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Bekenntnisse zu Volk, Vaterland und Führer?

Arnold Münster wird 1935 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, da er eine kommunistische Widerstandsgruppe anführte. In diesen acht Jahren erlebt er Demütigungen, Folter und menschenunwürdige Bedingungen. Ausgerechnet dieser Mann verliebt sich später in Lilly Curtius, die bereits ein Kind mit einem nationalsozialistischen Klinikdirektor hat. Arnold steht zwar auf der richtigen Seite der Geschichte, doch er misstraut der jungen bundesrepublikanischen Demokratie. Seinen Kindern gegenüber ist er kühl und distanziert, im Hause Münster herrscht ein ohrenbetäubendes Schweigen. Nach Arnolds Tod im Jahr 1990 werden Historiker auf seine Rolle im Widerstand aufmerksam. Sein Sohn Nikolaus Münster entdeckt einen umfassenden Nachlass und schreibt ein Buch darüber: „Das lange Schweigen“ vermittelt einen neuen Blick auf den Vater, auf einen zerrissenen, traumatisierten, intellektuellen Menschen. Ein Auszug.

Zu Beginn seiner Haftzeit bekennt sich Arnold offen zu seinen Aktivitäten und hält sie auch weiterhin für vollkommen richtig. Im Laufe des Jahres 1937 stellt das Gefängnispersonal Einen Wandel fest, der jedoch auf zwiespältige Wahrnehmung stößt. So berichtet der Zuchthausdirektor in einem Schreiben vom November 1937: »Die Mehrzahl der Beamten bezweifelt aber die Echtheit dieser inneren Umstellung und vertritt … den Standpunkt, Dass es sich höchstens um eine rein äußerliche Umstellung handeln könne, die nur den Zweck verfolgt, eine Haftentlassung zu erreichen.« Der zuständige Oberregierungsrat im Kölner Gefängnis berichtet dazu an den Generalstaatsanwalt im Februar 1939: »Münster ist fleißig und auch willig. Er gibt aber durch sein unaufgeschlossenes Wesen eine nur geringe Möglichkeit zur Prüfung der Frage, ob eine echte und nachhaltige Gesinnungsänderung bei ihm eingetreten ist.« Eine davon abweichende vorsichtige Meinung gibt der Gutachter Kapp zu Protokoll: »Münster ist ein Mensch, der sich nur schwer und im Letzten wohl nie ganz erschließt, der sich ein gewisses Reservat wohl immer bewahrt. Im Übrigen ist er aber jetzt wohl so einsichtig, dass er einen genügenden Abstand zu seiner Straftat und der ganzen Haltung, aus der die Tat entsprungen ist, gewonnen hat; über diese Einsicht hinaus hat er sich wohl auch innerlich von seiner Tat und von seiner früheren Gesinnung distanziert, wenn das auch wegen seiner allgemeinen Zurückhaltung nur mit einer gewissen Vorsicht gesagt werden kann.« »Mit der dadurch gebotenen Reserve kann man, wenn ein Gnadenerweis erwogen wird, einen solchen empfehlen.« Da jedoch Zweifel an der Echtheit der Wandlung Arnolds bestehen, lehnt der Reichsminister der Justiz das Gnadengesuch der Eltern mit Schreiben im Juni 1939 ab.

In zahlreichen Stellungnahmen bekundet Arnold seinen inneren Wandel. Sie betreffen sowohl das Verhältnis zu Annemarie Heuß als auch seine politische Einstellung. »Es wurde mir klar, dass das Wesen und die Erfüllung wahrer Reue nicht in unfruchtbarem Grübeln über die Vergangenheit bestehen, sondern in einer neuen Ausrichtung auf die Zukunft. Ich bemühte mich daher in der Folgezeit, mir auch ein neues politisches Weltbild zu erarbeiten. Aus der Gefängnisbücherei erbat ich mir nationalsozialistische Literatur, zuletzt als ›Extrabuch‹ zum eingehenden Studium das Buch des Führers Mein Kampf. Ich erkannte und erlebte innerlich die Begriffe … Volk und Vaterland. … Der Rückblick auf die eigene Entwicklung bot mir das deutlichste Beispiel für den Zusammenhang der volkszersetzenden Tätigkeit des Judentums mit dem Bolschewismus.«

Arnolds politische Bekenntnisse lesen sich angesichts der hohen Intelligenz und der Bildung des jungen Mannes so übertrieben, dass es schwerfällt, diesen Beteuerungen Glauben zu schenken und in ihnen etwas anderes zu sehen als Schreiben, die für die Nazis bestimmt waren. »Parallel damit offenbarte sich der verbrecherische Charakter des Bolschewismus, der im fanatischen Kampf gegen natürliche und übernatürliche Ordnung die Menschheit in das Chaos zu stürzen versucht, um sie unter die Sklaverei einer minderwertigen Rasse, des Judentums, zu bringen.«

Recht heftig fallen auch seine Äußerungen über seine Verlobte Annemarie Heuß aus: »Dass ich aus der Strafanstalt heraus noch die Beziehung zu Fräulein Heuß aufrechterhielt, erklärt sich einmal daraus, dass ich mich selbst noch gebunden fühlte, dann aber aus der Tatsache, dass ich erst später, im Winter 1935/36, die volle Erkenntnis der Schwere meines Verbrechens, den radikalen inneren Bruch mit meiner sittlichen und politischen Vergangenheit und die Ausrichtung auf eine neue Zukunft gewann. Heute danke ich der Vorsehung dafür, dass es mir ermöglicht worden ist, ohne in Konflikt mit meinem Wort zu kommen, eine Beziehung zu lösen, von der ich zutiefst überzeugt bin, dass sie mich ins Unglück gestürzt hätte.« Auch die Einlassungen zu seinem früheren Leben klingen recht überzogen.

»Was insbesondere das Abirren in die Bahn ungesunder, beim normalen Menschen Ekel erregender Erotik betrifft, so hat hier zweifellos eine wesentliche Rolle gespielt, dass vom 12. bis zum 20. Lebensjahr das ausgleichende Moment gesunder körperlicher Betätigung (Sport etc.) fast vollständig bei mir gefehlt hat. … Ich empfinde Reue und Abscheu darüber. Dies gilt insbesondere auch für das Verhältnis mit Frl. Heuß; auch abgesehen von dem derzeitigen Verbot eines Verkehrs betrachte ich es als abgebrochen und würde den Gedanken an eine Wiederaufnahme scharf ablehnen.«

All die Briefe und Stellungnahmen Arnolds zu seinem vermeintlichen eigenen Wandel reduzieren sich auf einen äußerst plakativen Einsatz von einigen Schlüsselbegriffen der Naziideologie. Das Vokabular hat sich Arnold gut angeeignet. Indes weist keinerlei ernsthafter Versuch der Argumentation auf einen Wandel zum Nationalsozialismus hin. Viele Indizien wie seine immer wieder erwähnte Verschlossenheit, seine Äußerungen nach dem Krieg, die Einschätzungen anderer und auch der Brief der Mutter mit dem Verweis auf H. deuten vielmehr darauf hin, dass er sich radikal und mit großer Disziplin verstellt hat. Mit Recht hat er keinen anderen Ausweg aus seiner schrecklichen Situation gesehen, als sich – zumindest nach außen hin – den Machthabern zu unterwerfen und anzudienen. »Vertrauliche« Briefe an seine Eltern mit anderslautenden Aussagen gibt es aus dieser Zeit nicht – sie hätten für alle Beteiligten Lebensgefahr bedeutet. Es ist schwer zu beurteilen, inwieweit Arnold in dieser Zeit einen Weg zurück zum Glauben gefunden und sich von den Ideen des Kommunismus abgewandt hat. Nach dem Krieg hat er weder an das kommunistische Gedankengut angeknüpft, noch ist er als besonders katholisch und gläubig in Erscheinung getreten.

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