gelungen ist, gilt es, sich damit abzufinden. Der nächste Versuch wartet schon.

Der Beitrag Kunst und Kochen erschien zuerst auf Westend Verlag GmbH.



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